Sport

Was wusste das Innenministerium über das Doping? Forscher dürfen Studie veröffentlichen

3d6e1500.jpg8056765787885904501.jpg

Sportarten, Tests an Kindern und Mitwisser an hoher politischer Stelle: Nach und nach sickern Details aus den Doping-Praktiken des westdeutschen Leistungssports durch. Jetzt fehlen noch die Namen der Beteiligten. Ex-Innenminister Seiters beteuert seine Unschuld.

Zur Doping-Vergangenheit der alten Bundesrepublik sollen bald weitere Forschungsergebnisse veröffentlicht werden. Datenschutz- Bedenken gegen die Freigabe einer umfassenden Studie seien inzwischen ausgeräumt worden, "so dass einer Veröffentlichung insoweit nichts mehr im Weg steht", sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Die Klärungen seien im Interesse einer uneingeschränkten Verwertbarkeit der Ergebnisse erforderlich gewesen.

Detailliert wird aufgeführt, in welchem Umfang und mit welcher Systematik zu Zeiten des Kalten Krieges auch in Westdeutschland Doping und Dopingforschung betrieben wurden. Demnach finanzierte der Staat über Jahrzehnte aus Steuermitteln Versuche mit leistungsfördernden Substanzen wie Anabolika, Testosteron, Östrogen oder dem Blutdopingmittel Epo.

Laut den Autoren geschah das nicht etwa als Reaktion auf das Staatsdoping in der DDR, sondern parallel dazu. Die Fäden liefen dabei im 1970 gegründeten Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) zusammen, das bis heute dem Bundesinnenministerium untersteht. Der konkrete Umfang und die genauen Kosten sind unklar. Die Studie enthielt zumindest ursprünglich auch Namen der Funktionäre, Trainer und Athleten, die in dem Doping-Netz agierten. Dazu kommen Politiker, die von den Praktiken wussten.

Welche Politiker waren eingeweiht?

Der Dopingmissbrauch zog sich der Studie zufolge quer durch zahlreiche Sportarten, darunter Leichtathletik und Fußball. Zudem zeigt der Bericht laut "SZ", dass westdeutsche Sportmediziner sogar vor Minderjährigen-Doping nicht zurückschreckten. Bereits 1988 sei mit Epo experimentiert worden. Die Politik sei eingeweiht gewesen. So habe ein Zeitzeuge einen damaligen Innenminister mit dem Satz zitiert: "Unsere Athleten sollen die gleichen Voraussetzungen und Bedingungen haben wie die Ostathleten."

Die Studie hatte in der Vergangenheit immer wieder für Kontroversen gesorgt, zuletzt platzte Ende Juni die geplante Veröffentlichung vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages vor allem wegen datenschutzrechtlicher Probleme.

SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte: "Ich will wissen was da dran ist." Auch der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach forderte unverzügliche Aufklärung. Eine solche Praxis sei "unter keinen Gesichtspunkten zu rechtfertigen oder zu entschuldigen".

Will von nichts gewusst haben: Ex-Innenminister Rudolf Seiters (li.)

Will von nichts gewusst haben: Ex-Innenminister Rudolf Seiters (li.)

(Foto: picture alliance / dpa)

Der frühere Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) beteuerte, von systematischem Doping in Westdeutschland nichts gewusst zu haben. Der heutige Präsident des Deutschen Roten Kreuzes war Anfang der neunziger Jahre als Innenminister im Kabinett von Helmut Kohl auch für Sport zuständig.

SPD will Sportausschuss-Sondersitzung

Die SPD-Fraktion im Bundestag prüft indes die Einberufung einer Sondersitzung des Sportausschusses. "Die schlimmsten Befürchtungen sind eingetreten. Das ist mehr als je vermutet worden ist", kommentierte Martin Gerster, sportpolitischer Sprecher der SPD. "Es ist unglaublich, dass die Abgeordneten von diesen Erkenntnissen aus der Zeitung erfahren. Ich werde jetzt ausloten, ob noch eine Sitzung Anfang September möglich ist", sagte Gerster. Nach einem Bericht der SZ verdichten sich die Hinweise darauf, dass es in der Bundesrepublik Deutschland spätestens seit Beginn der 70er Jahre ein systematisches, organisiertes und vom Staat finanziertes Doping-Programm gegeben haben soll.

Eigentlich sollten die Ergebnisse der 2008 in Auftrag gegebenen Studie im Juni dem Sportausschuss vorgestellt werden, doch angeblich würden damals wie heute datenschutzrechtliche Gründe dies verhindern. "Jetzt wird auch klar, warum Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und die schwarz-gelbe Koalition verhindert haben, dass im Sportausschuss darüber diskutiert wird", sagte Gerster.

Die Forscher hatten für den Sportausschuss weitreichende Änderungen im deutschen Sport empfohlen, auf die der DOSB zwar umfassend reagierte, jedoch ohne konkret auf die Empfehlung eines eigenständigen Anti-Doping-Gesetzes einzugehen. Die DOSB-Spitze um den Präsidenten Thomas Bach und Generaldirektor Michael Vesper hatte sich immer wieder gegen ein solches Gesetz ausgesprochen. Sie halten die derzeitige Gesetzgebung für ausreichend und fürchten eine Schwächung des Sportrechts.

DOSB warnt vor Vergleich mit Praxis in der DDR

Vesper, rief nach der Veröffentlichung des SZ-Berichts zur Zurückhaltung auf. "Es waren eher Spekulationen und zusammenfassende Bewertungen in der Süddeutschen", sagte der 61-Jährige. "Ich denke, wir würden gerne den Bericht selber bewerten und unsere Schlüsse daraus ziehen." Der DOSB werde den Abschlussbericht genau analysieren, dies sei Teil der Null-Toleranz-Politik gegen Doping.

"Was meines Erachtens nach nicht geht, ist die Gleichseztung dessen, was bei uns in Westdeutschland passiert ist, mit dem, was in der DDR Praxis war", kritisierte Vesper. "Nämlich organisiertes Staatsdoping, oft ohne Kenntnis der Sportler. Da muss man schon differenzieren."

Aus der noch unveröffentlichten Studie stammen auch die schon bekannt gewesenen Ephedrin-Vorwürfe gegen drei deutsche Fußball-Nationalspieler aus dem Kader bei der WM 1966 in England. "Was die Mannschaft von 1966 angeht, gibt es in einem Dokument eine Anmerkung, dass bei drei Spielern feine Spuren von Ephedrin gefunden worden seien. Durch Einnahme eines Schnupfenmittels, weil sie erkältet waren. Es ist aber untersucht worden, und es ist eindeutig nicht als Doping zu werten", sagte Vesper.

Quelle: ntv.de, rpe/AFP/sid

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen