Fußball-WM 2019

Kräfteverschiebung im Frauen-Fußball Außenseiter Japan ist Weltmeister

Japan hat endlich wieder Grund zur Freude.

Japan hat endlich wieder Grund zur Freude.

(Foto: dpa)

Ein perfekter Elfmeter macht Japan im Finale gegen die USA zum neuen Frauenfußball-Weltmeister. Er ist die Essenz eines hochklassigen, dramatischen, denkwürdigen WM-Endspiels, das nicht nur einen Überraschungs-Weltmeister hervorbringt, sondern auch Geschichten, die das Turnier überdauern werden.

Saki Kumagai schießt Japan auf den Fußball-Thron.

Saki Kumagai schießt Japan auf den Fußball-Thron.

(Foto: AP)

Dann nimmt sich Saki Kumagai den Ball. Legt ihn auf den Punkt, geht zurück zur Strafraumgrenze und wartet. 48.817 Zuschauer im ausverkauften Frankfurter Stadion, ihre Mitspielerinnen aus Japan und die Gegnerinnen aus den USA warten mit ihr, bis die US-Amerikanerin Hope Solo ihren Platz im Tor eingenommen hat. Mehr als 120 Minuten waren im Finale um die Weltmeisterschaft gespielt. 1:1 hatte es nach 90 Minuten gestanden, 2:2 nach Verlängerung, zweimal hatten die Japanerinnen einen Rückstand aufgeholt. Und nun, im Elfmeterschießen, der spannendsten und ungerechtesten Art, ein Fußballspiel zu entscheiden, liegt es an Saki Kumagai, dem Drama ein Ende zu bereiten.

Und was macht Saki Kumagai? Läuft sechs Schritte an und schießt den Ball links oben in den Winkel, als gäbe es nichts Leichteres. 5:3 - der Außenseiter ist Weltmeister. Auf der Ehrentribüne umarmt die deutsche Torhüterin Nadine Angerer ihre Kollegin Linda Bresonik und teilt hinterher via Twitter mit: "Geil! Was für ein Finale. Ich gönne es Japan total." In der Tat: Was für ein Endspiel! Mit vier Toren, Pfosten- und Lattentreffern, einer Roten Karte. Und dem kleinen Trost für den Titelverteidiger aus Deutschland, im Viertelfinale gegen den neuen Weltmeister ausgeschieden zu sein.

Geschichten, die der Frauenfußball braucht

Gold regnete in Frankfurt über die neuen Weltmeisterinnen.

Gold regnete in Frankfurt über die neuen Weltmeisterinnen.

(Foto: dapd)

Saki Kumagais Elfmeter war nicht nur der Schlusspunkt unter ein sehr gutes Finale, dem besten Spiel dieses Turniers. Er sorgte auch dafür, dass erstmals ein asiatisches Team die WM gewann und sich die Kräfteverhältnisse verschoben haben, nachdem mit Schweden und Frankreich die letzten europäischen Teams im Halbfinale gescheitert waren. Und dieser Elfmeter war eine von vielen Geschichten, die das sechste WM-Finale schrieb. Geschichten, die dafür sorgen werden, dass die Menschen, die es gesehen haben, sich noch lange daran erinnern. Geschichten, die der Frauenfußball dringender als alles andere braucht.

Homare Sawa wurde auch zur Spielerin des Turniers gewählt.

Homare Sawa wurde auch zur Spielerin des Turniers gewählt.

(Foto: dpa)

Zum Beispiel die Geschichte von Japans Trainer Norio Sasaki, der angekündigt hatte: "Wir wollen in Deutschland den Titel holen." Er hat das nicht vor der WM gesagt. Sondern schon im Mai vergangenen Jahres – bevor seine Mannschaft Platz drei bei der Asienmeisterschaft erreichte. Nun nimmt Sasaki nicht nur den WM-Pokal mit nach Hause, sondern auch die Fairplay-Auszeichnung für sein Team und den Goldenen Schuh (Beste Torjägerin) plus Goldenen Ball (Beste Spielerin) für seine Kapitänin, Homare Sawa. Japans Nummer zehn hatte in der 104. Minute mit einem verunglückten Befreiungskopfball das 2:1 für die USA eingeleitet, ehe sie in der 117. Minute mit einem unglaublichen Tor doch noch das Elfmeterschießen erzwang: "Wir haben alle unser Selbstvertrauen bis zum Ende bewahrt, an uns geglaubt und deshalb haben wir am Ende gewonnen."

Und da war noch die Geschichte von Japans 1,70 Meter kleinen Torhüterin Ayumi Kaihori, die im Elfmeterschießen die Schüsse von Shannon Boxx und Tobin Heath parierte und Carli Lloyd offenbar so viel Respekt einflößte, das diese den Ball weit über das Tor schoss. Die US-Amerikanerin Hope Solo hingegen hielt nur das Schüsschen von Yuki Nagasato und wurde hinterher dennoch als beste Torhüterin des Turniers ausgezeichnet. Die "Beste Spielerin des Finales" war Ayumi Kaihori.

"Wir hätten unsere Chancen nutzen müssen"

Klar, da darf man traurig sein.

Klar, da darf man traurig sein.

(Foto: dapd)

Dieses Endspiel war aber auch die Geschichte der vielen vergebenen Chancen für das US-Team, das anders als gegen Brasilien und Frankreich endlich spielerisch überzeugte, lange Zeit dominierte – und trotz seiner besten WM-Leistung diesmal verlor. "Das kann man nicht erklären, manchmal gehen sie rein, manchmal nicht. Wir hätten unsere Chancen nutzen müssen", sagte Trainerin Pia Sundhage. Bei aller Enttäuschung zollte die Schwedin dem Gegner Respekt dafür, wie dieser trotz der nervösen Anfangsviertelstunde mit mehreren US-Großchancen konsequent an seiner Spielphilosophie festgehalten habe. Das, hob Sundhage hervor, sei eine neue Qualität und positiv für den Frauenfußball.

(Foto: AP)

Geradezu leidenschaftlich hatten sich die USA in dieses Finale geworfen und Kraftmeierei mit Spielkunst kombiniert. Abby Wambach hatte den finalen Akt ihrer WM-Mission so sehr herbeigesehnt, dass Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus den Anstoß wiederholen ließ – weil der US-Star zu früh in die Hälfte des Gegners gestürmt war. Geradezu stoisch hatte Japan erst dem Angriffsdruck widerstanden und dann geschickt die Dynamik des gegnerischen Spiels gestört, um Vertrauen ins eigene Spielkonzept zu fassen. Das war schließlich groß genug, um nach den Gegentreffern weiter spielerisch die passenden Antworten zu suchen - und zu finden.

Deshalb war das Finale auch die Geschichte von Megan Rapinoe. Als die Mittelfeldspielerin in der 114. Minute entkräftet ausgewechselt wurde, verließ sie den Platz als Weltmeisterin. Die USA führten 2:1 und der rauschende Applaus, der Rapinoes Auswechslung begleitete, war der Beifall für einen Champion. Als Megan Rapinoe 30 Minuten später auf den Rasen zurückkehrte, stand fest: An diesem Finalabend in Frankfurt würde ihre Teamkollegin Christie Rampone, die schon 1999 beim letzten US-Titelgewinn dabei gewesen war, die einzige Weltmeisterin im aktuellen US-Team bleiben. Durch den goldenen Glitter tanzte kurz darauf Japan. Die neue Nr. 1 im Frauenfußball.

Quelle: ntv.de

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