DFB-Frauenstatistik stark geschönt Boom ist nur ein Boomchen
12.07.2011, 12:16 Uhr
Garantiert richtig gemeldet: Die DFB-Frauen von Silvia Neid.
(Foto: dpa)
Der Deutsche Fußball-Bund brüstet sich gern mit mehr als einer Million aktiver Fußballerinnen. Tatsächlich ist die Zahl weitaus kleiner, hat Prof. Hans-Jürgen Schulke berechnet. Hat der DFB die Statistik für die Heim-WM geschönt? Möglich, sagt der Sportwissenschaftler im Gespräch mit n-tv.de. Aber auch die Vereine haben ein großes Interesse an falschen Zahlen.
n-tv.de: Regelmäßig verkündet der DFB neue Rekordzahlen bei fußballspielenden Frauen und Mädchen und trotzt damit dem demografischen Trend. Sie haben sich die Mitgliedsstatistik genauer angeschaut – teilen Sie die Euphorie?
Hans-Jürgen Schulke: Ja und nein. Ja insofern, da wir zweifelsfrei einen deutlichen Zuwachs insbesondere im Mädchenfußball haben, und mit Einschränkungen im Frauenfußball. Aber bei Weitem nicht in der Größenordnung, wie es der DFB angibt. Wir haben einen Quotienten errechnet, der die Mitglieder pro gemeldetem Team ausweist. Im bundesweiten Durchschnitt sind das 40 je Mannschaft. Bei den Frauen sind es über 130. Daran wird deutlich, dass dort offensichtlich viele Meldungen vorliegen, die fußballerisch nicht aktiv sind.

Dr. Hans-Jürgen Schulke ist Professor an der privaten Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Hamburg. Dem Thema Sport widmet er sich nicht nur wissenschaftlich, sondern auch als passionierter Marathonläufer.
130 Spielerinnen für elf Plätze auf dem Rasen - wie ergeben sich solche Mannschaftsgrößen?
Es sind möglicherweise ehemalige Fußballerinnen, die jetzt als Erwachsene nicht mehr spielen. Aber sehr viel wahrscheinlicher und auch belegbarer ist, dass es sehr viele Gymnastik- und Fitnessfrauen sind, die eigentlich in die Turnabteilung gehören.
Und wieso werden sie nicht dort gemeldet?
Wenn ein Verein aus diesen Sportarten die Mitglieder beim Deutschen Turner-Bund oder beim entsprechenden Landesverband meldet, muss er dafür eine bestimmte Kopfgebühr bezahlen, für die Ausbildungsleistungen, die dort angeboten werden. Beim Fußball wird nicht pro Kopf gezahlt, sondern pro Mannschaft. Die Vereine nehmen offensichtlich Falschmeldungen vor, um Finanzmittel einzusparen.
Halten wir fest: In Deutschland spielen gar nicht - wie vom DFB offiziell vermeldet - 1.058.990 Frauen und Mädchen aktiv Fußball. Wie viele sind es dann?
Wir schätzen, dass es etwa 650.000 bis 700.000 sein dürften. Genauer lässt sich das im Augenblick nicht erheben, das ist aber ein qualifizierter Schätzwert …
… und ein Drittel weniger als in der DFB-Statistik. Eine erhebliche Differenz.
Ja, das ist es ohne Zweifel. Trotzdem muss man sagen, dass der Deutsche Fußball-Bund allein mit diesen 650.000 weiblichen Mitgliedern etwa so groß ist wie der deutsche Schwimmverband. Das ist also immer noch eine hochrespektable Zahl und zweifelsfrei steigt diese Zahl auch signifikant.
Dennoch drängt sich die Frage auf: Hat der DFB das krasse Missverhältnis von Fußballerinnen pro Frauenteam bewusst ignoriert und so mit Blick auf die Heim-WM seine Mitgliedsstatistik geschönt, um über die Millionenmarke zu kommen?
Ich will das nicht ausschließen. Natürlich ist es für den DFB opportuner, eine runde Zahl von über einer Million zu nennen. Das springt sofort ins Auge. Allerdings muss und darf der DFB ja auch die Zahlen nehmen, die von den Vereinen gemeldet worden sind. Es ist nicht unbedingt seine Aufgabe, dort wissenschaftliche Verfahren zu entwickeln. Sobald man aber in die Mitgliedszahlen genauer hineinguckt, kommt man unschwer zu dem Schluss: Es sind deutlich weniger.
Gab es vom DFB auf die Veröffentlichung Ihrer Berechnungen schon eine Reaktion?

Seiner Zeit voraus: Die schon jetzt verkündeten Mitgliedszahlen aktiver Fußballerinnen sind für Theo Zwanzigers DFB in Wirklichkeit noch Zukunftsmusik.
(Foto: dpa)
Nein, die gab es noch nicht und das kann ich auch gut nachvollziehen, weil im Augenblick natürlich die Frauenfußball-Weltmeisterschaft ganz im Vordergrund steht. Ich kann mir aber vorstellen, dass es danach einen Diskussionsprozess geben wird. Hier muss man wiederum auch sagen, dass sich der DFB in Gesellschaft vieler anderer Fachverbände und eben auch Vereine befindet, weil deren Meldewesen voller Ungenauigkeiten und zum Teil auch Begehrlichkeiten steckt.
Von welcher Summe sprechen wir bei den eingesparten Vereinsbeiträgen?
Wenn wir davon ausgehen, dass im Fußball etwa 350.000 Frauen falsch gemeldet werden, dann sind wir schnell bei einer Gesamtsumme von 700.000 bis 800.000 Euro.
Geld, das offenbar vor allem dem Deutschen Turner-Bund fehlt. Kann der DTB das einfach hinnehmen?
Der Turner-Bund hat das schon verschiedentlich moniert und beim Deutschen Olympischen-Sportbund (DOSB) angemahnt, dass dort ein sauberes Meldeverfahren durchgeführt wird. Das ist inzwischen beschlossen, auch mit der Stimme des DFB. In ein, zwei Jahren wird es dann soweit sein, dass ein verlässliches Meldesystem entsteht.
Werden die Mitglieder dann zwischen den Verbänden umgeschichtet?
Davon gehe ich aus.
Ist es perspektivisch trotzdem realistisch, dass der DFB die bereits jetzt vermeldeten Erfolgszahlen tatsächlich erreicht?
Ja, ich halte es für realistisch. Aber ich schätze, das wird sicherlich noch sechs bis acht Jahre dauern, vielleicht zehn. Im letzten Jahr hat der Frauen- und Mädchenfußball einen Zuwachs von 10.000 Personen gehabt.
Inklusive Turnerinnen.
Möglicherweise dabei. Aber das ist bei diesem geringen Zuwachs unerheblich.
Mit Hans-Jürgen Schulke sprach Christoph Wolf
Quelle: ntv.de