Fußball-WM 2019

Ein plumpes Foul, zwei Zuckertore Brasiliens Marta verzaubert WM

Brasilianisch, artistisch, gut: Marta, links.

Brasilianisch, artistisch, gut: Marta, links.

(Foto: dpa)

Sie ist die beste Fußballerin der Welt – und wird ausgepfiffen. Sie trägt den Spitznamen "Pelé im Rock" – und kontert charmant, dass sie im Rock gar nicht spielen könne. Marta führt ihr Team ins Viertelfinale der WM. Und ihr Trainer sagt: "Gott sei Dank ist sie Brasilianerin."

Ihre erste große Szene hatte sie in der Nähe der Eckfahne. Die Nummer zehn und ihre Kolleginnen hatten gerade ihr Aufwärmprogramm absolviert, da tönte es mit der Stimmgewalt einer großen Gruppe Schülerinnen aus Block 64 des Wolfsburger Stadions: "Marta! Marta!" Doch Brasiliens Starfußballerin reagierte nicht. Vielleicht, weil sie ahnte, dass nicht nur Block 64 sie im Laufe des Spiels noch auspfeifen würde. Vielleicht aber auch, weil sie da schon wusste, dass sie an diesem feucht-kühlen Abend am Mittellandkanal noch mehr zu bieten haben würde als schnöde Trainingsübungen.

Hatte sie dann auch. Brasilien gewann nach dem 1:0 zum Auftakt dieser Weltmeisterschaft nun auch gegen Norwegen, und das mit 3:0 (1:0). Zwei Tore schoss die Stürmerin Marta Vieira da Silva, ihre Elf hat mit sechs Punkten aus zwei Vorrundenspielen bereits das Viertelfinale erreicht. Dank Marta, die meist auf der linken Seite stürmte und über die Norwegens Trainerin Eli Landsem hinterher sagte: "Wir haben getan, was wir konnten. Aber es war nicht möglich, sie zu stoppen." Alles war nicht genug gegen die beste und bestbezahlte Spielerin der Welt, die in ihrer Heimat der "Pelé im Rock" genannt wird. Ein Vergleich ebenso eingängig wie blödsinnig. Aber darunter geht es wohl nicht mehr. Denn Marta, 25 Jahre alt, wird seit 2006 regelmäßig zur weltbesten Fußballerin gewählt, fünfmal in Folge bisher.

Was ist dran an dieser Frau?

Rosana, hinten, zeigt nach ihrem Tor an, bei wem sie sich zu bedanken hat.

Rosana, hinten, zeigt nach ihrem Tor an, bei wem sie sich zu bedanken hat.

(Foto: dpa)

Und so waren sich lange vor der WM alle einig: Sie wird der Superstar dieses Turniers. Keine allzu originelle Prognose, zugegeben. Sie macht aber neugierig. Schließlich ist sie nach Deutschland gekommen, um den Titel zu gewinnen. Endlich. Denn das hat sie trotz aller persönlichen Meriten noch nicht geschafft. Bei den jüngsten drei großen Turnieren - der WM 2007 und den Olympischen Spielen 2004 und 2008 - verloren die Brasilianerinnen jeweils im Finale. Diesmal soll es klappen. Grund genug, sich in Wolfsburg mit 26.066 Zuschauern im ausverkauften Stadion anzuschauen: Was ist dran an dieser Frau?

So einiges. Nach 22 Minuten hatte sie ihren zweiten, richtig großen Auftritt. Der begann damit, dass Marta mit beiden Händen mir-nichts-dir-nichts ihre norwegische Gegenspielerin Nora Holstad Berge plump aus dem Weg schubste. Was ihr und ihrem Team zwar die Führung brachte, da Marta anschließend Maren Mjelde ganz zauberhaft mit zwei Übersteigern düpierte und dann mit einem humorlosen Linksschuss in rechte untere Ecke Torfrau Ingrid Hjelmseth keine Chance ließ. Aber die Sympathien beim Publikum hatte sie erst einmal verspielt, auch wenn sie beteuerte, Berge sei "einfach gestolpert". Die Zuschauer aber hatten das anders gesehen und pfiffen sie von nun an bei jedem ihrer Ballkontakte aus. Und nicht zuletzt, weil die Chefin auch alle Ecken von rechts schlug, waren das viele. Nur zur Verabschiedung gab es wieder etwas Applaus. Was Marta wohlwollend registrierte. Und ansonsten die Unmutsbekundungen mit der Erklärung abtat, so sei das halt, wenn eine südamerikanische Mannschaft in Europa gegen eine europäische spiele.

Locker, lässig, elegant

Tänze vor dem Tor - und nach den Toren: Brasiliens Frauen-Nationalmannschaft.

Tänze vor dem Tor - und nach den Toren: Brasiliens Frauen-Nationalmannschaft.

(Foto: dpa)

Kurz: Es war ihr egal. Konnte es auch. Denn während der Start gegen Australien noch mau war und Marta schwach spielte, trat sie diesmal so auf, wie alle es von ihr erwartet hatten. Da konnten die Zuschauer pfeifen, wie sie wollen. Kaum waren die Seiten gewechselt, schnappte sich Marta an der Mittellinie den Ball, gab ihn bis zum norwegischen Strafraum nicht mehr her -und legte mit einem genialen Querpass für ihre Kollegin Rosana auf, die keine Mühe hatte, auf 2:0 zu erhöhen. Zwei Minuten später fanden die Marta-Festspiele ihren Höhepunkt. Diesmal ergatterte sie kurz vor dem Fünfmeterraum einen Abpraller und erzielte, wieder mit links, das 3:0. Locker, lässig, elegant - Marta eben. Das Spiel war entschieden.

Oder besser: Marta hatte das Spiel entschieden, mit ihren Toren Nummer 77 und 78 im 71. Länderspiel. Bis dahin war es ein langer, harter Weg. Sie hat sich hochgekämpft. Als sie sieben Jahre alt war, spielte sie das erste Mal Fußball. In Dois Riachos, einer Kleinstadt im Nordosten Brasiliens. Mit 14 ging sie nach Rio de Janeiro, alleine, gegen den Willen ihrer Eltern, kickte bei Vasco da Gama mit erwachsenen Frauen – und schaffte es bis ins Nationalteam. "Ich war sehr dünn aber schnell. Ich glaube sie waren schockiert, dass ein Mädchen wie ich auf dem Rasen für ein derartiges Aufsehen sorgen konnte", sagt sie dem Magazin "11Freundinnen" über ihre Anfänge. Mit 17 wechselte sie 2004 nach Schweden zum europäischen Spitzenklub Umea IK. Seit drei Jahren spielt die 1,62 Meter kleine Frau mit der ungeheuren Willenskraft in den USA, erst in Los Angeles, jetzt in New York. Längst ist sie Millionärin. Und die bekannteste Fußballerin der Welt.

Wer Marta stoppt, stoppt Brasilien

Bleibt nur die Frage, ob eine Marta reicht, um Brasilien zum Weltmeistertitel zu führen. Trainer Kleiton Lima hatte sein Problem vor der Partie so zusammengefasst: "Wir können nicht nur mit Marta spielen, allerdings auch nicht ohne sie." Anders ausgedrückt: Marta ist Brasiliens größte Stärke und Schwäche zugleich. Denn das Spiel ist auf sie zugeschnitten – kein Angriff läuft ohne Marta. Fast jeder Ball landet irgendwann bei ihr. Das wissen mittlerweile auch die Gegnerinnen. Stoppen sie Marta, stoppen sie auch Brasilien. Auch wenn das nicht immer funktioniert. Aber die Entwicklung geht dahin, dass auch im Frauenfußball eine Einzelne immer seltener Spiele entscheiden kann. Geschweige denn einen Titel gewinnen.

Die Uralttaktik reichte gegen Norwegen.

Die Uralttaktik reichte gegen Norwegen.

(Foto: dpa)

Gegen Norwegen aber, das immerhin als Mitfavorit bei dieser WM galt und nun um den Einzug in die Runde der besten Acht zittern muss, hat es gereicht. Marta erklärte ihre überragende Leistung übrigens mit dem Wetter. "Der Rasen war nass, da musste ich ein wenig schneller rennen, da ja auch der Ball schneller war." So einfach kann Weltklasse sein. Ansonsten habe sie sich vorgenommen, "mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, um immer besser zu werden". Klingt wie eine Drohung. Der Rummel um ihre Person jedenfalls ficht sie nicht an. "Ich muss auf dem Boden bleiben, um gut spielen zu können. Und ich bleibe auf dem Boden."

So etwas will ein Trainer hören. Und Kleiton Lima, der auch in Wolfsburg wieder die Selecao Feminina in bester Otto-Rehhagel-Manier mit Dreierabwehrkette inklusive Daiane als Libera spielen ließ, war vollauf zufrieden. Er erklärte seine viel kritisierte Steinzeittaktik damit, dass er halt wenige gute Abwehrspielerinnen, dafür aber viele Kreative im Mittelfeld habe. Und vorne eben Marta. Die habe vor allem zwei große Qualitäten: "Sie ist bodenständig und genial zugleich." Und dann fügte er noch an: "Gott sei Dank ist sie Brasilianerin."

Quelle: ntv.de

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