Zweitliebstes Kinder der Deutschen Fußball und die Bundesliga
24.08.2009, 08:53 UhrEs gab Rekorde, Dramen und Skandale: Am 23. August 1963 war der erste Spieltag der deutschen Bundesliga. Bis heute zieht sie Zehntausende ins Stadion und Millionen vor den Fernseher.

Dortmund gegen Bremen war die erste Partie der deutschen Bundesliga (Archivbild vom 24.08.1963).
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Als Uwe Seeler am Nachmittag des 23. August 1963 in den Mannschaftsbus des Hamburger SV stieg, begann eine Reise in ein neues Fußball-Zeitalter. 24 Stunden später lief "Uns Uwe" mit seinen Kollegen bei Preußen Münster zum ersten Spieltag in der Bundesliga auf. 46 Jahre danach ist die Eliteklasse eine große Erfolgsgeschichte - ökonomisch und vor allem emotional. Gilt das Auto als liebstes Kind der Deutschen, dann ist die Fußball-Bundesliga das zweitliebste Kind - oder auch die zuckersüße Nichte. Samstag für Samstag und seit einigen Jahren auch von Freitag bis Sonntag ziehen die Duelle der 18 besten Vereine Millionen Menschen im ganzen Land in den Bann, sorgen für Gesprächsstoff am Arbeitsplatz und hitzige Stammtisch-Debatten.
"Wir haben die besten Stadien der Welt, die Stimmung ist gut, der Fußball boomt", beschreibt Seeler die Lage der Liga heute. In den Anfangsjahren war das Fußball-Leben vielleicht beschaulicher, doch Spannung herrschte vom ersten Spieltag an, erinnert sich der DFB-Ehrenspielführer. "In Münster war natürlich ausverkauftes Haus, natürlich hat man dem entgegen gefiebert", sagt der heute 72 Jahre alte Seeler. Ein Tor am Premieren-Spieltag blieb dem Top-Angreifer zwar versagt, doch am Ende der noch mit 16 Mannschaften gespielten Saison hatte keiner mehr Treffer zu bieten als der treue Hanseate mit seinen "30 Buden".
Fotografen standen hinter falschem Tor

Der 25-jährige Timo Konietzka (r) erzielte beim Start der Fußball-Bundesliga am 24.08.1963 vor 30.000 Zuschauern im ausverkauften Bremer Weserstadion nach nur 58 Sekunden die 1:0-Gäste-Führung und schoß damit das erste Tor der Bundesliga-Geschichte.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Das erste Bundesliga-Tor gelang Timo Konietzka für Borussia Dortmund bei Werder Bremen. Fotos oder Fernsehbilder gibt es von dem Treffer nicht. Die Fotografen hatten sich alle hinter dem falschen Tor postiert. Das würde heute nicht mehr passieren. Alle Partien kommen live im TV, mehr und mehr auf dem Mobiltelefon - der Fußball ist zu einer teuren und gläsernen Ware geworden. Die Fernsehgelder sind explodiert: 650.000 Mark zahlten ARD und ZDF erstmals 1965/66. Der Preis erhöhte sich bis 1987/88 auf 18 Millionen Mark. Mit dem Einzug von Privatsendern und Pay-TV wurde die Spirale nach oben gedreht - heute können die Clubs mit 390 Millionen Euro kalkulieren.
Profiteure der Entwicklung sind auch die Spieler. Seeler und Co durften offiziell 1250 Mark im Monat mit dem Fußball verdienen - heute kassieren Franck Ribéry und Co. weit mehr als das Hundertfache. Zweiter Beschleuniger dieser Entwicklung neben dem Medienmarkt war das Bosman-Urteil, das den Profis auf der Basis europäischen Rechts mehr Vertragsfreiheit und höhere Handgelder bei Vereinswechseln brachte. "Fußball ist Geschäft geworden, wichtig ist, dass es nicht überzogen wird. Die Relationen gehen verloren. Das ist auch gefährlich. Das Preis-Leistungsverhältnis stimmt nicht, das wackelt", warnt Seeler. Unter dem Dach der Deutschen Fußball Liga (DFL) haben sich die Profi-Vereine 2001 zusammengeschlossen - ein einheitliches Logo ist visuelles Zeichen der Einheit, die gemeinsame Vermarktung, gerade auch international das Ziel.
Mit der Bundesliga kam mehr Power
Ökonomische Gründe führten überhaupt zur Gründung der Bundesliga, die die vier Oberligen und die Berliner Stadtliga als höchste Klassen ablöste. Das Profitum hatte international Einzug gehalten. Der deutsche Fußball-Regionalismus schien nicht mehr konkurrenzfähig. "Das war alles etwas professioneller, nicht mehr Oberliga Nord, das war ganz Deutschland, von daher war da mehr Power drin", erinnert sich Seeler an die Aufbruchstimmung. Ein Ideengeber war der Präsident des 1. FC Köln, Franz Kremer. Dass die "Geißböcke" 1964 auch erster Bundesliga-Meister wurden, war für Seeler keine Überraschung. "Die wussten, dass die Bundesliga kommt, die waren am besten vorbereitet", erzählt Seeler. "Wir alle wollten die Liga, aber dass sie so schnell kommt, haben wir nicht gedacht."
Dauerhaften Vorteil konnten die Kölner nicht daraus ziehen. Sieben verschiedene Titelträger in den ersten sieben Jahren zeugen von großer Konkurrenz. Erst in den 70er Jahren begann das Duell zwischen der legendären "Fohlenelf" von Borussia Mönchengladbach und dem FC Bayern München um Franz Beckenbauer, Gerd Müller & Co, die sich die nächsten sieben Titel aufteilten. Mit Gladbachs Herrlichkeit war es 1977 wieder vorbei, der Rekord-Club Bayern dominiert die Liga weiter und hat insgesamt 20 Mal die "Salatschüssel" geholt. Dem 1. FC Nürnberg unterlief das einmalige Missgeschick, als Meister des Jahres 1968 eine Spielzeit später abzusteigen. Den umgekehrten Weg - als Aufsteiger Meister zu werden - schaffte nur der 1. FC Kaiserslautern 1998. 2008 wiederholte der "Club" - diesmal als Pokalsieger - den Gang in die Zweitklassigkeit zum siebten Mal - Bundesliga-Rekord mit Arminia Bielefeld.
Rekorde und Dramen

Gerd Müller ist der Torschützenkönig der Nation: In 427 Bundesligaspielen traf er 365 mal (Archivbild vom 10.11.1973).
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Andere Bestmarken scheinen auf lange Sicht unumstößlich. Keiner schoss mehr Tore als "Bomber" Gerd Müller (365) für den FC Bayern. Keiner absolvierte mehr Spiele als der treue Karl-Heinz "Charly" Körbel (602) für Eintracht Frankfurt. Die meisten Zuschauer kamen ins Berliner Olympiastadion: 88.075 Fans sahen am 26. September 1969 die Partie zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Köln. Auch der Minusrekord wurde in der Hauptstadt aufgestellt. Nur 827 Fans verfolgten am 15. Januar 1966 das Spiel Tasmania Berlin gegen Borussia Mönchengladbach.
Immer in Erinnerung bleiben die Dramen der Bundesliga: Das Herzschlagfinale um Schalkes Meister der Herzen 2001 oder der Kampf um Frankfurt 1999, als ein Tor in letzter Minute den Hessen den nicht für möglich gehaltenen Klassenverbleib sicherte - und wieder einmal Nürnberg in den Abgrund stürzte. "Anekdoten und Geschichten gibt es genug", erinnert sich Seeler. Nicht alle sind schmerzhaft wie der Hundebiss ins Gesäß von Friedel Rausch beim immer brisanten Derby zwischen Dortmund und Schalke 1969.
Fußball macht auch gierig
Krisenzeiten hatte die Top-Klasse dennoch zu überstehen. Prekär war die Lage nach dem Bundesliga-Skandal. Horst-Gregorio Canellas, Präsident der Offenbacher Kickers, machte die Bestechung bei 18 Spielen im Abstiegskampf der Saison 1970/71 publik. 52 Spieler, zwei Trainer und 18 Funktionäre wurden überführt, Arminia Bielefeld und Offenbach wurde die Lizenz entzogen. "Ich bin so gebaut, dass ich das nicht geglaubt habe. Ich dachte, da will sich einer wichtig tun. Aber es gibt immer Schwarze Schafe. Es gibt immer Leute, die ab einer Summe gierig werden", erinnert sich Seeler an die Skandal-Saison. Der Fußball hatte seine Glaubwürdigkeit verloren, die Zuschauer straften die Vereine - und blieben zu Hause.
1973 war der Tiefpunkt mit einem Schnitt von gut 16.000 Besuchern pro Partie erreicht. Erst der WM-Gewinn 1974 brachte die Wende zum Besseren. Der Schiedsrichter-Skandal um den bestechlichen Referee Robert Hoyzer 2005 verdeutlichte gut 30 Jahre später wieder, dass das Traumgeschäft Fußball nicht vor kriminellen Vergehen gefeit ist. Der Boom um die Sommermärchen-Heim-WM 2006 machte den Schandfleck aber schnell vergessen. "Der einfache Fußball ist der schönste, das wird auch noch in den nächsten 50 bis 100 Jahren so sein", sagt Seeler.
Quelle: ntv.de, Arne Richter, dpa