Wirtschaft

Mit Gülle durch die Dunkelflaute "Biogas leistet dasselbe wie Gaskraftwerke - 50 Milliarden Euro günstiger"

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In den großen grünen Biogasanlagen braut sich was zusammen: Versorgungssicherheit.

In den großen grünen Biogasanlagen braut sich was zusammen: Versorgungssicherheit.

(Foto: picture alliance/dpa)

Ist Biogas die Lösung für die deutschen Energieprobleme? Man kann daraus Strom erzeugen. Und Wärme. "Immer dann, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht", sagt Branchensprecherin Sandra Rostek im "Klima-Labor" von ntv. "Die Anlagen machen das, was Gaskraftwerke machen sollen, aber deutlich günstiger." Denn deutschlandweit gibt es bereits 10.000 Biogasanlagen auf Bauernhöfen und Agrarbetrieben. Teure und langwierige Ausschreibungen sind nicht notwendig. Ein weiterer Vorteil: Deutschland macht sich mit Biogas nicht vom Ausland abhängig, sondern verschafft heimischen Landwirten zusätzliche Einnahmen. Anders als amerikanisches Flüssiggas ist Biogas auch eine erneuerbare Energie. Sandra Rostek zufolge gibt es nur ein Problem: Die Branche wird von der Politik ignoriert. Robert Habeck konnte sie vor drei Jahren den Vorteilen überzeugen. Gelingt das auch bei Katherina Reiche?

ntv.de: In der Bioenergie-Branche gibt es Biogas, Biomasse und Biomethan. Was sind die Unterschiede?

Sandra Rostek: Bioenergie ist der Überbegriff für alles, was aus verschiedenen Biomassen gewonnen und anschließend im Energiebereich auf verschiedene Arten angewendet wird. Biogas entsteht durch einen anaeroben Vergärungsprozess.

Sandra Rostek leitet die Abteilung Politik beim Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) und das Hauptstadtbüro Bioenergie (HBB).

Sandra Rostek leitet die Abteilung Politik beim Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) und das Hauptstadtbüro Bioenergie (HBB).

(Foto: Sandra Rostek)

Anaerob?

Ja, ohne Sauerstoff. Dieser Prozess passiert in einem luftdichten Gefäß. Das sind meist große grüne Pötte. Die sieht man manchmal an der Autobahn oder auf einem Hof. Dort kommen Gülle, Ernteabfälle oder auch der Müll aus der Biotonne rein. Dann brodelt's, bis daraus Biogas wird. Das kann man direkt in Blockheizkraftwerken weiterverarbeiten, den Strom einspeisen und mit der Wärme das örtliche Schwimmbad beheizen. Man kann das Biogas auch aufbereiten, bis es Erdgasqualität erreicht, und es anschließend wie fossiles Gas ins Gasnetz einspeisen - und Dinge machen, die man mit Erdgas eben macht.

Erdgas hat einen höheren Reinheitsgrad als Biogas?

Das kommt darauf an, was man in diese Pötte wirft, aber ja: Biogas besteht zu etwa 45 bis 55 Prozent aus Methan. Damit man es ins Gasnetz einspeisen kann, muss man es auf deutlich über 90 Prozent "aufreinigen".

Und Biomasse?

Feste Biomasse stammt in der Regel aus der Forstwirtschaft. Das ist Holzenergie aus Pellets und Holzhackschnitzeln. Das bekannteste Beispiel ist wahrscheinlich Sägeholz: Das Brett oder der Balken wachsen nicht quadratisch im Wald. Wenn man aus einem Baumstamm einen Balken machen will, fallen bis zu 40 Prozent Sägespäne und Restholz an, die man energetisch verwerten kann.

Im Holzofen? Die stehen als erneuerbare Alternative zur Wärmepumpe im Gebäudeenergiegesetz drin.

Genau, Pelletöfen erfüllen die Anforderungen. Es gibt aber auch flüssige Formen der Biomasse. Aus dem blühenden Rapsfeld kann man Rapsöl zum Braten oder auch zum Tanken machen. Oder man stellt daraus Rapskuchen her, das ist ein eiweißhaltiges Tierfutter.

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Das sind die gängigsten Formen der Bioenergie?

Es gibt noch einige Unterformen. Man kann zum Beispiel auch Wasserstoff aus Biogas herstellen.

Oder mit Biogas in Dunkelflauten helfen? Darüber wurde in den vergangenen Wochen intensiv diskutiert, Ihre Branche hat aber keine Rolle gespielt. Sie fühlen sich von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche vergessen oder ignoriert?

Ja. Es gibt deutschlandweit in unterschiedlichen Größenordnungen etwa 10.000 Biogasanlagen. Die Verteilung orientiert sich an den landwirtschaftlichen Strukturen, aber wichtig ist: Die sind da. Mit diesen Anlagen kann man viel machen, wenn man uns auf Augenhöhe mit Gaskraftwerken stellt.

Aber?

Als die Energiewende begann, war die Vorgabe: Produziert so viel Biogas wie möglich. Man wollte einfach eine Form der erneuerbaren Energien umsetzen. Vor 25 Jahren steckten Sonne und Wind in den Kinderschuhen. Beim Biogas war schon damals klar: Die Anlagen kann man 8760 Stunden im Jahr füttern und Energie erzeugen. Der Clou ist: Biogasanlagen sind flexibel. Diese Produktion kann man verschieben in Zeiten, in denen keine Sonne scheint und kein Wind weht, um die berühmten Dunkelflauten abzudecken. Studien zeigen: Sie machen genau das, was die fossilen Gaskraftwerke machen sollen - wenn man die Anlagen umrüstet, sogar besser als bisher.

Inwiefern?

Wir möchten die Anlagen mit Wärmespeichern und zusätzlichen Blockheizkraftwerken ausstatten. Dadurch erzeugt man zwar aufs Jahr gesehen nicht mehr Strom, man kann den vorhandenen aber schneller einspeisen - im Gegensatz zu Gaskraftwerken mit heimischen Inputstoffen und vor allem auch erneuerbar. Dieses Flexibilisierungspotenzial sollte man heben, um den Bedarf an neuen Gaskraftwerken so gering wie möglich zu halten. SPD und Grüne haben im Bundestag auf den letzten Metern der Scholz-Regierung zusammen mit der Union sogar noch ein Biomassepaket auf den Weg gebracht. Das sieht genau diese Flexibilisierung vor, aber leider werden wir in der Kraftwerksstrategie von Katherina Reiche trotzdem übersehen.

Sie dürfen die Erzeugung bisher nicht flexibilisieren?

Doch, aber wir haben dieselben Probleme wie fossile Kraftwerke: Sonne und Wind erzeugen den günstigsten Strom. Biogasanlagen rentieren sich nur, wenn sie rund um die Uhr laufen. Für einen tragfähigen Betrieb benötigen wir also eine Prämie.

Es geht wie immer ums liebe Geld?

Immer (lacht). Aber unsere Anlagen stehen anders als die Gaskraftwerke in den Startlöchern. Die EU-Kommission hat das Biomassepaket unlängst ebenfalls genehmigt, der Umbau könnte beginnen. Wir haben derzeit 6 Gigawatt installiert und könnten bis 2030 locker 12 Gigawatt bereitstellen - das entspricht genau der Leistung, die die Bundesregierung bei der EU für neue Gaskraftwerke beantragt hat. Langfristig wäre noch mehr möglich. Und mit dem Umbau wären wir viel schneller fertig als mit dem Bau der neuen Gaskraftwerke. Die sind ja noch nicht einmal ausgeschrieben.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sie vergessen werden?

Nur Vermutungen. An den Erneuerbaren wurde über die Jahre immer wieder gezweifelt, egal ob Wind oder Solar. Vielleicht kann man sich einfach nicht vorstellen, dass viele kleine, dezentrale Kraftwerke in vielen unterschiedlichen Händen die deutsche Stromversorgung genauso effizient absichern können wie die bekannten großen Akteure.

Und nun?

Ich hoffe auf die Macht des Faktischen: Wir werden im Wettbewerb beweisen, dass wir schneller sind als die großen Player mit den Gaskraftwerken und genau dieselbe Leistung anbieten - erneuerbar und regional. Und wir werden weiterhin darauf hinweisen, dass man mit fossilen Gaskraftwerken keine Klimaziele erreicht. Manchmal wird nebulös erwähnt, dass sie später auf Wasserstoff umgestellt werden sollen, aber man sieht ja: Der Wasserstoffhochlauf kommt nicht in Schwung wie geplant. Setzte man stattdessen auf CCS, also Carbon Capture and Storage und das Einfangen der Emissionen, kommt man in einen Kostenbereich, in dem Biogasanlagen sogar günstiger arbeiten.

Guter Punkt. Was soll Ihr Angebot denn kosten?

Das lässt sich schwer beziffern. Über den Daumen gepeilt schätzen wir, dass wir die Absicherung der deutschen Energieversorgung 50 Milliarden Euro günstiger bewerkstelligen können, als es in der Kraftwerksstrategie mit den Gaskraftwerken geplant ist.

50 Milliarden Euro günstiger?

Ja, diese Hausnummer sehen wir. Allein, weil wir bestehende Kraftwerke anbieten. Die reinen Stromerzeugungskosten sind aber höher: Strom aus Biogas kostet etwa doppelt so viel wie Strom aus Erdgas. Selbst, wenn man nicht extra Energiepflanzen anbaut, sondern Abfälle verwendet. Gülle enthält giftige Stoffe, die man erst einmal aufreinigen und hygienisieren muss. Das ist teurer, als Erdgas zu fördern. Aber wenn man an den Klimazielen festhalten möchte, wird ein Schuh draus: Biogas sorgt dafür, dass die Gülle nicht einfach so aufs Feld geschmissen wird.

Was sagt denn das Bundeslandwirtschaftsministerium zu Ihren Plänen? Da müsste man doch begeistert sein, dass sie Landwirten neue Einnahmequellen verschaffen.

Biogasanlagen sind oft ein wichtiger Bestandteil des landwirtschaftlichen Betriebs. Dadurch entsteht zusätzliche Wertschöpfung im ländlichen Raum und in den Kommunen, denn die Anlagen sind betriebsintensiver als eine Solaranlage oder ein Windrad. Damit schafft man Arbeitsplätze und Einnahmen vor Ort.

Dann ist vielleicht Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer der bessere Ansprechpartner für Sie als Katherina Reiche? Vielleicht kann er vermitteln?

Alois Rainer weiß das alles. Der kommt aus Bayern, speziell im süddeutschen Raum gibt es viele Biogasanlagen. Ich fürchte allerdings, dass er auch nicht vollends im Wirtschaftsministerium durchdringt, weil dieses Biomassepaket viele Bereiche berührt: die Energiewirtschaft, die Landwirtschaft und speziell bei den Energiepflanzen müssen umweltpolitische Aspekte berücksichtigt werden. Wahrscheinlich guckt jedes Ressort mit Scheuklappen auf das Thema - und verkennt den wahren Wert.

Lassen Sie uns ein viertes Ressort dazuholen: Sicherheit und Verteidigung. Biogasanlagen stellen Energie aus Deutschland bereit. Die muss man nicht mit Pipelines aus Russland oder mit LNG-Tankern aus den USA hierherbringen.

Dieser Aspekt hat Robert Habeck umgestimmt. Der war anfangs nicht der allergrößte Freund der Bioenergie, weil bei den Grünen eine Debatte geführt wurde, ob es in Zukunft überhaupt noch Tierhaltung geben würde. Ohne Tierhaltung hätte man auch keine Gülle für die Biogasanlagen …

Und dann hat Russland die Ukraine angegriffen?

Und man hat festgestellt: Leider haben wir auf einen unsicheren Gaslieferanten gesetzt. Haben wir eine Alternative? Die Biogasanlagen! Über das Energiesicherungsgesetz wurden sie später aufgefordert, die Produktion auszuweiten, aber davon sind wir wieder weg …

Mit Sandra Rostek sprach Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?

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Quelle: ntv.de

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