Three Lions ohne Biss England zittert vor Slowenien
23.06.2010, 11:30 UhrNur ein Sieg gegen Slowenien garantiert England den Einzug ins WM-Achtelfinale. Den Machtkampf mit John Terry hat Coach Fabio Capello vorab zwar gewonnen, viele andere Sorgen bleiben: Stürmerstar Wayne Rooney zum Beispiel ist bislang so torgefährlich wie Mario Gomez.

Wohin führt Englands Weg bei dieser WM?
(Foto: REUTERS)
Mut zusprechen, sich selbst und dem Fußball-Mutterland. Darum ging es dem "Daily Telegraph" mit dem Blick in die Statistikbücher. In der Tat förderte er höchst Erfreuliches zutage. Jegliche Sorgen über ein Vorrunden-Aus der Engländer bei der Fußball-WM sind vor dem letzten Gruppenspiel gegen Slowenien (16.00 Uhr/ARD und im n-tv.de Liveticker) absolut unbegründet. Immer dann, wenn die Engländer sich bei Weltmeisterschaften im letzten Gruppenspiel noch für die nächste Runde qualifizieren mussten, waren sie zur Stelle. So war es 1962, 1970, 1986, 1990, 1998 und 2002. So wird es also auch 2010 wieder sein, versichert der "Telegraph" allen Statistikfreunden: "England wird weiterkommen. Genießen Sie das Spiel!"
Vielen Engländern wird das schwer fallen und das nicht nur, weil Lukas Podolski erst jüngst gegen Serbien das statistisch Undenkbare gelungen ist: einen deutschen WM-Elfmeter zu verschießen. Die englische Nationalmannschaft und die WM, das ist auch ohne beschämende Vorrundenleistungen die sportliche Version der Geschichte von den zwei Königskindern. Von den beiden, die zusammengehören, aber nicht mehr zusammenfinden. Seit 1966 nicht, als der WM-Pokal noch "Coupe Jules Rimet" hieß und England aufspielte wie die Beatles. Für große WM-Momente a la Wembley-Tor 1966 oder der Jahrhundertparade von Gordon Banks vier Jahre später gegen Brasilien haben die "Three Lions" schon lange nicht mehr gesorgt, zuletzt vielleicht 1998 mit dem fabelhaften Solo-Tor des 18-jährigen Michael Owen gegen Argentinien.
Ruhe vor dem Sturm
Zu schwer wiegt die daher Furcht vor der größten WM-Blamage seit 52 Jahren, zu desolat präsentierte sich das englische Team in den beiden bisherigen Gruppenspielen gegen die USA (1:1) und Algerien (0:0). Der von John Terry angezettelte Putschversuch gegen Trainer Fabio Capello ist zwar gescheitert, doch England hält vor seinem Endspiel in Port Elizabeth angesichts der delikaten Ausgangssituation dennoch den Atem an: Nur mit einem Sieg ist das erste Scheitern in einer Gruppenphase seit der Endrunde 1958 in Schweden garantiert abgewendet. Bei einer Niederlage ist es garantiert vorbei.

Um Fabio Capello wird es nach den schwachen Leistungen in den ersten Spielen sehr einsam.
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Immerhin haben sich die Wogen im englischen Lager etwas geglättet. Innenverteidiger Terry, der in einer spektakulären Pressekonferenz einige andere Führungsspieler zum Aufstand gegen Coach Capello anstiften wollte und wie ein Spielertrainers die Aufstellung von Mittelfeldspieler Joe Cole orderte, ruderte schneller zurück als der Cambridge-Achter. Nach der öffentlichen Abstrafung durch Capello ("John Terry muss aufpassen, was er sagt") entschuldigte er sich kleinlaut: "Ich wollte einfach nur ehrlich sein. Und es war nie meine Absicht, unseren Teammanager zu enttäuschen."
Capello unsouverän
Capello verurteilte die öffentlichen Spitzen des affärenerprobten Verteidigers, den er im Februar wegen einer Sex-Affäre als Kapitän abgesetzt hatte, als "großen Fehler". Dann sagte er noch: "Ich hoffe, dass aus großen Fehlern manchmal große Leistungen entstehen können." Es sollte optimistisch klingen. Es klang wie nach dem erschreckenden 0:0 gegen Algerien, als der 64-Jährige nicht wie einer der erfolgreichsten Trainer der Welt gewirkt hatte, sondern einfach nur hilf- und ratlos.
Dass er die Stimmung trotz der Turbulenzen bei den Engländern nun "fantastisch" nannte und sein Verhältnis zu den Spielern "sehr gut", half auch nichts. Schließlich hatte Sir Alex Ferguson, Coach von Manchester United und damit auch von Englands Stürmerstar Wayne Rooney, nach einem Telefonat mit dem in Südafrika enttäuschenden Angreifer via "Daily Mail" wissen lassen: "Es gibt sehr große Spannungen im englischen Lager. Ich habe das Gefühl, dass die Mannschaft mit den hohen Erwartungen Probleme hat."
Systemwechsel zum Erfolg

Ebenso ratlos wie sein Trainer: Frank Lampard, im richtigen Leben Mittelfeld-Genie beim FC Chelsea.
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Dass die Erwartungen 44 Jahre nach dem einzige WM-Gewinn mehr Last als Ansporn sind, befürchtet auch Capello. "Das Problem könnte der Druck sein. Er lähmt die Beine und den Geist. Man spürt, dass die Mannschaft unheimlich unter Druck steht." Beispiel Frank Lampard: Beim FC Chelsea erzielte er in der Premier League 22 Tore, war damit torgefährlichster Mittelfeldspieler. Bei Weltmeisterschaften hat Lampard inzwischen 31 Torschüsse abgegeben, ohne zu treffen. Nur Jay Jay Okocha (33 Schüsse ohne Tor) war seit 1966 glückloser bei WM-Endrunden, haben die Statistikspezialisten von Opta herausgefunden.
Capello gibt vor allem das fehlende Spieltempo seiner Mannschaft Rätsel auf, zu groß ist der Unterschied zu den Leistungen in der überragenden WM-Qualifikation: "Die ganze Mannschaft ist bei dieser WM viel zu langsam. Ich erkenne das Team einfach nicht wieder." England wirkt in Südafrika nicht nur langsam und uninspiriert. England wirkt nach der kräftezehrenden Ligasaison heillos überspielt, Leidenschaft, Elan und Kampfgeist sind komplett abhanden gekommen.

Sucht seine Form: Wayne Rooney.
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Um seinem Team zu helfen, erwägt Capello eine Umstellung vom 4-4-2-System auf ein 4-5-1 mit Rooney als einziger Spitze. Englands einziger echter Weltklassespieler hat diese Rolle nach seinen bislang schockierend schwachen Auftritten bei Capello eingefordert, intern. Als hängende Spitze und Zulieferer dürfte Steven Gerrard agieren, die Position spielt er auch im Verein erfolgreich. Den freien Platz im linken Mittelfeld könnte dann Joe Cole besetzen. Die zweifelhafte Fürsprache von John Terry dürfte dem kreativsten Spieler im englischen Kader nicht geschadet zu haben. Der offensive Mittelfeldspieler wird voraussichtlich für Angreifer Emile Heskey auflaufen - falls sich Capello nicht aus Trotz weigert, zu tun, was ganz England und John Terry von ihm fordern.
Kritik an Stark-Nominierung
Gelingt den taumelnden "Three Lions" der Achtelfinal-Einzug, könnte der Gegner Deutschland heißen. Auch deshalb entbrannte auf der Insel sofort eine Debatte, nachdem der Weltverband FIFA Wolfgang Stark aus Ergolding als Schiedsrichter benannte. "Die FIFA hat mit Starks Berufung einen verstörenden Interessenkonflikt geschaffen", kritisierte der ehemalige englische WM-Referee Graham Poll in einer Kolumne für die "Daily Mail" nicht zu Unrecht.
Für die Slowenen nehmen die vielfältigen Notlagen der Engländer vergnügt zur Kenntnis, für sie könnte es einer der größten Tage in der noch jungen Geschichte des Landes werden. Das Team von Trainer Matjaz Kek führt die Tabelle der Gruppe C mit vier Punkten vor den USA, England (je 2) und Algerien (1) an und stünde schon mit einem Unentschieden erstmals in einer WM-K.o.-Runde. Entsprechend überschwängliche Worte wählte Kek: "Dies ist ein historische Spiel für ganz Slowenien." Für England könnte es eine historische Schmach werden.
Quelle: ntv.de, mit dpa und sid