WM-Leistungen "mehr als gut" Fifa verschiebt Schiri-Reform
10.07.2010, 13:02 UhrImmer wieder gibt es sie: Lästige Fehlentscheidungen von Fußball-Schiedsrichtern. Bei dieser WM war der öffentliche Ärger besonders groß, notgedrungen kündigte die Fifa deshalb zeitnah eine grundlegende Reform an. Alles Schnee von gestern! Die Reform kommt nun erst irgendwann, wenn überhaupt. Denn die Schiedsrichterleistungen in Südafrika waren großartig. Sagt die Fifa.

Gelebter Opportunismus: Die Fifa gibt sich selbstkritisch und zeigt ihrem Schiedsrichter-System die Rote Karte. Änderungen am System sind vertagt.
(Foto: REUTERS)
Die Fifa macht mal wieder auf Aktionismus: Die Tatsache, dass sich die Referees bei der WM-Endrunde in Südafrika durch etliche Fehlentscheidungen der Lächerlichkeit preisgegeben haben, soll zwar zu gravierenden Änderungen im Schiedsrichter-System führen - allerdings erst ab der WM 2014 in Brasilien. "Ich würde sagen, dass diese WM die letzte mit dem bisherigen System war", sagte Jerome Valcke, Generalsekretär des Weltverbandes Fifa, der BBC.
Fifa-Boss Joseph S. Blatter hatte am Donnerstag auf einer Pressekonferenz nochmals darauf hingewiesen, dass die Regelhüter des Weltfußballs, das International Football Association Board (IFAB), auf einer ihrer nächsten Sitzungen über technische Hilfsmittel wie die Torkamera und den Chip im Ball diskutieren werden. Blatter: "Allerdings wird dies erst bei der Sitzung im Oktober der Fall sein, die kommende in diesem Monat kommt zu früh."
Damit widerspricht sich Blatter selbst und entblößt sich als Opportunisten. Denn nachdem die Entrüstung über die massiven Fehlentscheidungen in den Achtelfinals zwischen Deutschland und England ("Wembley-Tor von Bloemfontein") sowie Argentinien und Mexiko (klares Abseitstor durch Tevez) von der Fifa einfach nicht mehr ignoriert werden konnte, hatte Blatter das Thema vor anderthalb Wochen zur Chefsache erklärt und grundlegende Reformen noch 2010 angekündigt. Bereits auf der nächsten IFAB-Sitzung am 21. Juli sollte das Thema technische Hilfsmittel diskutiert werden, für den Herbst 2010 kündigte Blatter bereits vollmundig Fakten an: "Im Oktober, November werden wir dann ein neues Modell hervorbringen, mit dem das Spitzen-Schiedsrichterwesen verbessert wird." Alles nur Gerede, wie die nun revidierte zeitliche Planung offenbart. Grund zur Eile besteht auch nicht mehr: Denn insgesamt ist der Fußball-Weltverband mit den Schiedsrichterleistungen in Südafrika plötzlich mehr als zufrieden.
Torrichter statt Technik
Zudem scheinen nicht mehr die vielfach geforderten technischen Hilfsmittel, sondern die von der Europäischen Fußball-Union (UEFA) favorisierte und forcierte Variante mit zwei zusätzlichen Torrichtern mehr denn je eine Alternative für die Fifa zu sein. Mit Blick auf das nicht gegebene Tor des Engländers Frank Lampard, bei dem der Ball klar hinter der Torlinie gelandet war und vom uruguayischen Schiedsrichter Jorge Larrionda trotzdem nicht gegeben wurde, sagte Valcke: "Wir sprechen über ein Tor, das nicht vom Schiedsrichter gesehen wurde. Deshalb reden wir über eine neue Technologie. Aber wir müssen schauen, ob uns das System hilft, oder aber eher vier Augen mehr den Unparteiischen unterstützen können, damit der seinen Pflichten besser nachkommen kann. In diesem Fall, warum nicht?" Zum Beispiel, könnten Kritiker anfügen, weil die Torrichter auch in der Europa League teils katastrophal versagt haben und letztlich nur dazu dienen, weiteren Fifa-Mitgliedsländern Schiedsrichterposten zuzuschanzen.
Valckes Einschätzung, der Fauxpas im Fall Lampard sei ein "schlechter Tag" für die Organisatoren gewesen, dürfen die Engländer getrost als Affront weil inakzeptable Verharmlosung auffassen. Das Selbstmitleid der Fifa, das aus diesen Worten spricht, ist eine bodenlose Frechheit angesichts der Tatsache, dass ein Team um ein reguläres Tor gebracht wurde und deshalb vielleicht aus dem Turnier ausgeschieden ist. Blatters Entschuldigung bei den Engländern, aber auch bei Mexiko, ist nun offiziell als wertlos enttarnt.
Die UEFA wird in dieser Saison in allen Champions-League- und Europa-League-Begegnungen sowie der beginnenden Qualifikation für die EURO 2012 in Polen und der Ukraine zwei zusätzliche Torrichter einsetzen.
Letzte WM nach diesem System
Blatter nahm bei der Bilanz-Pressekonferenz in Johannesburg auch Stellung zum Handspiel des Uruguayers Luis Suarez im Viertelfinale gegen Ghana. Suarez hatte das Siegtor der Black Stars in Volleyballmanier in der Schlussminute verhindert. Auf die Frage, ob nicht aufgrund des klaren Sachverhalts auf Tor für Ghana hätte entschieden werden können, entgegnete der 74-Jährige: "Wir können nicht auf Tor entscheiden, wenn der Ball nicht die Linie überschritten hat."
Ghana erhielt einen Handelfmeter, Suarez sah die Rote Karte, doch Asamoah Gyan vergab den Straftstoß. Es blieb beim 1:1, im Elfmeterschießen schied die Mannschaft um den gebürtigen Berliner Kevin-Prince Boateng gegen die "Urus" aus. Und obwohl sich Suarez nach der Partie grob unsportlich zu seinem Handspiel geäußert hatte ("Beste Parade des Turniers", "Die Hand Gottes gehört mir"), wurde er von der immer Fairplay propagierenden Fifa nur für das Halbfinale gesperrt.

Luis Suarez verhindert Ghanas Halbfinaleinzug regelwidrig und brüstet sich später damit. Die Fifa lacht mit.
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Valcke betonte unterdessen, dass die höhere Geschwindigkeit des modernen Fußballs ein Problem für die Referees darstelle - ein Umstand, der außerhalb von Fifa-Kreisen schon seit Jahren bekannt ist. "Das Spiel ist anders geworden, und die Schiedsrichter sind älter als alle Spieler auf dem Feld", sagte Valcke: "Das Spiel ist so schnell, der Ball fliegt so rasend hin und her - wir müssen den Schiedsrichtern helfen und etwas tun. Deshalb sagen wir, dies ist die letzte WM mit dem bisherigen System." Leere Worte von einem Verband, der den Spruch "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?" zur Maxime seiner Öffentlichkeitsarbeit erhoben hat.
Fifa lobt die Schiedsrichterleistungen
Denn: Die Leistungen der 29 WM-Schiedsrichter waren aus Sicht der Fifa ein "großer Erfolg". Dieses überraschende Fazit zog der Chef der Fifa-Schiedsrichterkommission, der Spanier Jose-Maria Garcia-Aranda. Den Vorwurf, die Fifa würde Fehler der Schiedsrichter kleinreden, redete Garcia-Aranda klein. Fakt ist nämlich, dass die Fifa die Schiedsrichterfehler aus den Spielberichten auf ihrer offiziellen Website teils äußerst akribisch tilgt.
Garcia-Aranda beharrte derweil darauf, dass es nur bei wenigen Spielen falsche Entscheidungen gegeben habe. Mehr als 96 Prozent aller Entscheidungen seien korrekt gewesen, betonte der Spanier. "Ich denke, die Schiedsrichter-Entscheidungen in diesem Turnier waren mehr als gut", meinte Garcia- Aranda weiter und verglich die Rate von 96 Prozent richtiger Referee-Entscheidungen mit dem Erfolg der Spieler vom Elfmeterpunkt. In 62 Spielen seien nur 9 von 15 Strafstößen (60 Prozent) verwandelt worden.
Verglichen mit der von der Fifa immer wieder herausposaunten Stadionauslastung von 97 Prozent haben die Schiedsrichter hingegen schlechter abgeschnitten. Allerdings weiß die ganze Welt inzwischen, dass die 97 Prozent dem Vergleich mit der Wirklichkeit nicht standgehalten haben. Nicht einmal beim Halbfinale zwischen den Niederlanden und Uruguay waren alle Plätze besetzt.
Quelle: ntv.de, Christoph Wolf, mit sid/dpa