Wunschkonzert

WM-Wunschkonzert auf n-tv.de Warum Kamerun es schaffen kann

Bei der WM 1990 katapultierte Kamerun einen ganzen Kontinent ins moderne Fußball-Zeitalter. In Südafrika werden sie auftreten wie vor 20 Jahren - nur besser: wild, aber diesmal abgeklärt; hungrig, aber auch gradlinig; überraschend - und am Ende mit dem Pokal in den Händen.

Erst den Champions-League-Titel, dann die WM: Samuel Eto'o ist Kameruns Kapitän.

Erst den Champions-League-Titel, dann die WM: Samuel Eto'o ist Kameruns Kapitän.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Wünsche meiner Kollegen habe ich aufmerksam gelesen. Ich bin entsetzt. Argentinien? Alle Euphorie über Atmosphäre und lange Mähnen in Ehre, aber: Wer nicht verlieren kann, darf auch nicht gewinnen. Siehe vergangene WM, als die weißen Brasilianer nach dem Aus im Elfmeterschießen gegen Deutschland nicht nur Backpfeifen verteilten. Griechenland? Da hätte ich dem Kollegen Giannakoulis mehr Realismus zugetraut, trotz allem gesundem Patriotismus. Und Italien, also bitte! Spieler im Vorruhestand gewinnen keine Titel. Die erste Weltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent sollte auch eine afrikanische Mannschaft gewinnen - es wird Kamerun sein.

Persönliche Verbindungen der traditionellen Art – Eltern, Freunde, berufliches oder kulinarisches Interesse – gibt es bei mir nicht. Statt dessen Erinnerungen: Bei der WM in Italien 1990 war ich beeindruckt. Vom erneuerten Guiseppe-Meazza-Stadion in Mailand, in dem das Eröffnungsspiel stattfand. Von den "Löwen" aus Kamerun, diesem unbekannten Team, dass Titelverteidiger Argentinien um Diego "Hand Gottes" Maradona erst in Verlegenheit brachte - und deren Esprit, Herz und 38-jährige Roger Milla den Weltmeister am Ende mit 1:0 in die Knie zwangen. Eine Sensation in Grün, Gelb und Rot.

Robustheit, Spielwitz, Gradlinigkeit

Milla zeigte der Welt den (Makossa-)Tanz an der Eckfahne – die Brasilianer erblassten vor Neid. Ein Torjubel, neu, erfrischend und für europäische Augen exotisch. Im Viertelfinale war nach einem unglücklichen Elfmeter gegen England zwar Schluss. Trotzdem: Die absolute südamerikanisch-europäische Dominanz im Fußball war gebrochen, Afrika erschien auf der Weltkarte des runden Leders. Und Kamerun war Vertreter Nummer 1.

Würden Sie diesem Fan seinen Wunsch versagen?

Würden Sie diesem Fan seinen Wunsch versagen?

(Foto: REUTERS)

Fünf Mal hat Kamerun bereits an einer WM-Endrunde teilgenommen, aber nie kamen die Löwen so weit wie 1990 in Italien. Die Vergangenheit scheint der Trumpf der ehemaligen Kolonie zu sein. Die Verteidigung mit deutscher Robustheit, das Mittelfeld mit französischem Spielwitz und im Sturm mit englischer Gradlinigkeit.

Bis auf Stürmer Vincent Aboubakar, der noch in der Heimat kickt, spielen sämtliche Akteure des WM-Kaders in Europa. Auswahl gefällig? Stürmer Samuel Eto'o ist bei Inter Mailand eine Bank im Angriff, Pierre Webo stürmt bei Real Mallorca, Jean Makoun spielt bei Olympique Lyon im Mittelfeld, Altstar Rigobert Song rackert für Trabzonspor im Abwehrzentrum und dessen Neffe Alexandre Song bei Arsenal London. Die Reihe könnte fortgesetzt werden – der Ausschnitt genügt, die Qualität und Vielseitigkeit des Kaders setzt sich fort.

Fette Beute für die Löwen

Lange hat der Kontinent auf die erste Weltmeisterschaft warten müssen. Dass es Südafrika wurde, hat nicht nur mit der Infrastruktur zu tun – sondern kann auch als Zeichen der FIFA in Richtung des ehemals durch die Apartheid geteilten Landes gesehen werden; als Beitrag zur Versöhnung zwischen weißer und schwarzer Bevölkerung. Doch die Wahrheit des Fußballplatzes stellt die politische Intention ins Abseits. Südafrikas Team ist weit von der Weltspitze entfernt. Mehr als das Achtelfinale wird "Bafana Bafana" nicht erreichen.

Roger Milla, hier 1994 als 42-Jähriger gegen Brasilien.

Roger Milla, hier 1994 als 42-Jähriger gegen Brasilien.

Vier weitere afrikanische Mannschaften sind neben Kamerun dabei. Doch sie alle sind zu unausgewogen, um den goldenen Pokal auf dem Kontinent zu behalten. Für Ghana wird Ghetto-Kid Kevin-Prince Boateng den Ausfall des verletzten Superstars Michael Essien nicht kompensieren können, Nigerias Kader lässt die Klasse vergangener Jahre vermissen und Algerien hofft lediglich, im Achtelfinale an Jogis Jungs die Revanche für die "Schande von Gijon" zu nehmen. Und die Elfenbeinküste? Sie kamen zwar ohne Niederlage durch die Qualifikation, haben aber ein Problem: Das Orange auf der Fahne. Ein Hinweis, dass die Ivorer das gleiche Schicksal wie Holland ereilen wird: Mit viel Selbstbewusstsein in der Vorrunde – und spätestens im Viertelfinale geht's nach Hause.

Kamerun dagegen wird die neue Euphorie ans Kap tragen und konservieren. Nach den enttäuschenden Quali-Ergebnissen unter Weltenbummler Otto Pfister kam Trainer Paul LeGuen. Der Franzose krempelte die Mannschaft um, gab Samuel Eto'o die Kapitänsbinde, bändigte die Partywut der Löwen und stellte das Spielsystem auf 4-3-3 um. Die neue Taktik LeGuens entspricht der Spielanlage seines Teams. Mit dem Ex-Coach von Lyon, den Rangers und Paris Saint-Germain nahmen die Löwen in der Qualifikation die Fährten der Konkurrenz auf und erlegten einen nach dem anderen. Vier Spiele, vier Siege und nur ein Gegentor waren die Beute – und das Ticket nach Südafrika die Belohnung.

"Das Feuer brennt"

Die WM in Italien ist 20 Jahre her. Roger Milla ist Geschichte. Aber das Löwenrudel um Anführer Samuel Eto'o eifert dem ältesten WM-Spieler aller Zeiten nach. Der neue Kapitän schwärmt: "Milla hat einen ganzen Kontinent entflammt mit seinen Toren und Tänzen. Dieses Feuer brennt noch heute." Die Hoffnung des zentralafrikanischen Landes liegt auf Eto'os Schultern – der sympathische Angreifer mit dem melancholischen Blick soll diese Flammen ins Finale tragen, bei dieser ersten WM auf afrikanischem Boden. Kamerun wird sich die historische Chance nicht entgehen lassen.

Um es mit den Worten des Fernsehkommentators vom Eröffnungsspiel 1990 zu sagen: "Ich darf ja nicht parteiisch sein, aber – lauft, meine kleinen schwarzen Freunde, lauft!"

Quelle: ntv.de

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