WM-Wunschkonzert auf n-tv.de Warum Südafrika es schaffen kann
09.06.2010, 11:53 UhrDie Chancen des Gastgebers aus Südafrika auf den Titel sind nicht existent. Schon das Achtelfinale wäre mit einem mittelklassigen Kader eine Überraschung. In einer gerechten Welt aber bliebe der WM-Pokal am Kap.

Je länger "Bafana Bafana" im Turnier bleibt, umso länger können sich die Fans am Erfolg berauschen.
(Foto: AP)
Blicken wir der Wahrheit ins Gesicht: Südafrika hat keine Chance. Gar keine. Nicht einmal eine Außenseiterchance, wie sie der Kollege Giannakoulis für die Griechen wittert. Das Team des Gastgeberlandes kann nur einen klangvollen Namen vorweisen, und den trägt der Trainer.
Carlos Alberto Parreira führte die Seleção bei der Weltmeisterschaft 1994 in den USA zum Weltmeisterschafts-Titel. Die Stützen der damaligen Mannschaft waren Elfmetertöter Cláudio Taffarel, Freistoßungeheuer Branco und Weltfußballer Romário. Ein großartig besetztes Team, das mit eiskalter Effizienz bestach.
Bekanntestes Gesicht der südafrikanischen Elf ist Steven Pienaar, der den deutschen Fans durch sein einjähriges Intermezzos bei der Dortmunder Borussia 2006/2007 ein Begriff sein könnte. Mittlerweile steht der Mittelfeldregisseur beim FC Everton unter Vertrag und ist damit einer der wenigen Spieler, die ihr Geld im Ausland und nicht in der heimischen, bestenfalls drittklassigen Premier Soccer League verdienen. Fifa-Chef Sepp Blatter traut Südafrika das Achtelfinale zu. Angesichts der mangelnden Qualität im Kader klingt das weniger nach einer Prognose als vielmehr nach einem Wunschtraum.
Der Präsident der Träume
Mit Träumen aber kennt sich der Präsident des Weltfußballverbandes aus - er verkauft sie. Nie war das so deutlich wie im Zuge von Südafrika 2010. Die erstmalige Vergabe der WM an ein afrikanisches Land sollte, das wurde Blatter nie müde zu betonen, nichts weniger als die Begleichung der historischen Schuld des entwickelten Westens an die ehemaligen Kolonien sein. "Wir wollen Afrika etwas zurückgeben", verkündete er während des Confederations Cup 2009.
Die Rechnung ist bestechend einfach. Das Turnier erfordert Milliarden-Investitionen in Stadien und Infrastruktur, neue Arbeitsplätze entstehen. Hunderttausende Fans kurbeln den Tourismus nachhaltig an. Unter dem Eindruck der gemeinsamen Unterstützung für "Bafana Bafana" schließt sich die auch 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid noch tief gespaltene Gesellschaft endlich zur "Rainbow Nation" zusammen.
Es braucht keinen Hang zum Pessimismus, um der Rechnung nicht zu trauen. Der von Politikern so gern beschworene positive gesamtwirtschaftliche Effekt von sportlichen Großevents ist ein Mythos, mehr nicht. Die Experten des Hamburger Weltwirtschaftsinstitutes sprachen unlängst in einer Studie von einer "Sonderkonjunktur", die keinen langfristigen Einfluss auf die ökonomische Situation Südafrikas haben werde.
Luxus im Armenhaus
Den Preis für das Strohfeuer bezahlt nicht die Fifa, sondern die Südafrikaner selbst. Laut verbreiteten Schätzungen investierte der Staat rund 3,2 Milliarden Euro in Bau- und Sicherheitsmaßnahmen. Mit zweifelhaftem Nutzen, denn niemand weiß genau, wer nach dem Turnier die für die heimische Liga absurd überdimensionierten Stadien füllen soll. Die Betreiber des Green Point Stadium in Kapstadt rechnen selbst bei guter Auslastung mit einem Verlust von 600.000 Euro pro Jahr. Wenn es um die Frage geht, was Blatters Verband als "nachhaltiges Vermächtnis" in Südafrika hinterlassen möchte, geht es nicht um dieses Thema. Lieber stellt die Fifa ihr soziales Engagement in den Vordergrund. "Football for Hope"-Center sollen im ganzen Land entstehen, und Jugendlichen eine Zukunft geben. Angesichts der Riesengewinne, die Blatter und Co. während der WM einstreichen werden, erscheint dies Kritikern nur als ein Tropfen auf dem heißen Stein.
"Es kann nicht sein, dass der Weltverband ein Land wie Südafrika dazu verpflichtet, beste Bedingungen für die WM zu schaffen, den Gewinn jedoch selbst abzieht und für das Land nichts bleibt.", fasst Joachim Merz im Interview mit dem österreichischen Fußball-Magazin "Ballesterer" die Kritik zusammen. Der Schweizer Gewerkschafter kämpfte an der Seite der südafrikanischen Kollegen für die Anhebung des Mindestlohns für die Stadionbauarbeiter. Erst organisierte Streiks unter Anteilnahme der Öffentlichkeit führten zum Erfolg, die Entlohnung lag nun wenigstens über dem Existenzminimum. Sepp Blatter ließ sich ebenfalls nicht lumpen und spendierte ausgewählten Arbeitern Tickets für die WM.
Dabei sein bei den Spielen wollten auch die zahlreichen fliegenden Händler, die Südafrikas Städte prägen. Sie hatten die Rechnung ohne die Fifa gemacht. Denn der Reibach mit dem Geld der Fußballtouristen wird in den gesonderten Zonen rund um die Stadien und die Public-Viewing-Leinwände gemacht. Wer dort hinein will, muss dafür teure Lizenzen erwerben. Organisationschef Danny Jordaan empfiehlt den Händlern, einfach auf andere Stadtgebiete auszuweichen. Dumm nur, dass die meisten Touristen aus Angst vor der hohen Kriminalität die sicheren Fanzonen bevorzugen werden.
Ein schöner Traum
Vielleicht ist das auch besser für die Fans. Sie würden mit einer Realität konfrontiert, die in krassem Gegensatz zum sündhaft teueren Glitzerevent Fußball-WM steht. Das Land belegt auf dem Human Development Index, mit dem die UN die Lebensqualität von Menschen misst, nur Platz 129 von 182 Nationen. Gerade unter der schwarzen Bevölkerung ist Armut weit verbreitet, im Wohlstand lebt fast ausschließlich die weiße Minderheit. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen der schwarzen Südafrikaner beläuft sich auf 1288 Euro, das ihrer weißen Landsleute auf 6976 Euro. Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat auch am Kap seine Spuren hinterlassen, die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 27 Prozent, inoffiziell bei 43 Prozent.
In dieser Situation braucht das Land gute Politiker, vielleicht auch Hilfe von außen. Aber keine Weltmeisterschaft, die gewaltige Investitionen erfordert, aber kaum positive Effekte zeitigt. Der Südafrika-Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zeichnete ein düsteres Bild der Zeit, wenn die Fußballwelt weitergezogen sein wird: "Manche prophezeien, die Weltmeisterschaft werde das letzte Aufleuchten Südafrikas sein, bevor das Land endgültig von seinen gewaltigen sozialen Ungerechtigkeiten nach unten gezogen wird."
Was die soziale Situation Südafrikas mit den sportlichen Aussichten der Nationalmannschaft zu tun hat? Gar nichts. Die Wirkung liegt anders herum. Je länger "Bafana Bafana" im Turnier bleibt, umso länger können sich die Fans am Erfolg berauschen und die harte Wirklichkeit hinter sich lassen. Ob man das positiv bewerten will oder nicht, dieses Phänomen gehört zur Faszination Fußball dazu. Und wenn Südafrika tatsächlich am 11. Juli den Rasen von Soccer City als Gewinner verließe, dann überdauerte doch etwas diese Weltmeisterschaft. Sepp Blatter und seine großen Versprechungen und noch größeren Gewinne bekäme man bald nur noch in Genf zu Gesicht. Der WM-Pokal bliebe am Kap. Ein schöner Traum.
Quelle: ntv.de