Was macht Ulrich Wehling? Gastarbeiter in der Schweiz
06.01.2004, 12:56 UhrIn seiner Schweizer Wahlheimat fühlt sich Ulrich Wehling "als Gastarbeiter und wirklich nicht als Steuerflüchtling". Als Renndirektor des Internationalen Skiverbandes FIS ist der dreimalige Olympiasieger hauptverantwortlich für jene Wintersport-Disziplin, die er einst selbst in nie wieder erreichter Perfektion beherrschte - die Nordische Kombination.
"Die Nordische Kombination ist auch durch die Erfolge eines Ronny Ackermann eindeutig im Kommen", sagt Wehling und hat dies doch selbst maßgeblicher gefördert, als der seit zwei Jahren im Weltcup dominierende Oberhofer. Die Einführung der Sprints in den Weltcup-Kalender hat Wehling, der 1972, 1976 und 1980 Olympia-Gold gewann und damit noch immer erfolgreichster Winter-Zweikämpfer aller Zeiten ist, ebenso forciert wie den Massenstart. Diese Wehling-Idee, den Lauf vor dem Springen auszutragen und beim Sprunglauf am Ende ohne Punktrichter nur die Weite zu bewerten, ist seit zwei Jahren fester Bestandteil in der Weltcup-Serie.
Seit 1992 ist Wehling in der FIS für seinen Sport zuständig, zunächst auf Honorarbasis, seit 1998 als fester Angestellter. Jedes Jahr im Oktober bekommt er einen neuen Stempel in seine Aufenthaltsgenehmigung und kann ein weiteres Jahr in der Schweiz arbeiten, verdienen und Steuern zahlen. In seinem angemieteten Haus in Seftigen in der Nähe des Thuner Sees verfolgt er zwar per TV die aktuellen Diskussionen in Deutschland um Steuern, Agenda 2010 und Gesundheitsreform, aber "wirklich nur am Rand, wenn ich Zeit habe. Und die ist knapp."
"Irgendwann" Rückkehr nach Deutschland
Trotzdem will der mittlerweile 51-Jährige mit seiner Frau, die frühere DDR-Top-Rodlerin Eva Maria Wernicke arbeitet in einem Rechenzentrum hauptsächlich für das Schweizer Bankwesen, "irgendwann in der Zukunft " nach Deutschland zurückkehren. Auch um seinen beiden erwachsenen Töchtern Nadja (26) und Jana (24) näher zu sein, die in Berlin und Leipzig beruflich gebunden sind.
Ein Abschied von der FIS ist für den ehemaligen Muster-Athleten, der es in der DDR nach der sportlichen Laufbahn als Funktionär bis zum Präsidenten des Skiverbandes brachte, "noch kein Thema. Ich habe viel Spaß bei der Arbeit und denke, noch viel bewegen zu können."
Nordischer Ritterschlag
Der Flachländer Wehling (geboren in Halle an der Saale), einst von Norwegens Skispringer-Legende Birger Ruud als "eine überragende Erscheinung wie Gröttumsbraaten" (Johan Gröttumsbraaten war in den 20er und 30er Jahren zweimal Olympiasieger und dreimal Weltmeister und ist seitdem einer der größten Volkshelden Norwegens) geadelt, will vor allem die Professionalität in seinem Sport weiter verbessern.
Wie auch schon im Bobfahren praktiziert, soll beim Massenstart der Beste so lange in einer speziellen Box präsentiert werden, bis jemand weiter springt. Wehling plagt sich mit der Disziplin der Athleten und Weltcup-Ausrichtern, die "das Produkt " Nordische Kombination nicht ausreichend pushen. "Es kann nicht sein, dass alle mehr verdienen wollen, aber nicht bereit sind, dafür auch etwas zu tun", sagt der Chef.
Immer ein Kämpfertyp
In seiner aktiven Zeit galt Wehling als einer der Sportler, die gerade in den Phasen der höchsten Belastung über sich hinauswachsen konnten. Wie 1972 im japanischen Sapporo, als der damals 19 Jahre alte Nobody dem großen Finnen Rauno Miettinen das schon sicher geglaubte Olympiagold raubte.
Vier Jahre später wehrte er als Sprunglauf-Sieger alle Attacken des in der Loipe überragenden Schonachers Urban Hettich ab und triumphierte 1980 noch einmal, obwohl ihn manche Experten nach Operationen an Schulter und Achillessehne und bereits 1978 geäußerten Rücktrittsplänen längst zum "alten Eisen" degradiert hatten.
"Ich bin im Training oft hundsmiserabel gesprungen. Aber ich war immer ein Kämpfertyp. Man kann verlieren, obwohl man kämpft. Und man kann verlieren, weil man resigniert. Für mich war sportliche Leistung immer eine Einstellungsfrage."
Von Peter Stracke (Sport-Informationsdienst)
Quelle: ntv.de