Begnadeter Provokateur Heinevetter brilliert im DHB-Tor
21.01.2012, 06:42 Uhr
Auf der Bank will Silvio Heinevetter nur nach dem Training sitzen.
(Foto: dpa)
Gegen Mazedonien saß Silvio Heinevetter lange auf der Bank, ehe er in der Schlussphase mit Glanzparaden den Zittersieg ermöglichte. Gegen Schweden stand er wieder von Beginn an im DHB-Tor und zeigte eine herausragende Leistung. Mit Carsten Lichtlein bildet der Berliner bei der Handball-EM ein starkes Torhüter-Duo.
Die Augen matt, der Kopf gesenkt: Die Szenerie tief unten in den Katakomben der Cair-Arena von Nis hatte etwas Surreales. Wie ein Häuflein Elend schleppte sich Silvio Heinevetter den Gang zur deutschen Umkleidekabine entlang. Der sonst so extrovertierte Torhüter, kurz zuvor Matchwinner beim 29:24 der deutschen Handballer gegen Schweden, wollte nur noch ins Bett. Trotz eines Magen-Darm-Infekts lieferte Heinevetter gegen die Skandinavier eines seiner besten Länderspiele - wohl auch wegen einer gehörigen Portion Wut im Bauch.
Silvio Heinevetter hasst es, auf der Bank zu sitzen. Geschlagene 53 Minuten lang hatte er zwei Tage zuvor zusehen müssen, ehe er seinen Torwart-Kollegen Carsten Lichtlein im EM-Krimi gegen Mazedonien ablösen durfte und sich sofort mit einem gehaltenen Siebenmeter einführte. Der Keeper mit dem unorthodoxen Stil, der bei Paraden gerne mal quer in der Luft liegt, sieht sich als klare Nummer eins.
"Ich will immer spielen. Wer auf der Bank sitzt, ist mir egal", hatte Heinevetter bereits vor der EM angekündigt. Heinevetter eckt an. "Als Torwart musst du nicht viel halten, du musst die wichtigen Bälle rausholen", sagt der 27-Jährige. Der Keeper der Füchse Berlin liebt die Provokation, rennt auch gern mal über den halben Platz, um einem Gegenspieler die Leviten zu lesen. "Es fällt mir schwer, mich zu zügeln", sagt Heinevetter und ergänzt: "Ich werde immer ausrasten. Das gehört bei mir dazu. Der eine braucht das halt, der andere nicht."
Ergänzung zum besonnenen Lichtlein
Mit seinem auffälligen Gebaren gibt Heinevetter den kompletten Widerpart zum introvertierten und unspektakulären Lichtlein. Während sich sein Torhüter-Kollege seit der Weltmeisterschaft 2007 mit der kleinen Nachtmusik von Wolfgang Amadeus Mozart auf ein Spiel vorbereitet, hält Heinevetter nicht viel von Ritualen. Auch in Sachen Spielvorbereitung hält er sich kurz. "Man muss sich auf die Schützen des Gegners vorbereiten - klar", sagt Heinevetter: "Aber ich bin nicht der Typ, der sich darauf versteift. 30 Prozent sind Vorbereitung, der Rest ist Intuition."
Bundestrainer Martin Heuberger mag die Mischung seiner Torleute. Besonnenheit bei Lichtlein, das Tollkühne, mitunter ein bisschen Verrückte bei Heinevetter. "Wir sind ein Team - jeder mit seinen Stärken und Schwächen. Die beiden ergänzen sich sehr gut", sagt Heuberger. Mit der Nominierung von Lichtlein im Mazedonien-Spiel stachelte er Heinevetter zur Höchstform an. "Ich kann mich auf Silvio verlassen. Immer wenn es um die Wurst geht, ist er da", sagt Heuberger.
Marke im Reifeprozess
Der Berliner Keeper ist zu einer Marke geworden - auch abseits des Handball-Feldes. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin, Tatort-Kommissarin Simone Thomalla, gehört er inzwischen zum Berliner Jetset, ziert nicht selten die Klatschseiten der Regenbogen-Presse. "Das ist mir völlig egal. Ich lasse so etwas gar nicht an mich heran. Bunte Blätter lese ich nicht", sagt Heinevetter. Sportlich ist der Torhüter in der Hauptstadt gereift, hat seine Starallüren bei dem Champions-League-Klub weitgehend in den Griff gekriegt.
"Ich sehe bei Silvio eine gewisse Entwicklung", sagt Ex-Nationalspieler Stefan Kretzschmar: "Er hat erkannt, dass man sich über die Mannschaft definiert, nicht über den Einzelnen." Heinevetter hat begriffen. Anstatt sich nach dem Mazedonien-Spiel über seine kurze Einsatzzeit öffentlich zu beschweren, biss er sich auf die Zunge. Wortlos war er an den wartenden Journalisten vorbeigegangen - und untermauerte zwei Tage später gegen Schweden seinen Führungsanspruch. Mit Leistung. Auf dem Platz. Und dort will Heinevetter im Hexenkessel von Belgrad ab 20.15 Uhr auch gegen EM-Gastgeber Serbien überzeugen.
Quelle: ntv.de, sid