Box-Idol Henry Maske zum Mauerfall "Ich bin ein Gewinner der Einheit"
06.11.2014, 21:07 Uhr
Maske als 19-Jähriger bei einem Länderkampf der DDR gegen Rumänien.
Henry Maske prägte die Sportwelt der 90er-Jahre. Seine Box-Ausbildung absolvierte er noch in der DDR - doch der Fall der Mauer eröffnete ihm eine ganz neue Welt. Im Interview mit n-tv.de spricht Maske über Duelle mit dem Klassenfeind und sein Begrüßungsgeld.
n-tv.de: Herr Maske, wann waren Sie das erste Mal in Westdeutschland?
Henry Maske: 1986 mit dem Zug von Berlin Ost nach Berlin West Richtung Frankfurt/Main zum Flughafen auf dem Weg nach Reno. Das war mein erster Kontakt, aber der Flughafen hat ja eher internationalen Charakter.
Und als die Mauer gefallen ist?
Meine Frau und ich sind das erste Mal am 12. über die Friedrichstraße eingereist, das war ein Sonntag.
Was waren Ihre ersten Eindrücke?
Für mich war es eine andere Situation als für Leute, die die DDR grundsätzlich in diese Richtung noch nie verlassen hatten. Ich war ein bisschen entspannter. Und das Fernsehen lügt doch nicht (lacht), die Realität stimmte mit den Bildern überein - und wenn man auf dem Kudamm langläuft, da hat man schon eine recht gute Straße erwischt. Auch der alte Teil der ehemaligen Bundesrepublik hat nicht nur wunderschöne Flecken, aber der Kudamm gehört zu den schönen.
Was haben Sie mit Ihrem Begrüßungsgeld gemacht?
Es war nicht mein erstes Westgeld, aber ich habe es mir trotzdem geholt. En masse hatten wir die Währung ja auch nicht. Wir sind - ohne da aus meiner heutigen Sicht eine Verbindung zu sehen - auf dem Kudamm zu McDonald's gegangen. Ich war beeindruckt von der Frequenz, die die Mitarbeiter da umgesetzt haben. Mir schien es einen Unterschied zu machen zu dem, was wir aus der DDR kannten - da war der Service überschaubar.
Sie sind im DDR-Sportsystem groß geworden, wurden 1988 Olympiasieger, 1989 Weltmeister. Was dachten Sie damals über Ihren Kollegen aus dem Westen?
Wir Boxsportler aus der DDR hatten große Vorteile. Wir trainierten mindestens zehn- bis zwölfmal die Woche, die Boxer aus der Bundesrepublik deutlich weniger. Sie trainierten vielleicht so häufig wie wir in der Betriebssportgemeinschaft - drei, viermal die Woche. Abgesehen von Ausnahmen machte sich der Unterschied im Ring bemerkbar, das ist ja nachvollziehbar. Insofern waren das Amateure, und wir waren die Profis im Amateursport.
Wie war Ihr Blick auf die Profiboxwelt?
Ganz nüchtern gesehen, geht es da um das Verkaufen eines Menschen, der dort seine Möglichkeit zur Ware macht und vor allem den Managern die Chance gibt, Geld zu generieren und dabei mehr oder weniger partizipiert.
Woher kam diese Sicht? War es einfach die offizielle Version, das, was Ihnen erzählt wurde?
Sicher, woher konnten wir es besser wissen? Und selbstverständlich traf es tatsächlich nicht nur einen Sportler als Profi am Ende hart. Es ist eben auch ein Geschäft. Unsere persönlichen folgenden Erfahrungen waren glücklicherweise deutlich humaner. Hier hatte jeder in der Dreierkonstellation zwischen Manager, Trainer und Sportler seine ganz persönliche Aufgabe. Und sie wird anteilig entlohnt. Wir taten das, was viele erfolgreiche ehemalige Amateure zum Beispiel in den USA auch machten. Sie wechseln zu den Profis, haben dank vorangegangenen Erfolges bei den Amateuren einen nennenswerten Marktwert, lassen sich den dann auch bezahlen.
Es gibt berühmte Beispiele vom Zweikampf der Systeme - wie das legendäre Ruder-Duell zwischen dem Westdeutschen Peter-Michael Kolbe und dem DDR-Mann Thomas Lange bei Olympia 1988. Sie waren damals auch in Seoul, wurden Olympiasieger. Inwieweit war es für Sie wichtig, woher Ihr Gegner stammte?
Grundsätzlich war mir egal, woher der Gegner kam. Ich musste ihn besiegen. Natürlich war es nicht unwichtig zu wissen, wo er her kommt - nicht weil ich seine politischen Ansichten erfahren wollte, sondern: Welche Möglichkeiten stecken dahinter? Das habe ich reflektiert. Ob es ein Kanadier war, ein Amerikaner, einer aus der Sowjetunion. Welche Ausbildung kann er genossen haben, was kann uns gegenüberstehen - und dann definiert man die Person über seine persönliche Leistung.
Was, wenn der Gegner aus der Westdeutschland kam?
Es war sinnvoll, einen Gegner aus der Bundesrepublik auch zu schlagen. Das wurde von politischer Seite so mitgeteilt - wir hatten einen Verbandstrainer, der politisch motiviert in unserem Kreis tätig war.
Kam der dann in die Kabine?
Nein, so weit ging es nicht. Es gab vor Wettkämpfen immer Meetings in der Gruppe. Jeder Gegner erhielt eine Wertung. Dass es hier sinnvoll war, besonders gut abzuschneiden, weil es der "Klassenfeind" war, der vor der Haustür, dem wir naturgemäß aufgrund unseres System komplett überlegen sind - und das müssen wir im Ring nachweisen. Natürlich wurde uns das nicht mit diesen Worten gesagt. Aber wir verstanden, wie es gemeint war.
Wie war Ihre Rolle als Sportler in der DDR – gerade auch im Vergleich zu Ihrer späteren Karriere?
Wir galten als Botschafter im Trainingsanzug. In der DDR hatten wir wenig Bodenschätze, keine hochqualifizierte Industrie. Wir hatten nur den Menschen. Da wurde investiert, überproportional zu unseren Möglichkeiten. Das kam uns Sportlern zugute. Die erforderliche Spitzenleistung mussten wir schon selbst entwickeln. Aber es war die Chance da, zu den Möglichkeiten derer in den Altbundesländern nicht vergleichbar. Wenn es dort einer geschafft hat, Hut ab.
Leider wurde dieses erfolgreiche System nur punktuell in die heutige Zeit gerettet. Es kostet eben auch viel Geld. Wer sich heute in der internationalen Industrie behaupten will, muss die Förderung des Nachwuchses professionell gestalten. Sonst wird er auf Dauer keine Rolle mehr spielen. Im Spitzensport hingegen warten wir, bis sich ein "förderungswürdiger" Athlet oder Athletin auf relativ hohem Niveau präsentiert. Erst dann beginnt vielleicht eine Förderung. Das geht so jedoch nicht.
Wie sah die DDR-Sportförderung denn bei Ihnen konkret aus?
Ich würde mir wünschen, dass wir heute vergleichbare Zustände hätten. Wir haben Sie hier, aber nicht in dieser flächendeckenden Qualität und Breite. Wir hatten eine tolle Kaderpyramide - vorausgesetzt die Sportart ist förderwürdig, in der Regel olympische Sportarten, die hat man in der Breite gefördert. Man hatte Sichtungen, je nachdem wie aktiv der Trainer der BSG und der Sportverbände war. Der ist reingegangen und hat Termine gemacht mit Sportlehrern, hat nach Talenten geguckt. Was die Qualität meiner Trainer angeht, da hatte ich immer Glück, sie waren sehr gut geschult, auch im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Das würde ich als professionell bezeichnen im Sinne von erfolgsorientiertem Arbeiten, aber auch im Sinne von Persönlichkeitsentwicklung.
Sie haben studiert, waren bei der Armee, Sportsoldat also. Wie war das Verhältnis Studium zu Training?
Henry Maske wurde am 6. Januar 1964 im brandenburgischen Treuenbrietzen geboren. Als Amateurboxer wurde er 1988 Olympiasieger und 1989 Weltmeister. Nach seinem Wechsel ins Profilager nach der Wende errang er 1993 den Weltmeister-Titel im Halbschwergewicht. Drei Jahre lang hielt er den Gürtel, bis er in seinem 31. Profikampf zum ersten Mal unterlag - gegen Virgil Hill. Nach der Niederlage trat Maske zurück. Heute arbeitet er u.a. als Franchise-Unternehmer von McDonald's. Seine Stiftung "A Place for Kids" kümmert sich um Kinder, die unter der Armutsgrenze leben. Maske unterstützt die Deutsche Sportlotterie, die Spitzenathleten unterstützen will.
Für mich war es ein Traum, was man uns bot. Es begann in der Sportschule. Ich konnte ab der 8. Klasse zweimal am Tag trainieren. Wir waren nur 15 Schüler in der Klasse, es wurde beidseitig Rücksicht genommen, Schule und Sport im Einklang. Später im Abitur waren wir zu fünft in der Klasse, das ist ja nicht gewöhnlich. Wenn wir dann mal aufgrund des Sports eine Auszeit nehmen mussten, den Kopf nicht frei hatten, kamen wir zurück und waren schnell wieder dabei. In der DDR umfasste die Abiturphase zwei Jahre, an der Sportschule wurde das auf drei Jahre gestreckt. Im letzten Jahr war ich schon Nationalkader, hatte Abstinenz in der Schule und war trotzdem befähigt, das mit komprimiertem Lernen hinzukriegen.
Wie sieht es heute aus?
Unsere Sportschule in Frankfurt/Oder ist nach wie vor noch aktiv. Es gilt sicher nicht für alle Bereiche, aber zum Teil hat das nicht mehr den Charakter einer elitären Auswahl, des gezielten Förderns. Ich habe vor einiger Zeit Boxer aus einer 8. Klasse beobachten können. Einige von den Sportlern hatten das Niveau eines Anfängers. Sie waren sehr bemüht, aber das reicht bekannterweise nicht. Die Jungs taten mir leid. Sie hatten wenig Chancen, solche wunderbaren Erfahrungen machen zu können, wie wir sie seinerzeit. Sport ist dann auch ehrlich. Das kann auch für die Seele schmerzlich werden. Bei uns haben sich 150 junge, motivierte und gut ausgebildete Boxer auf 15 mögliche Plätze beworben. Der Unterschied war extrem deutlich, die Erfolgsaussichten dementsprechend.
Nachdem die Mauer fiel, wechselten Sie ins Profilager - trotz Ihrer Vorbehalte. Woher der Sinneswandel?
Das war kein Sinneswandel. Aber da war eben der Mauerfall. Und ich habe ja schon deutlich gemacht: Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was ein Boxer geleistet hat, und dem Geschäft. Diese Sportler, die damals erfolgreiche Profis wurden - das war für uns auf einmal greifbar. Zu DDR-Zeiten hätte ich dafür mein Land verlassen müssen, das Thema bestand nicht, somit war es undenkbar, jemals Profi werden zu können, und ich musste mich damit nicht beschäftigen. Dass Manfred Wolke und ich recht schnell - wir waren ja die ersten Profis aus der DDR - diese Wende für uns genutzt haben, lag im Ursprung eben an dieser gedanklichen Perspektive. Eine weitere Animation war der Kampf zwischen Sugar Ray Leonards und Thomas Hearns bei meinem letzten Aufenthalt auf den Philippinen. Wir haben uns gesagt: Warum sollten wir dazu nicht befähigt sein? Die waren alle mal Amateure. So kam eins relativ schnell zum anderen. Aus heutiger Sicht leicht erzählt, aber vor fast 25 Jahren schon eine echte Herausforderung.
Als die ersten Gerüchte auftauchten, Sie könnten ins Profilager wechseln, haben Ihnen wütende Menschen vorgehalten, Sie sollten gefälligst das Geld zurückzahlen, das der Staat in Sie gesteckt hat. Hatten Sie Gewissensbisse?
Das kann ich leicht beantworten. Ich war in dieser Zeit maximal erfolgreich, deswegen hat man in mich investiert. Das Ziel war, dass ich bei den Turnieren Medaillen bringe. Glücklicherweise gehöre ich zu denen, die es geschafft haben. Das war aber mit dem Mauerfall vorbei. Dann habe ich genau das machen müssen wie jeder andere auch neben mir: Das, was Ihnen in welcher Form auch immer zur Verfügung stand, zukünftig anzuwenden.
Spielen Sie das "Was wäre, wenn die Mauer nicht gefallen wäre"-Gedankenspiel?
Die Frage stellen mir vor allem Journalisten öfter. Hypothetische Antwort: Wahrscheinlich wäre ich heute nach Beendigung meine Studiums Trainer geworden in Frankfurt/Oder und hätte Manfred Wolke irgendwann abgelöst oder wäre Nationaltrainer geworden. Weil ich diese Sportart wahnsinnig liebe und nach wie vor Wissen in mir habe. Das ist aber rein hypothetisch.
In der Debatte bewegen wir uns auch 25 Jahre nach dem Fall der Mauer im Kreis. Gerade ist wieder ein Streit darum entbrannt, ob die DDR nun ein Unrechtsstaat war oder nicht. Welche Perspektive nehmen Sie in diesen Debatten ein?
Ich bin Brandenburger, der heute im Rheinland lebt. Meine ersten 25 Jahre habe ich in der DDR verbracht – und in der Regel prägt natürlich das, was in Kindheit und Jugend passiert. Ich bin aus heutiger Sicht, nicht traurig darum, dass es so war. Ich hatte die Chance, aus dem, was ich bekommen habe, etwas zu machen - und das zu einer Zeit, wo es mir noch möglich war, das zu tun. Ich gehöre zu den Gewinnern dieser Einheit.
Mit Henry Maske sprach Christian Bartlau.
Quelle: ntv.de