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Sven Hannawald im WM-Interview "Im Einzelspringen herrscht absoluter Vollalarm"

Sven Hannawald rechnet fest mit deutschen Skisprung-Medaillen bei der WM in Seefeld.

Sven Hannawald rechnet fest mit deutschen Skisprung-Medaillen bei der WM in Seefeld.

Vor einem Jahr verzücken Andreas Wellinger und Richard Freitag die deutschen Skisprung-Fans. In dieser Saison ist es vor allem der junge Markus Eisenbichler. Aber hat er das Zeug zum Weltmeister? Wie viel Medaillen kann Deutschland holen? Wen gilt es zu schlagen - bei den Männern, bei den Frauen? Skisprung-Legende Sven Hannawald verrät es n-tv.de

n-tv.de: Herr Hannawald, Sie sind zurzeit beim deutschen Skisprung-Team in Seefeld. Wie ist die Stimmung?

Sven Hannawald

Sven Hannawald schrieb 2002 Sportgeschichte, als er als erster Springer überhaupt die Vierschanzentournee mit Siegen bei allen vier Wettbewerben gewann. Erst bei der Tournee 2017/2018 schaffte der Pole Kamil Stoch dieses Kunststück ebenfalls. 2018/2019 zog dann der Japaner Ryoyu Kobayashi als dritter Springer nach. Hannwald, 1974 geboren, wurde 2002 zudem Olympiasieger mit Deutschland im Mannschaftsspringen, er feierte zwei WM-Titel im Skifliegen und zwei mit dem Team im Skispringen. Heute ist er Unternehmensberater und arbeitet als TV-Experte für Eurosport.

Sven Hannawald: Die Stimmung ist gut, das konnte man an und nach den Trainingssprüngen sehen. Die Voraussetzungen für die WM stimmen.

Das klingt doch sehr positiv: Vor gut einem Jahr hat Deutschland olympische Medaillen gefeiert, wie stehen die Chancen auf WM-Edelmetall in diesem Jahr?

Die Zielsetzung, eine Einzelmedaille und eine im Team zu gewinne, ist erreichbar. Auch wenn die Konkurrenz speziell bei den Männern härter geworden ist, die Weltspitze enger zusammengerückt ist. Das hat zuletzt auch der Team-Wettbewerb in Willingen gezeigt. Dennoch: Gerade im Mannschaftswettbewerb ist die Medaille fest eingeplant - die Farbe hängt dann von der Tagesform ab.

Und im neuen Mixed-Team?

Da stehen die Chancen auf Edelmetall auch nicht schlecht. Da ist Deutschland sehr gut dabei.

In den Einzelspringen heißt der Favorit Ryoyu Kobayashi?

Vom Papier hier vielleicht schon. Aber es gibt daneben noch fünf, sechs, sieben Springer, die auch Titelchancen haben. Da herrscht dann mal absoluter Vollalarm: Kobayashi, Kraft, Stoch, Zyla, Kubacki ...

... und Markus Eisenbichler ...

Eisenbichler hat das Zeug, auf der Großschanze aufs WM-Podest zu springen.

Eisenbichler hat das Zeug, auf der Großschanze aufs WM-Podest zu springen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Ja, und Markus Eisenbichler. Er ist die große deutsche Medaillenhoffnung in meinen Augen. Allerdings gilt bei ihm: Kann sein, dass er gewinnt. Es kann aber auch sein, dass er den zweiten Durchgang nicht erreicht. Hopp oder Top. Die Trainingsleistungen in Seefeld bisher lassen mich aber hoffen, dass es eher Richtung Top geht für ihn.

Woran liegt diese fehlende Konstanz?

Eisenbichler ist noch jung. Er will immer noch mehr. Er ist so ein "Mit dem Kopf durch die Wand"-Typ. Im positiven Sinne. Aber dadurch überspannt er den Bogen ab und an.

Andreas Wellinger, der Olympiasieger von Pyeongchang, springt in dieser Saison nicht auf dem Niveau des Vorjahres. Ist der Erfolgsdruck zu hoch oder kam der Olympiasieg einfach überraschend?

Beides, denke ich. Der Sieg in Pyeongcnang hat uns alle überrascht und vom Hocker gerissen. Das war der absolute Wahnsinn. Danach sind die Erwartungen an ihn natürlich gestiegen, der Druck wächst, ähnlich starke Leistungen im Weltcup zu zeigen. Andererseits ist so ein Olympiasieg natürlich auch eine fantastische Erfahrung, die man machen darf. Das muss man dann auch erst einmal verarbeiten. Aber ich denke, er ist auf einem sehr guten Weg, findet seine Basis: Er holt sich gerade Sprung für Sprung neues Selbstvertrauen. Ich bin bei Wellinger guter Dinge.

Auch der Vorjahreszweite des Weltcups Richard Freitag ist in diesem Winter nicht mehr ganz vorn zu finden ...

Sven Hannwald räumt Richard Freitag Außenseiterchancen auf eine Medaille ein.

Sven Hannwald räumt Richard Freitag Außenseiterchancen auf eine Medaille ein.

(Foto: picture alliance/dpa)

Ja, auch er kämpft. Eisenbichler, Wellinger, Freitag - sind drei komplett verschiedene Typen. Vergleiche verbieten sich daher eigentlich. Freitag kann und hat - ähnlich wie Wellinger - bereits gezeigt, dass bei Großveranstaltungen und Weltcups mit ihm zu rechnen ist. Die Erwartungshaltung vor der Saison war bei ihm einfach größer als bei einem Eisenbichler. Dann bleiben bei Freitag die Erfolge aus. Mittlerweile ist auch er wie eben Wellinger auf einem guten Weg. Von Sprung zu Sprung denken, nicht zu schnell zu viel wollen, nichts übertreiben. Da ähnelt er dann wiederum Eisenbichler.

Also eine Einzelmedaille wird im deutschen Team angepeilt. Wo liegen denn die größeren Chancen: auf der Normal- oder auf der Großschanze?

Das ist schwierig im Vorfeld zu sagen, denn die Wetterbedingungen können da eine entscheidende Rolle spielen. Auf der Großschanze sind die klassischen Flieger im Vorteil, ein Eisenbichler beispielsweise. Auf der Normalschanze ist das Feld enger beisammen, die Benotung der Sprünge kann da entscheidend sein. Ganz allgemein kann an einem guten Tag jeder Deutsche auf jeder Schanze ganz weit vorne landen. Bei Eisenbichler oder Geiger sind die Chancen derzeit einfach nur etwas größer. Aber Wellinger und Freitag sollte man durchaus auch auf dem Zettel haben.

Gibt es Springer, die mit den Schanzen in Seefeld von Natur aus gut zurechtkommen, denen die Schanzenanlage besonders liegt?

Piotr Zyla halte ich für den Sprungkräftigsten. Den sollte man auf der Normalschanze im Blick haben. Aber auch ein Stoch, Kobayashi oder Kubacki mit einer höheren Flugkurve muss man auf dem Zettel haben.

Der Japaner Kobayashi dominiert bei den Männern den Weltcup. Bei den Frauen ist die Norwegerin Maren Lundby das Maß der Dinge. Hinter ihr geht es dann meist eng zu, auch mit Juliane Seyfarth, Carina Vogt und Katharina Althaus. Wie ist es da um die deutschen Medaillenchancen bestellt?

Lundby ist die große Favoritin. An ihr müssen sich die anderen messen. Dahinter, stimmt, geht es sehr eng zu. Sara Takanashi, Seyfarth, Vogt, Althaus ... Ich denke, eine deutsche Medaille ist auch da drin, auch oder gerade weil die Weltspitze bei den Frauen enger zusammengerückt ist und ein hohes Niveau gesprungen wird.

Mit Sven Hannawald sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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