"Disastro Donadoni" Italiener suchen Schuldigen
10.06.2008, 13:32 UhrDemontage, Debakel, Demütigung: Nach der historischen Schmach gegen die Niederlande herrscht im Land des Weltmeisters das blanke Entsetzen. "Es war eine schwarze Nacht für unseren Fußball", räumte der italienische Nationaltrainer Roberto Donadoni nach dem historischen 0:3 (0:2) gegen Oranje ein.
Dabei ist es gerade der frühere Nationalspieler, der nach der höchsten Pleite einer Squadra Azzurra seit 25 Jahren am Pranger und zudem vor einem baldigen Rauswurf steht.
Von den eigenen Spielern gab es leise Kritik, vor allem aber die Medien nahmen den 44 Jahre alten Trainer gleich unter Beschuss. "Disastro Donadoni", titelte die große Sportzeitung Corriere dello Sport in riesigen Lettern über einem Foto des verzweifelten Donadoni auf Seite eins.
Die Gazzetta dello Sport drückte aus, was die Tifosi nach der höchsten Niederlage bei einer EM-Endrunde empfanden: "Gute Nacht, Italien!" Nach ihrer Auftaktpleite droht der Squadra Azzurra wie schon 1996 und zuletzt 2004 das Vorrunden-Aus.
Donadoni macht Mut
Davon will Donadoni, der nach dem WM-Triumph 2006 das schwere Erbe von Marcello Lippi antrat, freilich noch nichts wissen: "Wir haben die Qualität und Mentalität, um uns aus eigener Kraft aus der schwierigen Situation zu befreien", dozierte er.
Es geht dabei auch um seine Zukunft: Der Vertrag des ungeliebten Trainers verlängert sich nach dem Turnier nur unter der Bedingung bis 2010, wenn Italien das Halbfinale erreicht. Doch davon ist der viermalige Weltmeister weit entfernt. Inzwischen wurden erste Rufe nach einem Comeback von Lippi laut, der sich seit dem WM-Finale in eine Auszeit gönnt.
Nach seiner verpatzten EM-Premiere als "Commissario tecnico" musste Donadoni schon in der Pressekonferenz nach dem Abpfiff in Bern einige unangenehme Fragen zur Aufstellung beantworten. Oder jene: Ob seine überalterte Mannschaft mit zahlreichen Spielern in der 30-ern dem hohen Tempo des Gegners Tribut zahlen musste?
Pirlo übt leise Kritik
Derweil formulierte Mittelfeldspieler Andrea Pirlo in den Katakomben des neuen Wankdorf-Stadions leise Kritik an Donadonis Personal-Entscheidungen: "Grosso und Del Piero hätten früher eingesetzt werden müssen. Doch jetzt macht es keinen Sinn mehr, sich Vorwürfe zu machen. Wir müssen in die Zukunft schauen, wenn wir die Lage ändern wollen."
Donadoni hatte die Mannschaft unerwartet offensiv mit drei Sturmspitzen aufgestellt. Es war eine Formation, die an die hohe Offensivschule von Arrigo Sacchi erinnerte. Unter der italienischen Trainerlegende hatte Donadoni einst beim AC Mailand hautnah miterlebt, dass Angreifen nicht nur attraktiv, sondern auch erfolgreich sein kann - wenn die Defensive zuverlässig steht.
Ungeordneter Hühnerhaufen
Doch nach dem Ausfall des "Sicherheitsbeauftragten" und Kapitäns Fabio Cannavaro, der sich im ersten Training einen doppelten Bänderriss im Sprunggelenk zugezogen hatte, glich die Abwehr hinter einem ungeordneten Mittelfeld phasenweise einem Hühnerhaufen. Am Ende setzte es die erste Niederlage gegen Oranje seit dem 1:2 bei der WM 1978 in Argentinien.
"Sind das die Weltmeister?", fragte La Stampa und Gazzetta dello Sport resümierte: "Jetzt braucht man ein Meisterwerk, um eine Mannschaft auf Krücken wieder fit zu machen, die machtlos wie Cannavaro und verwirrt wie Donadoni ist."
Schlüsselspiel gegen Rumänien
Doch Donadoni gibt sich kämpferisch: "Jetzt müssen wir das Spiel schnell aus den Köpfen streichen, denn nun geht es am Freitag gegen Rumänien, und das ist schon ein Schlüsselspiel für uns. Wir wollen noch nicht in den Urlaub." Lediglich den Punktverlusten der Gruppen-Konkurrenten Frankreich und Rumänien (0:0) konnte er am wohl bittersten Tag seiner Trainer-Karriere Positives abgewinnen.
Der 33 Jahre alte Alessandro Del Piero, der nach seiner Einwechslung noch für die spektakulärsten Offensivaktionen sorgte, appellierte: "Wir müssen alle Verantwortung übernehmen. Es ist der einzige Weg, um nicht auszuscheiden. Wir müssen gegen Rumänien hundert Prozent leisten und wenn möglich noch mehr." Ansonsten könnte der kommende Freitag, der 13., als einer der schwärzesten Tage in die Geschichte des italienischen Fußballs eingehen.
Quelle: ntv.de