Die Tragödie des Robert Enke Jetzt wollen alle umdenken
12.11.2009, 13:13 UhrDer Mikrokosmos Profi-Fußball will sich öffnen: Einhellig forderten Spitzenfunktionäre, Trainer und Spieler nach dem Tod von Nationaltorwart Robert Enke ein rasches Umdenken und wollen Lehren aus dem tragischen Fall ziehen.

Die Menschen tragen sich am Mittwoch vor der Fußball-Arena in Hannover in ein Kondolenzbuch für den verstorbenen Nationaltorwart Robert Enke ein.
(Foto: dpa)
"Depressionen dürfen kein Tabu-Thema sein", sagte Holger Hieronymus, Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Gemeinsam mit der Vereinigung der Vertragsfußballer (VdV) und unter Einbeziehung der Kommission Sportmedizin des DFB werde ein offenerer Umgang mit dem Thema angestrebt. Die Beisetzung von Enke, der sich am Dienstagabend das Leben genommen hatte, ist am Sonntag im familiären Kreis in Empede, einem Ortsteil von Neustadt, geplant. Dort befindet sich auch das Grab seiner 2006 verstorbenen Tochter Lara. Zuvor findet in der AWD-Arena die Abschiedsfeier statt, zu der Hannover 96 mehrere zehntausend Menschen erwartet.
Fast 40.000 Menschen hatten am Mittwochabend bei einem stillen Trauermarsch Enkes gedacht. Als Reaktion auf den Tod des achtmaligen Nationalspielers erwägt Hannover 96 die Verlegung des Spiels am 22. November bei Schalke 04. "Das ist noch nicht konkret, aber wir denken über die Möglichkeit nach", sagte 96-Manager Jörg Schmadtke, "im Moment ist es sehr schwierig, die Situation abzuschätzen. Wir müssen abwarten, wie sich die Mannschaft präsentiert". Die Profis trainieren derzeit nur individuell. Abgesagt sind bereits alle Spiele der Jugendmannschaften für das kommende Wochenende.
"Es sind ja doch nur junge Menschen"
Immer noch fassungslos und ungläubig gab Schmadtke in einem NDR- Interview zu bedenken. "Wir haben eine Aufgabe gestellt bekommen von Robert, über die sollten wir nachdenken". Für Hannovers Clubchef Martin Kind ist die intensivere Betreuung junger Menschen eine mögliche Antwort. "Vom Grundsatz bin ich tief überzeugt, dass wir lernen müssen, uns zu öffnen", meinte Kind. Nürnbergs Manager Martin Baader sieht das größte Problem im riesigen Erwartungsdruck: "Die Spieler müssen immer funktionieren. Das müssen alles Helden sein. Aber es sind ja doch nur alles junge Menschen."
Werder Bremens Trainer Thomas Schaaf richtete vor dem ersten Training nach Enkes Suizid einen emotionalen Appell an seine Spieler. "Scheut euch nicht, jemandem zu helfen! Scheut euch nicht, Hilfe zu suchen! Achtet aufeinander!", so Schaaf, seit mittlerweile 31 Jahren im Geschäft, "für Schwäche ist in dieser Gesellschaft kein Platz". Verlangt würden "Stärke, Tatkraft, Überzeugung - das sind Kennzeichen, die unser Metier bestimmen". Der 48-Jährige ist sich der Verantwortung in den kommenden Wochen bewusst. "Wir sollten das Thema bearbeiten, wir müssen darüber sprechen."
"Das sind keine eiskalten Millionäre"
Im Kreis der Nationalmannschaft wurde sehr viel gesprochen. DFB- Generalsekretär Wolfgang Niersbach nannte denn auch die "persönliche Betroffenheit" der Spieler und der Trainer um Joachim Löw nach Enkes Tod als wichtigstes Kriterium für die Absage des Länderspiels gegen Chile. "Das sind keine eiskalten Millionäre, die Nationalspieler geworden sind. Das hat mit Gehalt, Status, Star nichts zu tun - sie haben einen Freund verloren", sagte Niersbach. Der Selbstmord des nur 32 Jahre alt gewordenen Torhüters habe die Kollegen innerlich aufgewühlt. "Jeder hat sich gefragt, hast du etwas verpasst", schilderte Niersbach die Erschütterung im Team.
Auch wenn dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) durch die Absage des Freundschaftsspiels etwa fünf Millionen Euro an Einnahmen entgehen, spielt Geld keine Rolle. "Wir wollen auch gar nicht über den wirtschaftlichen Aspekt sprechen", erklärte Niersbach. Die rund 37.000 Eintrittskarten, die für die Partie am Samstag in Köln schon verkauft waren, werden vom DFB zum vollen Preis einschließlich aller Gebühren zurückgenommen, berichtete der Generalsekretär. Köln stehe als Austragungsort für ein Länderspiel im zweiten Halbjahr 2010 ganz oben auf der Liste beim DFB.
Enkes Selbstmord sorgte auch im Mutterland des Fußballs für Mitgefühl. Die renommierte Tageszeitung "The Times" bringt als Aufmacherfoto auf Seite eins ein großformatiges Bild der Enke-Witwe Teresa unter der Überschrift: "Manchmal reicht Liebe nicht aus". Italiens "Corriere della sera" titelte: Deutschland unter Schock nach dem Selbstmord von Enke. Der Abschiedsbrief im Schwarzen Herbst der gefallenen Helden."
Quelle: ntv.de, dpa