Olympiasiegerin klagt laut an Kati Witt: "Jutta Müller hat Demütigung nie verwunden"
06.12.2023, 11:07 Uhr
Jutta Müller (l.) und Kati Witt brachten den Glamour in die DDR. Hier eine Aufnahme wohl aus dem Jahr 1985.
(Foto: IMAGO/Sven Simon)
Anfang November 2023 verstirbt Jutta Müller, die legendäre Trainerin der zweimaligen Olympiasiegerin Kati Witt. Einen Monat danach klagt die ehemalige Eiskunstläuferin das Verhalten des deutschen Sports nach der Wende an. Es habe eine "Mentalität des Abrechnens" geherrscht. Müller sei dieser zum Opfer gefallen.
Die ehemalige Eiskunstläuferin Katarina Witt hat in einem Interview in der aktuellen Ausgabe des "Zeit Magazin" über Leistungssport in der ehemaligen DDR sowie über das harte Training unter ihrer kürzlich verstorbenen Trainerin Jutta Müller gesprochen. "Natürlich war unser Leistungssportsystem brutal, weil man so schnell aussortiert werden konnte", sagte Witt. "Diese Form der Auslese war gnadenlos, es ging von Beginn an immer nur um Leistungssport."
Die Härte ihrer Trainerin Müller wertete Witt als Disziplin: "Ich habe kein einziges Mal erlebt, dass sie sich hat gehen lassen. Aber weil ich selbst ein klares Ziel hatte, habe ich ihre Strenge ganz selbstverständlich hingenommen." Jutta Müller war in den Siebziger- und Achtzigerjahren die erfolgreichste Eiskunstlauftrainerin der Welt, sie machte Witt zu einem Weltstar. Mit der Wiedervereinigung verlor Müller ihren Job.
"Die Demütigung, die ihr durch die damalige Eislauf-Union zugefügt wurde, hat sie nie verwunden", sagte die zweimalige Olympiasiegerin Witt. "Mir schien es, als hätte unter den westdeutschen Sportfunktionären eine Mentalität des Abrechnens geherrscht. Die DDR-Sportler waren vor der Wiedervereinigung meistens diejenigen, die gewannen. Jetzt konnten sie ihre Position nutzen, um sich selbst endlich wie 'Sieger' aufzuführen." Die 58-Jährige sagte weiter: "Damals ist zur Wendezeit einfach viel zu viel falsch gelaufen, mit viel zu vielen Menschen, deren Lebensleistungen mit Füßen getreten wurden."
Der Bruch kommt nach der Wende
Müller, die es in ihrer Trainerlaufbahn auf drei olympische Goldmedaillen, zehn Welt-, 18 Europa- und 42 DDR-Meistertitel gebracht hat, verstarb Anfang November im Alter von 94 Jahren. "Mit ihr verliert die Eiskunstlauf-Welt eine der größten Trainerpersönlichkeiten und ist bestürzt über ihren Tod", hatte Andreas Wagner, der Präsident der Deutschen Eislauf-Union (DEU), nach ihrem Tod gesagt.
Der ehemalige DEU-Sportdirektor Udo Dönsdorf hatte sie als linientreue Arbeiterin im System der Deutschen Demokratischen Republik beschrieben. Er sagte: "Sie verkörperte diese Erfolge der DDR, sie wusste, wie man Erfolg produziert. Und das DDR-System war wie für sie gemacht, bot ihr alle Möglichkeiten, weil Eiskunstlauf den Touch des Schillernden hatte."
Die einstige Lehrerin für Deutsch, Musik, Mathematik und Sport war bereits 1946 in die SED eingetreten und fand nach dem Zusammenbruch des Systems keinen Anschluss an die neue Zeit. "Das DDR-System konnte ja nicht übernommen werden. Das ist mir jetzt klar. Aber es hätte trotzdem weitergehen können. Ich war damals eigentlich verzweifelt, dass diese ganze Supernachwuchsarbeit von heute auf morgen nicht mehr existieren konnte", sagte Müller später einmal der "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Die ehemalige DDR-Meisterin im Paarlauf wurde im Dezember 2008 zur Ehrenbürgerin der Stadt Chemnitz ernannt und bereits vier Jahre vorher in die Hall of Fame der Eiskunstläufer aufgenommen.
Quelle: ntv.de, sue