Schwartzman fordert Nadal heraus Kleiner Tennis-Star mit deutschen Vorfahren
09.10.2020, 09:44 Uhr
Diego Schwartzmans Erfolg ist ein Produkt seines unbändigen Willens.
(Foto: imago images/Paul Zimmer)
Im besten Spiel der diesjährigen French Open schlägt Diego Schwartzman den Österreicher Dominic Thiem. Der spektakuläre Sieg des Argentiniers überrascht auch deshalb, weil er gerade einmal 1,67 Meter groß ist. Wer ist der Mann, der heute das größte Match seiner Karriere spielt?
Fast schon etwas leichtsinnig schlug Dominic Thiem im Stade Roland Garros den Matchball seines Kontrahenten ins Netz. Verübeln konnte ihm den misslungenen Slice in einem denkwürdigen Viertelfinale der French Open allerdings niemand: Über fünf Stunden und acht Minuten hatte sich der Österreicher ein packendes Match mit Diego Schwartzman geliefert - für viele war es das bislang beste Tennisspiel des Jahres.
"Es war eine richtige Achterbahnfahrt. Natürlich fühle ich mich jetzt schlecht und leer, aber ich habe mir wenig vorzuwerfen", sagte Thiem kurz nach dem Spiel. Gegen Schwartzman hatte der Österreicher über weite Strecken hochklassiges Tennis gezeigt und immer wieder sein kraftvolles, schnelles Spiel aufblitzen lassen. Doch in diesem Viertelfinale war ihm sein Gegner ausnahmsweise einmal physisch überlegen: Im entscheidenden fünften Satz hatte der Argentinier mit dem deutschen Nachnamen noch ein paar mehr Körner übrig, gewann den finalen Durchgang verdient und siegte so mit 7:6, 5:7, 6:7, 7:6 und 6:2. Wenn der 28-Jährige am Freitag (ab 14.50 Uhr/Eurosport) auf Rafael Nadal trifft, steht eines bereits jetzt schon fest: Dieses Spiel wird ein Kampf der Mentalitätsmonster.
Diego Schwartzman - Fachleuten wird der Name schon länger ein Begriff sein, Zuschauern, die den Fernseher nur bei Grand-Slam-Turnieren einschalten, eher nicht. Wer ist das Kraftpaket, das bei Spielen seine Kappe verkehrt herum trägt?
Ist "El Peque" der kleinste Tennisprofi der Welt?
Zunächst einmal fällt Schwartzmans Körpergröße auf - er ist fast einen halben Meter kleiner als Ivo Karlovic. Der Kroate ist mit seinen 211 Zentimetern der größte Profi-Tennisspieler der Welt und hat, auch dank seiner außergewöhnlichen Anatomie, bereits mehrere Rekorde aufgestellt. So hat Karlovic 2009 einmal 55 Asse geschlagen, in einem einzigen Spiel. Diego Schwartzman hingegen verkörpert das andere Extrem. Auf der Website gibt die ATP seine Größe mit 1,70 Meter an. In Wahrheit misst "El Peque" (deutsch: der Kleine), wie er in seiner Heimat genannt wird, nur 1,67 Meter. Er ist damit der wahrscheinlich kleinste männliche Tennisprofi der Welt.
"Wenn ich einen Tennisplatz betrete, denke ich nicht daran, wie groß ich bin oder wie viel größer mein Gegner ist. Ich weiß, dass es einen Unterschied gibt, aber was soll's?", sagt der Südamerikaner. Mit seiner Physis hat er sich arrangiert, doch das war nicht immer so. Als er 13 ist, prognostizierten ihm die Ärzte, dass er wahrscheinlich nie größer als 1,70 Meter werde. Auf dem Weg nach Hause war der Junge untröstlich, begrub in Gedanken bereits den Traum einer großen Tennis-Karriere. Vor allem seiner Mutter verdanke er, trotzdem weitergemacht zu haben: "Sie hat mich immer unterstützt und gesagt, dass meine Körpergröße mich nicht von meinem Traum abhalten kann."
15 Jahre später hat Schwartzman aus der Not eine Tugend gemacht. Gegen Thiem, der aktuell in absoluter Topform ist, raste er stundenlang über das Feld. Er spielte Stops, Volleys, tolle Passier- und Gewinnschläge und bewies in den Tie-Breakes immer wieder außergewöhnliche Nervenstärke. Als bei Thiem im letzten Satz langsam die Kräfte schwanden, spielte der "Sandplatzwühler" einfach weiter. "Ich freue mich für ihn. Gegen einen Freund zu verlieren, tut ein bisschen weniger weh", sagte Thiem nach dem Duell, in dem er erstmals in mehr als fünf Stunden auf dem Feld gestanden hatte. Thiems Worte zeugen einerseits von seiner Fairness und sind gleichzeitig ein Beleg dafür, wie es um die Beliebtheit seines Gegners unter seinen Konkurrenten steht.
Den Namen hat er von einer Fußball-Legende
Beliebt ist Schwartzman auch in seinem Heimatland Argentinien. In seiner Heimatgemeinde in Buenos Aires ist er ein regelrechter Star. Das liegt zum einen an seinem bodenständigen, sympathischen Auftreten und zum anderen auch in der bewegten Geschichte seiner Familie. In der findet man schließlich auch den Grund, woher der Südamerikaner seinen deutschen Nachnamen hat.
Schwartzmans jüdische Vorfahren lebten lange Zeit in Deutschland, bis seine Urgroßeltern zu Beginn des Zweiten Weltkriegs vor den Nazis fliehen mussten. Die Uroma saß schon in einem der Waggons nach Auschwitz, konnte nur wie durch ein Wunder entkommen und entschied sich, mit ihrem Mann nach Südamerika auszuwandern. Argentinien galt nicht nur für Kriegsverbrecher als beliebtes Fluchtziel. "Es kamen viele, viele Deutsche in dieser Zeit nach Argentinien, auch viele Juden. Es kamen nicht nur Nazis", so der Tennisprofi.
Die Familie fand sich in der neuen Heimat schnell zurecht, baute eine Schmuck- und Kleiderfabrik auf und erarbeitete sich einen gewissen Wohlstand, berichtet der 1992 geborene Schwartzman in einem Gastbeitrag auf atptour.com. Als die argentinische Regierung dann aber in den 90er Jahren Importe stoppte, verlor die Familie alles. Statt Urlaub in einem der vielen Ferienhäuser der Familie zu machen, war es den sportbegeisterten Schwartzmans kaum noch möglich, ihrem Sohn die Tennisstunden zu bezahlen. "In dieser Zeit spielte ich viel Fußball", schreibt der heutige Tennis-Star, der nach der argentinischen Fußball-Legende Diego Maradona benannt ist.
Erst mit 13 beschließt der durchaus talentierte Kicker, das finanzielle Risiko einzugehen und sich voll und ganz dem Tennis-Sport zu widmen. Er reist mit seiner Mutter durch Südamerika und später um die Welt. Um die teuren Reisen irgendwie zu finanzieren, verkaufen die beiden in ihren Hotels selbstgemachte Kautschuk-Armbänder. "Wir taten alles, was wir tun konnten, um Geld für Turnierreisen und die Reisekosten zu bekommen", blickt Schwartzman auf die schwierige Zeit zurück.
"Was mache ich hier eigentlich?"
Hätte dem jungen Diego damals jemand gesagt, dass er eines Tages einmal in einem French-Open-Halbfinale stehen würde, hätte er das wohl kaum geglaubt, denn beinahe wäre die teure Wette der Schwartzmans auf die Zukunft ihres Sprösslings in die Hose gegangen. Ein Top-Junioren-Spieler war er nämlich nicht. Nur ein einziges Mal hat er an einem Junior-Grand-Slam teilgenommen, bei dem er in der ersten Runde direkt wieder ausschied. Er kann sich noch genau an diesen schmerzenden Moment erinnern: "Ich hatte damals meine Eltern am Telefon und gesagt: Was mache ich hier eigentlich?"
Doch Schwartzman, dessen Spielstil viele an den des ebenfalls kleinen David Ferrer erinnert, gibt nicht auf. Im Oktober 2012 gewinnt er sein erstes ATP-Challenger-Turnier. Es folgen immer mehr Turniersiege, bis zuletzt nimmt er über sieben Millionen Dollar Preisgeld ein. Die finanziellen Sorgen der Familie hat er damit mehr als nur hinter sich gelassen.
"Ich hätte mir nie vorstellen können, dass meine Karriere dort ist, wo sie jetzt ist. Aber egal, womit ich zu tun hatte, ich habe immer hart gearbeitet, und ich glaube, dass ich durch das Überwinden dieser Hürden ein besserer Konkurrent und ein noch besserer Mensch geworden bin", sagt Schwartzman. Wie gut er wirklich ist, wird er gegen Rafael Nadal zeigen müssen. Im Halbfinale ist der Weltranglisten-14. klarer Außenseiter gegen Nadal, der das Turnier in Paris schon zwölf Mal gewonnen hat.
Angesprochen auf sein Selbstvertrauen, erklärt Schwartzman auf der Pressekonferenz nach dem Viertelfinale: "Besonders groß sollte das normalerweise nicht sein, schließlich steht es nach Siegen 10:1 für ihn", sagt er schmunzelnd, bevor er mit ernster Stimme hinzufügt: "Aber diese Woche kann ich ihn schlagen."
Quelle: ntv.de