Burrow brilliert, Bengals mies Kollektives Langzeit-Versagen bringt Star um den MVP-Titel
07.01.2025, 21:21 Uhr
Joe Burrow hatte Chancen auf eine persönliche Auszeichnung.
(Foto: IMAGO/Imagn Images)
Die Cincinnati Bengals verpassen zum zweiten Mal in Folge die Playoffs der NFL - und das, obwohl Joe Burrow und Ja'Marr Chase fast Woche für Woche brillieren. Der Star-Quarterback könnte fortan mehr Mitsprachrecht einfordern.
Sonntagnacht dämmerte es allmählich allen Verantwortlichen und Anhängern der Cincinnati Bengals, dass sie die Playoffs wieder verpassen werden. Als sich ein Team voller Reservisten der Kansas City Chiefs, die bereits Position eins in ihrer Conference sicher hatten, von den Denver Broncos zerlegen ließen. Am Ende gewannen die Broncos mit 38:0 im Empower Field at Mile High, ein seltener "Shutout", wie Zu-Null-Spiele genannt werden, in dieser NFL-Saison. Noch in der Vorwoche hatten die Bengals die Broncos in einer dramatischen Verlängerung geschlagen und sich am darauffolgenden Samstag mit einem knappen 19:17 gegen kriselnde Pittsburgh Steelers in eine gute Ausgangsposition gebracht.
Cincinnati musste auf Ausrutscher von Denver sowie den Miami Dolphins hoffen. Das Team aus Florida verlor sogar mit 20:32 gegen die New York Jets am Sonntagabend, aber Denver leistete sich keinen Ausrutscher, sondern buchte das Playoff-Ticket. Den Einzug in die finale Phase der NFL-Saison haben die Bengals aber ohnehin in den ersten Wochen der Spielzeit verpasst. Wie schon in den Vorjahren startete Cincinnati unter Leitung von Cheftrainer Zac Taylor schwach in die Saison - es gab drei Niederlagen gegen New England, Kansas City und Washington.
Somit waren Taylor und seine Spieler direkt ab dem September unter enormem Druck. Sie liefen jedoch nicht nur von der Ergebnisbilanz der Musik hinterher, sondern zeigten erschreckende Schwächen in der Defensive. Folglich geriet der am Tag nach dem letzten Spiel entlassene Defensive Coordinator Lou Anarumo zwischenzeitlich in die Kritik, nach und nach wurde jedoch deutlich, dass den Bengals in der Defensive die personelle Qualität fehlte. Abgesehen von Trey Hendrickson und zwei oder drei anderen Verteidigern hielt sich viel Mittelmaß im Team der Bengals auf. Die Baltimore Ravens etwa hatten in der ersten Saisonhälfte auch defensive Probleme, konnten sich aber nach einem knappen 34:35 in der zehnten Spielwoche zunehmend steigern, weil an sich Qualität in den Verteidigungsreihen vorhanden war. Es lag vornehmlich an taktischen Unzulänglichkeiten.
Burrow und Chase brillieren
Was die Bengals zwischenzeitlich fast in den Wahnsinn treiben musste, war die krasse Diskrepanz zwischen Offensive und Defensive. Denn bei eigenem Ballbesitz spielten Burrow und Wide Receiver Nummer eins Ja'Marr Chase ganz groß auf. In der nun zu Ende gegangenen Regular Season hat Burrow im ligaweiten Vergleich die meisten Touchdowns per Pass erzielt und den meisten Raumgewinn per Pass produziert. Chase wiederum führt die Liga bei gefangenen Touchdown-Pässen und Raumgewinn durch gefangene Pässe an. Wären die Bengals etwas besser durch die Saison gekommen, wäre Burrow ein heißer Anwärter auf den MVP-Award und Chase würde sich mit Philadelphias Saquon Barkley um die Auszeichnung "Offensive Player of the Year" duellieren. So aber sind Burrow und Chase auch bei diesen individuellen Auszeichnungen nicht mehr im Rennen.
Viel wichtiger für beide, besonders den 28-jährigen Burrow, ist jedoch ohnehin eine Rückkehr in die Playoffs. Nach der Niederlage im Super Bowl im Februar 2022 gegen die Los Angeles Rams sprach Burrow darüber, dass das Fenster für einen Super-Bowl-Sieg der Bengals so lange offen wäre, bis Burrow seine Karriere beenden würde. Natürlich sprach aus dieser Aussage das Selbstbewusstsein eines Top-Quarterbacks, der sich aufgrund seiner old-schooligen Mentalität - man darf sich nicht von den extravaganten Outfits blenden lassen - auch nicht davor scheut, Mitspieler zu kritisieren, wenn diese nicht die erwarteten Leistungen abliefern. Die Defensive der Bengals bekam einige Male in dieser Saison eine verbale Schelle von Burrow ab.
Der Quarterback weiß, dass die unmittelbare Zukunft nach dieser verkorksten Saison nicht unbedingt rosiger ausschaut. Beim Draft im Frühjahr wählen sie erstmals an Position 17, sprich im Niemandsland, einen Spieler aus, wenn die allerbesten Talente aus dem College bereits vergriffen sind. Zugleich könnte Burrows Offensive nach Joe Mixon im vergangenen März bald wieder einen Leistungsträger verlieren. Denn Tee Higgins, der zweite Wide Receiver hinter Chase, hat seinen Vertrag bislang nicht verlängert und wäre somit nach der Saison ein Free Agent. Eine zweite Franchise Tag, also eine automatische Verlängerung um ein Jahr, wäre sehr kostspielig für die Bengals und könnte eventuell nur dazu dienen, einen lukrativen Trade zu forcieren.
Bengals haben viel freies Geld
Wie wichtig Higgins für Cincinnati bislang sein konnte, zeigte sich in der zweiten Saisonhälfte, als er wieder eine veritable Alternative zu Chase war. Oftmals setzten die Gegner ihren besten Cornerback auf Chase an, um diesen so gut es geht zu neutralisieren. Währenddessen konnte sich Higgins gegen schwächere Verteidiger beweisen. Der 25-Jährige mag nicht immer dem direkten Gegenspieler weglaufen, aber er besitzt zwei der stärksten Hände in der NFL. Das heißt, bei 50:50-Bällen und im Zerren um den Ball kann sich Higgins oftmals gegen den Verteidiger durchsetzen.
In Cincinnati würde er jedoch stets die Nummer zwei hinter Chase bleiben. Chase wurde 2021 an Position fünf im Draft ausgewählt, Higgins ein Jahr zuvor an Position 33. Auch was das Gehalt betrifft, liegen aktuell Welten zwischen Higgins und seinem Mitspieler. Bei einem anderen Team könnte er die klare Nummer eins der Wide Receiver werden und somit nicht nur finanziell nach oben aufrücken, sondern auch mehr Anspiele und mehr Anerkennung erhalten.
Sollte Higgins den Klub verlassen, müssten die Bengals trotz eines prognostizierten Salary-Cap-Spielraums von fast 60 Millionen US-Dollar erst einmal adäquaten Ersatz finden. Das ist umso schwerer, weil Cincinnati mit einem kleinen Medienmarkt in der Ohio-Kentucky-Indiana-Region kein allzu attraktiver Standort ist. Sicherlich kann es reizvoll sein, mit Burrow zusammenzuspielen. Aber ein erneutes Verpassen der Playoffs wiegt schwer.
Taylors Job scheint nicht in Gefahr
Trotzdem erlaubt es der finanzielle Spielraum, dass die Bengals in den kommenden Monaten nicht nur einen neuen Wide Receiver finden, sondern vor allem die Defensive rund um Hendrickson signifikant aufrüsten. Es ist nicht auszuschließen, dass Burrow aufgrund seiner Stellung in Cincinnati und in der gesamten Liga mehr Mitspracherecht in der Personalplanung einfordert. Er ist das mit Abstand größte Pfund der Bengals, die vor Burrow im absoluten NFL-Niemandsland unterwegs war. Burrow ist von sich selbst und seinen Ansichten überzeugt.
Unterdessen scheint die Zukunft von Head Coach Taylor fürs Erste gesichert. Der 41-Jährige mag nicht die Ausstrahlung von Burrow besitzen, aber ist für den Standort Cincinnati ebenso wichtig. Zumal er sich einst dezidiert zur Stadt bekannte, als er 2019 den Posten übernahm.
Die Bengals streben nach Höherem, verkörpern tendenziell eine Mia-san-mia-Mentalität. Insofern mag es auch nicht überraschen, dass sich Taylor sowie dessen Ehefrau Sarah und dem Team-Eigentümer Mike Brown und seiner Frau nahestehen, gemeinsam auch mal Weihnachten feiern. Diese persönliche Beziehung stärkt Taylors Position, denn andere Trainer säßen nach dieser Saison und angesichts der Ambitionen der Franchise so langsam auf dem heißen Stuhl. In Cincinnati wird es allerdings ohne großen Knall weitergehen. Nur dürfen es sich die Bengals nicht in der Mittelmäßigkeit gemütlich machen.
Quelle: ntv.de