"Das war gut, verdammt nochmal" Kritischer Zverev macht Becker ein bisschen sauer
04.06.2023, 13:37 Uhr
Alexander Zverev steht in Paris im Achtelfinale.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Tennisstar Alexander Zverev holt einen großen Sieg. Und das nach eigener Meinung ohne eine große Leistung. Boris Becker sieht das gänzlich anders - und spricht das auch aus. Für Zverev ist der Sieg gegen Frances Tiafoe ein besonderer an einem besonderen Ort.
Es war weit nach Mitternacht, als Alexander Zverev den Deckel drauf machte: Durch ein 3:6, 7:6, 6:1, 7:6 zog der Hamburger ins Achtelfinale der French Open ein. Der Olympiasieger brüllte seine Begeisterung über den Erfolg in die Nacht über dem gewaltigen Court Philippe-Chatrier. Weil es ein harter Weg war, bis er Frances Tiafoe, die Nummer zwölf der Welt, niedergerungen hatte und weil es ein weiterer Schritt war auf dem Weg zurück in die Regionen, in denen Zverev vor zwölf Monaten unterwegs war.
Auf den Tag genau vor einem Jahr war der Deutsche in einem epischen Halbfinale gegen Rafael Nadal schwer verunglückt, auf Philippe-Chatrier, auf dem Höhepunkt seiner Kunst, mit dem ersten Grand-Slam-Titel in Sichtweite und mit der ganz großen Chance, die Nummer 1 der Tenniswelt zu werden. Seitdem ist nichts mehr selbstverständlich.
"Jetzt sei doch mal nicht so kritisch"
Zverev selbst ordnete seinen Sieg nüchtern ein: "Das Wichtigste war, dass ich gewonnen habe - auch wenn ich vielleicht nicht mein bestes Tennis gespielt habe." Worte, die Boris Becker sauer machten. Zumindest wollte der Eurosport-Experte sie so nicht stehen lassen: "Jetzt sei doch mal nicht so kritisch - das war gut heute, verdammt nochmal", sagte die Tennislegende im TV-Interview an Zverev gewandt. "Das war ein hartes Stück Arbeit, ich habe Tiafoe noch nie so gut auf Sand gesehen."
Zverev, der tatsächlich schwach und mit vielen unerzwungenen Fehlern vor allem über die eigene Vorhand ins Match gestartet war, hatte sich in eine komplizierte Begegnung reingearbeitet und sich dann festgebissen. Und durfte am Ende jubeln, weil er der bessere Spieler war. In der Weltrangliste steht der Deutsche mit Platz 27 so schlecht da, wie zuletzt 2015. Die Ergebnisse seit seiner Rückkehr nach der Verletzung zum Jahreswechsel sind übersichtlich, die großen Siege fehlen. Gegen den Weltranglisten-2. Daniil Medwedew spielte der 26-Jährige zweimal stark und verlor jeweils in drei Sätzen. Irgendetwas fehlte immer.
Im Mai war Zverev noch verzweifelt
"Wenn der Knoten platzt, dann kann es ganz schnell gehen und alles sieht einfach aus, was vorher noch schwierig war", sagte der sechsmalige Grand-Slam-Turniersieger Becker. "Ich muss mal gewinnen, und dann löst sich das. Mehr weiß ich jetzt auch nicht, was ich sagen soll. Dieses Jahr spiele ich das schlechteste Tennis, wahrscheinlich seit 2015, 2016", hatte Zverev nach einem frühen Aus im Mai beim Masters-Turnier in Rom geklagt. "Um zu sagen, man ist wieder dabei, muss man wenigstens einmal gewinnen, und das tue ich ja nicht. Ich bin wieder früher raus, als ich es mir wünsche. Ich kriege es irgendwie jetzt momentan nicht hin, weiter im Turnier zu kommen." Drei Siege hat Zverev jetzt schon beim wichtigsten Sandplatz-Turnier der Saison geholt, die Leistungskurve stimmt. Achtelfinale in Roland Garros, das ist nicht (mehr) selbstverständlich.
Siege sind im Sport wichtig, da ist das "Wie" auch manchmal egal. Das könnte Zverevs fehlende Begeisterung über die eigene Leistung erklären. Und es ist ja auch eine gute Nachricht, große Spiele auch wieder ohne eine ganz große Leistung gewinnen zu können. Einfach, weil man der bessere Spieler ist. Gegen den Südafrikaner Lloyd Harris reichten Zverev - entgegen sonstiger Gewohnheiten - zum Auftakt drei Sätze, gegen den Slowaken Alex Molcan war es in der zweiten Runde ebenfalls eine glatte Angelegenheit. Nun der Sieg gegen Tiafoe, die erste richtige Prüfung in dem Turnier, das im vergangenen Jahr in einer kurzen Laune des Schicksals aus dem Griff nach den Sternen den Absturz in ein tiefes, dunkles sportliches Tal machte. Ja, es ist pathetisch, aber vielleicht wurden auch diesmal auf dem Court Philippe-Chartrier wieder Weichen gestellt für die sportliche Zukunft von Alexander Zverev. "Es war das härteste Jahr meines Lebens, ich liebe Tennis mehr als alles andere im Leben. Ich spiele den Sport nicht für das Geld, nicht für den Ruhm oder irgendetwas anderes", schwärmte der Rückkehrer in den frühen Morgenstunden zum Ende der ersten Turnierwoche. "Als man mir das genommen hat, war das sehr schwer. Ich bin sehr froh, hier zurück zu sein."
"Habe ein gutes Gefühl, da geht noch was"
"Er wurde von Satz zu Satz besser, lockerer", lobte Experte Becker. "Das war für Sascha ein ganz wichtiger Sieg für die zweite Woche. Ich habe ein gutes Gefühl, da geht noch was." Und auch Zverev, dem im Vorjahr nur zwei Siege fehlten, um den langersehnten ersten Grand-Slam-Titel zu holen und Platz 1 der Weltrangliste zu erobern, bevor er sich schwer verletzte, war dann doch zufrieden: "Ich freue mich, in der zweiten Woche hier zu sein und hoffentlich wird es noch weit für mich gehen."
Die nächste Herausforderung passt ganz gut in den Entwicklungsplan: Auf den starken Hartplatzspezialisten Tiafoe folgt einer der Weltklasseleute, die sich in Paris dieser Tage am formstärksten präsentieren: "Grigor Dimitrov ist ein Wahnsinnsspieler. Er spielt vielleicht das beste Tennis, was er je gespielt hat auf Sand", schwärmte Zverev von seinem Achtelfinal-Gegner. Der Bulgare, der mal auf Platz 3 der Weltrangliste stand und derzeit auf Platz 29 geführt wird, hatte in seinem Drittrundenmatch Daniel Altmaier in drei Sätzen nicht den Hauch einer Chance gelassen.
Quelle: ntv.de