"Keine Selbstverständlichkeit" Deutscher Leichtathlet ist nach WM-Start froh, überlebt zu haben
13.09.2025, 07:56 Uhr
Die Hitze in Tokio verlangte Jonathan Hilbert und den anderen Gehern alles ab.
(Foto: IMAGO/Beautiful Sports)
Bei der Leichtathletik-WM in Tokio schließt sich für Jonathan Hilbert ein Kreis. 2021 gewinnt der Geher dort sensationell Olympia-Silber, jetzt landet er über 35 Kilometer auf Rang 16. Danach vergießt er "Tränen der Erleichterung". Weil hinter ihm viel mehr liegt als hartes Training.
Die Tränen von Geher Jonathan Hilbert zum Start der Leichtathletik-WM waren ergreifend. "Ich war dem Tod sehr nah und heute hier zu stehen, ist einfach unglaublich", sagte der 30-Jährige zum Start der Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Tokio. Hilbert dankte nach Platz 16 über 35 Kilometer für die breite Unterstützung vieler Menschen, allen voran von seiner Verlobten. Es sei ein "sehr, sehr schöner Tag, um hier lebendig zu stehen", sagte er.
Hilbert, der vor vier Jahren bei den Olympischen Spielen in Tokio Silber über 50 Kilometer gewonnen hatte, kehrte auf die große internationale Bühne zurück, an die nach seiner Erkrankung an Depressionen lange nicht zu denken war. Im Nationalstadion der japanischen Metropole vergoss er "Tränen der Erleichterung".
- Bei Suizidgefahr: Notruf 112
- Deutschlandweites Info-Telefon Depression, kostenfrei: 0800 33 44 5 33
- Telefonseelsorge (0800/111-0-111 oder 0800/111-0-222, Anruf kostenfrei)
- Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: 0800/111-0-333 oder 116-111)
- Deutsche Depressionshilfe (regionale Krisendienste und Kliniken, Tipps für Betroffene und Angehörige)
- Deutsche Depressionsliga
"Das ist keine Selbstverständlichkeit für mich. Die letzten drei Jahre waren einfach unglaublich dunkel und schwierig", sagte Hilbert. "Ich kann jedem, der mit Depression zu kämpfen hat, einfach nur sagen: Es lohnt sich zu kämpfen, es lohnt sich, dranzubleiben, es lohnt sich, diese tiefen Täler zu durchschreiten. Wenn ich das schaffe, dann schaffen das auch andere."
Hilbert hatte die Erkrankung schon vor einiger Zeit öffentlich gemacht. Sie sei schleichend nach den Spielen in Tokio gekommen, berichtete Hilbert am Samstag nach dem Sieg des kanadischen Gehers Evan Dunfee in den Stadion-Katakomben. Nach Olympia-Silber habe er sich schwergetan, Verletzungen oder Krankheiten handicapten ihn, es habe keinen sportlichen Fortschritt gegeben. Seine Paradedisziplin, das 50-Kilometer-Gehen, wurde aus dem olympischen Programm gestrichen. Mit der neuen Strecke über die 35 Kilometer kam der gebürtige Thüringer zunächst nicht zurecht.
Das nächste Highlight steht in drei Wochen an
Phasenweise habe er "komplett den Lebenswillen verloren, die Lebenskraft verloren". Im Oktober 2023 sei es schon sehr schwer gewesen und im "2024 im Januar hat es dann halt richtig gescheppert". Es gab Tage, da sei er kaum noch auf die Couch gekommen. Als seine Verlobte, die als Lehrerin arbeitet, am frühen Nachmittag von der Schule gekommen sei, habe er manchmal nur auf der Couch gelegen, hatte noch nicht einmal was gegessen und habe "einfach nur an die Decke gestarrt".
Hilbert suchte sich Hilfe. "Es waren teilweise echt schwere, depressive Episoden. Ich glaube, alle, die mit dem Ding zu kämpfen haben, sich ein bisschen auskennen, die wissen, was eine schwere, depressive Episode heißt", sagte Hilbert. "Schwierig zu beschreiben und vollkommen abartig. Und hier heute zu stehen, ist einfach traumhaft." Er sei dankbar, wie sehr ihn Eltern, Verlobte, Sponsor, die Polizei als Arbeitgeber, so viele Menschen unterstützt hätten. Auch der neue Trainer habe ihm Mut gemacht.
Nun gebe der WM-Wettkampf Zuversicht für die sportliche Zukunft, nachdem er komplett neu anfangen habe müssen wie ein Jugendathlet, sagte Hilbert. Dass er überhaupt bei der WM starten konnte, verdankte er auch Teamkollege Christopher Linke. Der Routinier, der selbst "zu mutig" anging und die Top-Acht als 14. klar verpasste, hatte sich beim Verband dafür eingesetzt, dass Hilbert bei der Team-EM starten durfte. Dort löste dieser dann das WM-Ticket.
"Es ist unglaublich und ohne all diese Menschen hätte ich das nicht geschafft", sagte Hilbert, der am linken Handgelenk ein Armband mit dem Namen seiner Verlobten trägt. Und mit der wird er bald einen weiteren Glücksmoment erleben: In drei Wochen heiraten die beiden.
Quelle: ntv.de, Christian Kunz und Christian Johner, dpa