Rolle der EM-Kapitäne Löw lobt "Leitwolf" Ballack
18.06.2008, 11:48 UhrVorarbeiter, Vertrauensperson und Vollstrecker: Der deutsche Kapitän Michael Ballack ist unter den 16 Mannschaftsführern der Fußball-EM 2008 die Idealbesetzung, findet Bundestrainer Joachim Löw.
"Er übt auf die Mannschaft einen sehr positiven Einfluss aus, ist in der Lage, Akzente zu setzen und ein Spiel zu entscheiden", lobte Löw seinen "Leitwolf", der per Freistoßtor gegen Österreich den Viertelfinal-Einzug perfekt gemacht hatte.
Negativ gelaufen ist die EURO für sechs seiner Kapitäns-Kollegen: Fünf mussten verletzt passen und der Russe Andrej Arschawin war in den ersten beiden EM-Partien gesperrt.
Ohne Capitano in die K.o.-Runde
Der Ausfall des Anführers kann die Leistungskraft einer Elf schmälern, aber auch kollektive Energien freisetzen – wie das Beispiel der WM-Finalisten Italien und Frankreich sowie der Türkei zeigte. "Addio EM", hatte der "Corriere dello Sport" nach dem EM-Aus für Capitano Fabio Cannavaro getitelt. Er hatte sich wegen eines Bänderrisses vorzeitig verabschieden müssen.
Aber auch ohne die als unersetzlich geltende "Mauer von Berlin" rang der Weltmeister die Franzosen mit dem 2:0-Erfolg nieder und zog mit Torwart-Kapitän Gianluigi Buffon in die erste K.o.-Runde ein.
Dagegen fehlte dem WM-Zweiten Frankreich ohne Oberhaupt Patrick Vieira der entscheidende EM-Esprit. Vieira hatte sich einen Muskelfaserriss zugezogen.
Viertelfinalist Türkei kompensierte den Ausfall von Kapitän Emre Belözoglu – für Trainer Fatih Terim das "unersetzliche Herz" des Teams – mit Leidenschaft und viel Glück gegen die Schweiz (2:1) und Tschechien (3:2). Dafür reichte es ohne ihren "Boss" auf dem Rasen für Polen (Maciej Zurawski), Tschechien (Tomas Rosicky) und die Schweiz nicht.
Das Bild des weinenden Alexander Frei, der wegen eines Bänderrisses nicht spielen konnte, gehörte zu den bewegendsten Momenten des Turniers.
Edwin van der Sar hofft auf Titel-Triple
Italiens Keeper Buffon ist nur einer von drei Schlussmännern bei der EURO mit Kapitänsbinde – und sie scheinen ihren Feldspielern von hinten mächtig einzuheizen. Denn ebenso wie der Profi von Juventus Turin ist auch Iker Casillas mit Spanien und Edwin van der Sar mit den Niederlanden ins Viertelfinale eingezogen.
Die 37 Jahre alte Leitfigur der Holländer ist besonders motiviert: Er könnte den Franzosen Lilian Thuram als EM-Rekordspieler ablösen. Dieser war bei 16 EM-Spielen im Einsatz. Außerdem hat Van der Saar Chancen auf das Titel-Triple – nach Meisterschafts-Gewinn und Champions-League-Triumph mit Manchester United schaffen.
Auch bei Deutschland-Bezwinger Kroatien ist mit Team-Senior Niko Kovac ein Routinier Kapitän. Der 36 Jahre alte Mittelfeld-Abräumer von Red Bull Salzburg gilt als verlängerter Arm von Trainer Slaven Bilic. "Wir müssen auf dem Teppich bleiben. Aber der Trainer, mein Bruder und ich werden schon dafür sorgen, dass keiner anfängt zu spinnen", sagte Niko Kovac über die Erwartungen an ihn und seinen Bruder Robert vor dem Viertelfinal-Duell gegen die Türkei.
Scolari: "Eigentlich habe ich fünf Kapitäne"
Ein ungewöhnliches Modell der Kapitäns-Rotation hat Nationalcoach Luiz Felipe Scolari bei Portugal eingeführt. Meistens trägt zwar Mittelstürmer Nuno Gomes die Kapitänsbinde, doch Scolari sagte: "Eigentlich habe ich fünf Kapitäne" – ohne sie alle namentlich zu benennen. Als Nuno Gomes gegen Tschechien ausgewechselt wurde, ließ er die Binde an Cristiano Ronaldo weiterreichen. "Damit wollte ich ihn zusätzlich motivieren", sagte der Trainer. Weitere Kandidaten sind Abwehrrecke Ricardo Carvalho und Deco.
Zu den älteren Spielern gehört der 32-jährige Sergej Semak, der für den gesperrten etatmäßigen russischen Kapitän Arschawin bei der EM einsprang. Eigentlich hatte er die Nationalelf abgehakt, wurde jedoch von Trainer Guus Hiddink zurückgeholt. "Schon mit der EM-Nominierung habe ich nicht gerechnet, und jetzt bin auch noch Kapitän, damit habe ich zwei große Ziele auf einmal erreicht", freute sich Semak.
Als Ältester stellte er aber schnell eine markante Veränderung fest. Die jungen Spieler fragen kaum noch um Rat. "Meine Generation war da anders, sie hat eine ganz andere Lebenseinstellung", sagte Semak.
von Andreas Schirmer, dpa
Quelle: ntv.de