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"Wir sollten jetzt vorsichtig sein" Löws Personalsorgen bleiben

Eine Nacht lang freute sich die deutsche Notelf über den Überraschungs-Coup im neuen englischen Fußball-Tempel, doch mit der Landung in Frankfurt hakte Taktik-Tüftler Joachim Löw den Prestige-Erfolg ab. "Es gibt nicht viele Orte, wo es so schön ist zu gewinnen wie in Wembley", erklärte der Bundestrainer, ergänzte aber noch vor der Rückkehr: "Ich weiß den Sieg einzuordnen." Zu allererst gibt das 2:1 beim Erzrivalen England Löw und seinen Spielern Gewissheit und Sicherheit: Das DFB-Teams ist für den am 8. September in Wales beginnenden Endspurt in der EM-Qualifikation gerüstet, auch wenn die Personalsituation schwierig bleibt.

Schon in einer Woche muss Löw sein Aufgebot für die Partie des Gruppen-Spitzenreiters in Cardiff und das anschließende Testspiel am 12. September in Köln gegen Rumänien benennen. Leistungsträger wie Frings und Podolski, höchstwahrscheinlich Ballack und möglicherweise auch Klose und Gomez werden dann erneut fehlen. Doch nach der beeindruckenden Vorstellung vor fast 90.000 Zuschauern im neuen Wembleystadion zweifelt niemand mehr im DFB- und Fanlager, dass der WM-Dritte auch in anderer Besetzung die noch nötigen Punkte für die Tickets zur EM-Endrunde 2008 in der Schweiz und Österreich schnell einfährt. "Wir haben gesehen, dass wir nicht nur elf Spieler haben, sondern 20, 25, 40, die Leistung bringen können, sogar in einem anderen System", erklärte Philipp Lahm.

Der Münchner wurde beim fünften Auswärtssieg in England nacheinander zum Sinnbild für die schon fest verwurzelte Philosophie, die der Londoner Überraschungsgast Jürgen Klinsmann einst eingeführt und Löw nun verfeinert hat. Lahm nahm die für ihn ungewohnte Rolle als "Sechser" vor der Abwehr mit Leichtigkeit an, lief die Bälle ab, schloss die Lücken und schaltete immer wieder schnell auf Angriff um. "Wir waren der Meinung, dass wir intelligente Spieler im Mittelfeld brauchen nach dem Ausfall von Ballack und Frings", begründete Löw seine Auswahl und fügte an: "Es ist wichtig, dass man auch mal eine Veränderung vornehmen kann und sieht, dass wir mit einem anderen System auch bestehen können."

Nicht nur in dieser Frage lag der Bundestrainer richtig. Auch Christian Pander, 14. Neuling in seiner Ära, erwies sich bei allen Eingewöhnungs- und Schnelligkeitsproblemen als belebendes Element. Sein 2:1-Siegtor nach dem Ausgleich des enorm fleißigen Kevin Kuranyi geht als weiterer besonderer Wembley-Treffer in die Annalen ein. "Im modernen Fußball ist es wichtig, dass man in der Abwehr Leute hat, die permanent mit nach vorne gehen", betonte Löw, der bei Personal-Entspannung aber schon die Rückkehr von Lahm in die Viererkette ankündigte. Der Schalker Pander sprach von einem "unglaublichen Gefühl" und weiß sein Debüt einzuordnen: "Beim Gegentor sehe ich nicht gut aus, aber mit dem 2:1 habe ich es ja wieder gutgemacht."

Löw hat bei allen positiven Erkenntnissen - auch der in der englischen Liga patzende Jens Lehmann hielt mit starken Paraden den Sieg fest - aus der Partie gegen den indisponierten David Beckham und Co. durchaus Korrektur-Bedarf ausgemacht. "15 Minuten hatten wir zu viel Respekt vor der Atmosphäre, vor den 90.000 Zuschauern. Wir sind immer weiter zurückgewichen", beschrieb Löw die Anpassungsprobleme, die er mit seiner Systemumstellung auf einen Stürmer mit "verursacht" hatte. David Odonkor lief nur nebenher, dem Hamburger Piotr Trochowski fehlte die Effektivität. Und später mangelte es beim Umschalten an der letzten Konsequenz. "Ganz klare, schnelle Konter zu fahren, um dem Gegner den Todesstoß zu geben, das müssen wir noch lernen", gab Löw seinen Spielern mit auf den Weg, die sich noch in London voneinander trennten und in ihre Heimatstädte flogen.

Schon kurz nach dem Spiel hatten Angela Merkel und Klinsmann der Rumpfmannschaft in der Kabine Komplimente ausgesprochen. Doch nicht nur der Löw-Vorgänger erwies sich als Kenner. "Wir sollten da jetzt vorsichtig sein. Es ist ein schöner Tag, aber wir haben weiter große Aufgaben vor uns", sagte die Bundeskanzlerin.

Von Jens Mende und Arne Richter, dpa

Quelle: ntv.de

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