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Interview mit UFC-Kämpferin "Monster" Böhm träumt vom Knockout des Abends

Mandy Böhm in Aktion.

Mandy Böhm in Aktion.

(Foto: Zuffa )

Die deutsche MMA-Kämpferin Mandy "Monster" Böhm steht vor ihrem zweiten Auftritt in der UFC. Nach einer Niederlage durch Punktrichterentscheid soll bei UFC London (Samstag 17 Uhr DAZN/UFC Fight Pass) der erste Sieg her. Im Interview mit ntv.de erklärt die 32-Jährige, warum die Niederlage in ihrem ersten Kampf in der Elite-Liga ein Weckruf für Karriere und Privatleben war, welche Ziele sie noch hat und warum Social Media notwendig, aber oft harte Arbeit ist.

ntv.de: Frau Böhm, für Sie steht der zweite Kampf in der UFC an, pandemiebedingt ist es der erste vor Publikum - 20.000 Zuschauer in der O2-Arena in London. Wie ist Ihre Erwartung und wie groß die Vorfreude?

Mandy Böhm: Also für mich als Mädel aus Gelsenkirchen, mit einem großartigen Fußballverein wie Schalke im Rücken, könnte es nicht geiler sein? Doch! Es könnte geiler sein, würde ich vor heimischem Publikum antreten. Das englische Publikum ist für mich auch wie ein Heimspiel. Die Atmosphäre, vor allem hier in London, ist brutal. Das hat man bei der Veranstaltung im März gesehen. Die Leute sind laut, die gehen mit, die unterstützen. Und das ist, worauf ich gewartet habe. Es fühlt sich sozusagen an wie mein richtiges UFC-Debüt.

Nach der Niederlage gegen Ariane Lipski im September 2021 kämpfen Sie nun gegen Victoria Leonardo. Was wird das für ein Kampf werden?

Ariane Lipski ist in meinen Augen in einem besseren Team unterwegs und ist eine unfassbar gute Strikerin. Victoria sehe ich mehr als Allrounderin. Sie hat ihre Stärken auf jeden Fall auch im Stand, sie ist aber auch am Boden sehr gut. Sie hat Siege durch Submission und Ground & Pound. Die Chancen, dass Victoria versuchen wird mich auf den Boden zu holen, sind signifikant höher. Ihre Reichweite ist ein bisschen kleiner als meine und ich stehe für einen soliden Jab. Sie muss diese Distanz erst einmal überbrücken. Ich werde natürlich versuchen, ihr wirklich weh zu tun.

Das heißt, die Vorbereitungen gingen vor allem in Richtung Grappling und Brazilian Jiu-Jitsu?

Grappling und Jiu-Jitsu sind immer ein Bestandteil meiner Vorbereitung, weil es einfach ein Bestandteil von diesem Sport ist. Ich fühle mich auch wohl am Boden. Ich fühle mich auch wohl im Ringen, aber wir haben natürlich auch an der Takedown-Verteidigung gearbeitet.

Für die Vorbereitung sind Sie extra in die USA gezogen. Warum dieser Schritt und warum sind Sie im Xtreme Couture Gym gelandet?

Las Vegas ist das Mekka der Kampfkünste. Wir haben dort hervorragende Gyms und ich habe mich für Xtreme Couture entschieden, weil es am besten zu mir passt. Ich habe mir die Trainer und das Training dort angeschaut und die Erfolge sprechen eine eindeutige Sprache. Du trainierst zwischen einigen der besten Athleten der Welt. Und genau das habe ich gesucht - einen Arbeitsplatz, an dem die Moral und die Einstellung der entspricht, die ich für mich selbst praktiziere. Ich habe diese Schritt bisher keine Sekunde bereut.

Wann kehren Sie wieder nach Deutschland zurück?

Wann ich dauerhaft nach Deutschland zurückkomme, das kann ich noch gar nicht sagen. Meine Zeitrechnung endet am 23. Juli um circa 18 Uhr - wenn ich ins Octagon steige. Alles andere wird danach entschieden. Und ich denke, das ist auch ergebnisabhängig.

Die Veranstaltung im März hat gezeigt, welches enorme Potenzial in Veranstaltungen außerhalb der USA steckt. Ein Knockout, wie der Ellbogenstoß von Molly McCann - und die ganze Welt spricht über einen.

Natürlich. Das ist, was die Leute sehen wollen. Die kommen nicht um, wie bei Israel Adesanya, 25 Minuten taktisches Striking zu sehen. Die Crowd kommt für klirrende Knockouts, Blut und Submission. Das ist einfach so und ich glaube, speziell hier in London, wollen die Leute Action sehen - das ist, wofür sie bezahlen. Welcher Kämpfer träumt nicht davon, vor so einer Crowd den Knockout des Abends hinzulegen - davon träume ich auch.

Das ist jetzt vielleicht keiner schöner Übergang, aber Ihren letzten Kampf konnte Sie nicht gewinnen. Das war Ihre erste Niederlage als Profi. Was hat es mit Ihnen gemacht?

Mein erster Gedanke direkt nach dem Kampf war: Oh mein Gott. Ich habe das Herz von meiner Mama gebrochen. Die musste sich angucken, wie ich dreimal echt brutal niedergeschlagen wurde. Ich habe aber gezeigt, dass ich ein riesengroßes Kämpferherz habe, weil ich danach wieder aufgestanden bin und weitergekämpft habe. Das ist dieses Ticket für gebrochene Kämpfer: Einfach die Hände vors Gesicht und ein paar Schläge mehr abwarten, bis der Referee abbricht. Für mich ist so was nie eine Option. So richtig abliefern konnte ich natürlich nicht. Der "UFC jitters"hat mich volles Pfund erwischt.

UFC jitters? Das müssen Sie erklären!

Das ist so wie als Kind beim Weihnachtsessen vor der Bescherung, gleich gibt es Geschenke und du kannst es kaum erwarten. Du denkst, du siehst vielleicht noch das Christkind, wenn du mit deinen Eltern draußen spazieren gehst und du bist einfach total geflasht. So war es ein bisschen bei meinem UFC-Debüt. Auf einmal unterschreibst du Poster, bekommst erstmals dein eigenes Fighter-Kit. Du läufst in die Arena ein und eigentlich solltest du im Tunnel sein und ich denke: Oh mein Gott, da sitzt UFC-Präsident Dana White in der ersten Reihe. Das ist cool, aber es ist vielleicht nicht der Fokus, den du haben solltest, wenn du dann gleich eine 15-Minuten-Schlacht vor dir hast.

Und das hat Ihre Leistung gehemmt?

Meiner Meinung nach bin ich stark unter meinen Leistungen geblieben. Ich hoffe, dass es dieses Mal anders ist. Mal davon abgesehen hat diese Niederlage meinem Mindset und meiner Persönlichkeit nicht geschadet. Es war wie ein Reset für mich. Als Frau ist anders als bei Männern, die gerade in dem Alter ab 30 Jahren in ihrer besten Verfassung sind. Ich höre meine biologische Uhr ticken und ich habe einen sehr starken Kinderwunsch. Da fragt man sich: Wo stehe ich hier mit meinen Wünschen und Träumen? Ist es wirklich noch das, was ich unbedingt will? Für viele sind diese Gedanken vielleicht unvorstellbar, wenn man endlich den Sprung in die UFC geschafft hat. Diese Niederlage kam zum perfekten Zeitpunkt, um herauszufinden, was ich will. Und ich weiß, ich will nichts mehr als diesen Sieg am Samstag.

Sorgt die eigene Familienplanung dann dafür, dass Ihre Karriere schon durchkalkuliert ist?

Ich kalkuliere erst mal gar nichts. Klar, es gibt da einfach einen Zeitpunkt, wo ich sage: Jetzt ist vorbei. Ich denke mal, mit 36 oder 37 Jahren kann man auch noch Kinder bekommen.

Sie könnten ja auch wieder kämpfen, nachdem der Nachwuchs da ist?

Ich weiß nicht, ob ich das dann noch möchte. Das ist eine Option, die ich mir gerne offenhalten will. Ich kann mir vorstellen, dass das so ein einschneidendes Erlebnis ist, dass man bereit ist, ein Stück seiner selbst aufzugeben, um wirklich als Mutter für die Kinder da zu sein. Ich weiß nicht, ob ich als frisch gebackene Mama vielleicht den Fokus auf meine Kinder legen würde und ich weiß auch nicht, ob ich nur eins möchte oder vielleicht noch ein zweites hinterherkommt.

Aktuell leben Sie in den USA. Würden Sie dann dort auch Ihre Kinder großziehen wollen?

Nein, auf gar keinen Fall. Ich liebe Deutschland. Das hört sich immer blöd an, aber dieses ganze Rumkommen, das zeigt, wie dankbar man doch sein muss, in einem Land wie Deutschland zu leben, weil wir so privilegiert sind, ohne es zu wissen. Also bei uns muss keiner hungern, bei uns muss keiner frieren. Du hast immer die Option, vom sozialen Netz aufgefangen zu werden. Natürlich weiß ich, dass es in der Theorie ein bisschen anders aussieht als in der Praxis. Das heißt, wenn du einmal raus aus dieser Blase kommst, lernst du erst so richtig zu schätzen, was du alles hast. Und ja, ich liebe Deutschland und ich liebe die Stadt, aus der ich komme - Gelsenkirchen, meine Heimat, von der Wiege bis ins Grab. Und ich kann mir einfach vorstellen, nach meiner Karriere, dieser Stadt, die mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich bin, etwas wiederzugeben in Form von einem MMA Gym. Das soll dann auch eine Anlaufstelle für Kids und Jugendliche sein, die problembehafteter in ihrer Jugend oder in ihrer Familienstruktur groß geworden sind.

Wenn Sie auf MMA in Deutschland blicken - was hat sich in den letzten Jahren getan, was läuft aktuell ganz gut?

Von "die Leute haben keinen blassen Schimmer, was MMA ist" haben wir mittlerweile drei bis vier adäquate Promoter aus dem Boden gestampft. Wir haben einen Amateurbereich geschaffen für viele Athleten, der als ich angefangen habe zu kämpfen, nicht einmal existiert hat. Wir sind als Baby gestartet, aber stecken nach wie vor in Kinderschuhen, was das Knowhow und die Professionalität angeht. Das müssen wir aber positiv sehen, das ist keine Kritik, sondern alles ist ein Prozess.

Und in welchen Bereichen fehlt es noch bis zu Spitze?

Was noch fehlt, ist einfach die Wissenschaft. Also auf sportlicher Ebene zu sagen: Wie schaffe ich es, dass mein Athlet an Tag X in der besten Form seines Lebens ist, ohne ihn kaputtzumachen. Manchmal ist da weniger einfach mehr. Und ich glaube, das muss in den Köpfen unserer Old-School-Coaches noch ankommen. Es fehlt auch noch an der Offenheit, einfach zusammenzuarbeiten. Wir sind nicht Team X gegen Team Y in Deutschland. Dieser olympische Gedanke, einander zu unterstützen, um auf ein höheres Level zu kommen, muss sich mehr durchsetzen. Sportler untereinander sollten sich austauschen, aber auch die Trainer sollten offen sein für Neues und sich untereinander austauschen.

Ist Mixed-Martial-Arts als Sport in der deutschen Gesellschaft überhaupt schon angekommen?

Ich denke, der Sport findet in Deutschland noch nicht die Akzeptanz, die er verdient hätte, weil die Brutalität oft für die Leute im Vordergrund steht. Es gibt so klassische Regeln, die wir in unserer Gesellschaft befolgen, wie zum Beispiel: Jemand, der auf dem Boden liegt, den schlägt man nicht. Diese Kultur beinhaltet einfach, dass das erst mal abgelehnt wird. Es wirkt total brutal auf den Zuschauer, der komplett fremd ist und keine Ahnung von der Materie hat. Aber das wandelt sich gerade, weil die Leute erkennen, was für eine hohe sportliche Leistung dahinter steht. Man darf nie vergessen, dass es Sportler sind, die ihr Leben investieren, die sehr gut ausgebildet sind und keine Kneipen -und Straßenschläger. Der Sport wird sich mit der Zeit immer mehr etablieren. Man sieht, dass MMA so langsam den Boxsport ablöst und das Publikum deutlich jünger wird.

Sie selbst sind gelernte Industriemechanikerin, haben ihr Abitur gemacht. Ein Quereinsteig ist also auch möglich?

Vor einigen Jahren war MMA ein Sport den man Kneipenschlägern und Türstehern zugeschrieben hat. Aber das ist halt nicht so - es sind Lehrer, Psychologen, Feuerwehrmänner, Polizisten, die diesen Sport ausüben. Der Sport spricht jeden an. Und ich denke, wir haben es geschafft, dass der ja dem deutschen Publikum auch genau so zu präsentieren. Wir haben einfach gezeigt, dass auch smarte Typen diesen Sport ausüben. Wenn man einen Fußballvergleich anstellen möchte, dann ist MMA die Kampfkünste angeht, wie ein Spiel in der Champions League.

Und die UFC ist dann die absolute Spitze. Wem aus Deutschland trauen Sie denn als nächstes den Sprung in die UFC zu?

Ich glaube, da sind einige hungrige Wölfe gerade auf Deutschlands Straßen unterwegs. Und wünschen würde ich es allen. Aber ich sage jetzt einfach mal Khurshed Kakhorov - mein Mann (lacht).

Mit ihrem Spitznamen "Monster" haben Sie auf Social-Media-Plattformen mit Ihren Fans eine "Monster Nation" hinter sich. Im Grunde müssen Sie aber selbst an dieser Marke arbeiten. Wie ist das für Sie?

Das kann schon hart sein. Leute unterschätzen immer, dass Social Media und Instagram wirklich ein kompletter Job für sich ist. Wenn man da nur ein ganz kleines bisschen nachlässig ist, büßt man sofort an Reichweite ein. In Deutschland sagt man: Du kannst mit deinem Arsch nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Aber genau das wird von uns Profisportlern gefordert. Wir sollen super marketingtechnisch auf Social Media unterwegs sein, aber gleichzeitig unseren vollen Fokus auf die Vorbereitung in den Sport legen.

Das ist für mich ein Tanz auf Messers Schneide. Ich appelliere an meine Follower, ein Like dazulassen, einen Kommentar zu schreiben und auf meine Stories zu reagieren. Das bleibt am Ende des Tages eine wichtige Einnahmequelle - man muss sich einfach heutzutage auch vermarkten.

Was natürlich Aufmerksamkeit und womöglich Follower bringt, wäre ein Sieg in der UFC.

Auf jeden Fall - und genau auf diesen Sieg arbeite ich gerade hin.

Mit Mandy Böhm sprach Michael Bauer

Quelle: ntv.de

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