Größenwahn, Intransparenz, Knebelverträge? Münchner trotzen dem olympischen Diktat
11.11.2013, 13:34 Uhr
Keine Lust, sich für 17 Tage Wintersportspektakel dem Diktat des Internationalen Olympischen Komitees IOC zu unterwerfen.
(Foto: dpa)
Während die Verlierer beleidigt von einer Niederlage des Sports sprechen, entscheiden die Bürger: Keine Olympischen Winterspiele 2022 in München. Weil der Verstand über das Herz siegt. Bleibt die Frage, was das IOC daraus lernt.
Für Franz Beckenbauer war die Sache klar. Frei nach Konfuzius hatte Deutschlands Fußball-Kaiser in den Tagen vor dem Olympia-Entscheid in München und Umgebung philosophiert: Der Mensch brauche nicht mehr nur Brot zum Essen, Wasser zum Trinken und einen angewinkelten Arm zum Schlafen, "der Mensch braucht auch die olympischen Spiele".
Seit Sonntagabend steht fest: Sportfunktionäre, Politiker und Wirtschaftsbosse brauchen dringend ein neues Maskottchen zur Bewerbung ihrer Interessen. Der Mensch als Bürger in Oberbayern will, wenn er denn schon gefragt wird, offenbar eins: ernst genommen werden. Was der Bürger nicht will: eine erneute Münchner Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2022 unter den aktuellen IOC-Bedingungen. Der Traum von einem "Wintermärchen" in Oberbayern ist geplatzt. Diesmal nicht am Willen des kuriosen olympischen Wahlvolks, das für 2018 den Retortenspielen in Pyeongchang den Vorzug gegenüber Bayern gegeben hatte. Sondern am Unwillen der Bevölkerung, sich wie Sport und Politik für zwei Wochen Wintersportspektakel dem Diktat des Internationalen Olympischen Komitees IOC zu unterwerfen - und dafür auch noch das überwiegende Kostenrisiko zu tragen.
In allen vier potenziellen Austragungsgebieten - München, Garmisch-Partenkirchen, Traunstein und Berchtesgaden - sagte eine Mehrheit am Sonntag: Olympia? Nein, danke. Dabei hätte ein Nein gereicht, um die Bewerbung zu kippen. Die Gegner im "NOlympia"-Netzwerk haben es vermocht, die Schwärmereien von einem grünen "Wintermärchen 2022" mit ihren Verweisen auf olympischen Größenwahn, Intransparenz, Kostenrisiken, IOC-Knebelverträge und drohende Naturschäden im Alpenraum als Albtraum erscheinen zu lassen. Der Verstand hat, wenn man so will, im Wintersportland Bayern über das Herz gesiegt.
Deutliche Kritik am IOC
Das überraschend deutliche 0:4 ist eine empfindliche Niederlage für den deutschen Sport, auch wenn das Ergebnis nicht für alle sportlichen Großereignisse verallgemeinert werden darf. Ein Bürgerentscheid zur Fußball-EM 2024 hätte sicher ausgezeichnete Chancen. Winterspiele aber wird es in Deutschland auf absehbare Zeit nicht geben. Das immerhin eröffnet Sport und Politik die Chance, offene Kritik an sich selbst und am IOC zu üben, sofern ein ehrliches Erkenntnisinteresse hinsichtlich der Gründe für die Niederlage besteht.
Falsch wäre, sie als generelle Geringschätzung des Volkes für den Sport misszuverstehen, wie es etwa Ski-Olympiasiegerin Maria Höfl-Riesch in ihrer ersten Enttäuschung getan hat. Vielmehr ist es eine Ohrfeige für die Befürworter um Beckenbauer, den Deutschen Olympischen Sportbund DOSB und Münchens Oberbürgermeister Christian Ude. Sie hatten im ungleichen Wahlkampf bisweilen den Eindruck erweckt, nur am Abnicken ihrer Pläne interessiert zu sein – obwohl selbst Ude die IOC-Verträge insgeheim als unzumutbar bezeichnet hatte.
Das klare Nein macht aus dem historischen Bürgerentscheid nun einen richtungsweisenden. Historisch war er schon allein deshalb, weil die Bürger erstmals in Deutschland vor einer Olympiabewerbung gefragt wurden, ob sie sich überhaupt bewerben wollen. Sie wollten nicht. Richtungsweisend ist er, weil er als deutliches Signal an die Politik und das IOC verstanden werden muss - gerade weil München laut Experten gute Chancen gehabt hätte, mit seinem gegenüber 2018 deutlich verbesserten Konzept den Zuschlag zu bekommen.
Schon 2011 aber hatte eine dänische Studie gezeigt, dass sich sportliche Großereignisse immer stärker aus europäischen und nordamerikanischen Demokratien in autoritäre Staaten verlagern. Nach dem deutlichen Nein in München und zuvor auch im schweizerischen Graubünden bleiben dem IOC für die Spiele 2022 einzig Oslo und Stockholm als ernsthafte demokratische Olympia-Bewerber. "Bedenklich" findet das Rodel-Weltverbandspräsident Josef Fendt: "Wenn sich solche traditionellen Länder wie die Schweiz oder Deutschland als Ausrichter zurückziehen, ist dies eine gefährliche Entwicklung." Noch gefährlicher für den Olympischen Sport wäre aber, wenn das IOC und sein deutscher Präsident Thomas Bach das krachende Nein in Bayern nur als Niederlage begreifen – und nicht als den Weckruf, der es zweifelsohne ist.
Quelle: ntv.de