Franz Wagner in NBA lahmgelegt Orlando Magic lebt ein trostloses Leben ohne "Kaiser Franz"
20.12.2024, 18:45 Uhr
Franz Wagner kann momentan nicht mehr übers Feld spazieren.
(Foto: USA TODAY Sports via Reuters Con)
Er war nicht nur schnurstracks in Richtung seiner ersten All-Star-Nominierung unterwegs: Franz Wagner war im ersten Saisondrittel einer der besten Spieler der gesamten NBA. Eine ebenso seltene wie heikle Verletzung hat den werdenden Superstar jetzt wochenlang auf Eis gelegt.
Orlandos Point Guard Jalen Suggs blickte zu seinem Mannschaftskollegen mit der Trikotnummer 22. Der hatte den Ball in der Hand, weniger als zehn Sekunden Spielzeit auf der Uhr, sein Team lag bei den Los Angeles Lakers mit zwei Punkten in Rückstand. Ein Dribbling, Richtungswechsel, dann noch zweimal durch die Beine, Stepback aus acht Metern Entfernung … und "Bang"! Franz Wagners Gamewinner zum 119:118-Erfolg in L.A. war die Kirsche auf der Sahneleistung an jenem Abend: 37 Punkte, 11 Assists, 4 Steals. Der 23-Jährige schaffte als jüngster Spieler seit LeBron James mindestens 35 Zähler und zehn Vorlagen in einer NBA-Partie.
Das war Ende November, der Beginn einer zweiten langen Siegesserie Orlandos, im Zuge derer sich der lange Deutsche als einer der besten Akteure der Liga etablierte. Die Auszeichnung zum "Eastern Conference Spieler der Woche" war nur der erste Zwischenschritt auf dem Weg zu größeren Ehren in dieser Spielzeit, seiner vierten in der Basketball-Association. Magic-Coach Jamahl Mosley platzte Tage später in ein Interview von Wagner, um vor versammelter Medienrunde etwas loszuwerden: "All-Star", rief Mosley vehement in Richtung seines neuen Stars: "Ja, ich habe es gesagt. Ich hoffe, alle haben es gehört. All-Star!"
Nur zwei Wochen später zog Wagner im Spiel gegen die Philadelphia 76ers zum Korb und spürte einen Stich in der Oberkörperseite. Während Orlandos Physiotherapeuten anschließend an der Seitenlinie an ihrem Forward herumkneteten, dachte niemand, dass dieses Wehwehchen ernst genug wäre, um ihn außer Gefecht zu setzen. Auch Wagner selbst, der sogar aufs Parkett zurückkehrte, räumte ein, er hätte kaum Schmerzen gespürt. Am Folgetag dann jedoch die düstere Hiobsbotschaft: Riss der rechten Bauchmuskulatur, mindestens vier bis sechs Wochen Pause. Ein abruptes, vorzeitiges Ende eines kometenhaften Aufstiegs, sowohl Wagners als auch seines Teams.
Wieder Orlandos Top-Option, wieder der Bauchmuskel...
"Ich meine, es ist verrückt", resümierte Wagner vergangenes Wochenende. "Ich hatte noch nie von dieser Verletzung gehört, jetzt hatten wir sie gleich zweimal innerhalb kürzester Zeit." Am 30. Oktober hatte sich Wagners Teamkollege und Frontcourt-Partner Paolo Banchero genau denselben Muskelriss zugezogen. Seither fehlt der Magic All-Star und Topscorer, der Zeitpunkt seiner Rückkehr wurde zunächst mit vier bis sechs Wochen terminiert - eine zu optimistische Prognose, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, auch weil diese Verletzung ebenso ungewöhnlich wie unvorhersehbar ist.
"Es ist eine gravierende Verletzung, auch wenn sie nicht so weh tut wie andere. Aber du musst schon extrem vorsichtig sein und sichergehen, dass sie komplett verheilt ist. Ich habe mit Paolo gesprochen. Diese Dinge können immer passieren, aber es ist schon extrem unglücklich. Gleichzeitig dürfen wir auch das Gute nicht aus den Augen verlieren: Es wird eine große Herausforderung fürs Team, aber das bedeutet auch eine große Chance. Jungs, die normalerweise nicht so viel spielen, bekommen jetzt ihre Möglichkeit, es zu beweisen. Das wird uns später helfen, in der wichtigsten Saisonphase."
Banchero ist der geborene moderne Scorer, verpackt im Körper eines Formel-1-Boliden. Dass Orlando ohne seinen besten und talentiertesten Spieler nicht nur den Kopf über Wasser hielt, sondern durchstartete, lag vor allem an der in dieser Art und Weise nicht erwarteten Formsteigerung des deutschen Ausnahmekönners. Es dauerte ein wenig, aber sobald sich der einst mehr in unterstützender Rolle agierende Team-first-Player an seine neue Rolle gewohnt hatte, ging seine Produktivität durch die Decke.
Trajektorie All-Star, Superstar
Wagner erkannte, dass seinem Team ohne Bancheros mehr als 20 Punkte pro Partie (22,6 PPG im Vorjahr, 29,0 PPG in dieser Saison) so gut wie jeglicher Scoring-Punch fehlt. Also schraubte er seine Nutzungsrate mächtig nach oben und avancierte zum alleinigen Fixstern in Orlandos Angriffsstrategie. Er sezierte gegnerische Defensiven aus dem Pick-and-Roll, zog selbst aggressiv zum Korb und fand gegen Doppeldeckung immer wieder seine freien Mitspieler. Ein gegenüber der Vorsaison verbesserter Distanzwurf machte ihn zum absoluten Albtraum für die Opponenten.
"Ich würde sagen, ich spiele wie ein großer Guard", sagt der 2,08-Meter-Mann über sich selbst. "Ich liebe es, von außen zu agieren, bin aber eben ziemlich lang. Ich versuche, von allem etwas zu erledigen. Ich hoffe, wenn mich die Leute spielen sehen, sehen sie, dass ich das Spiel richtig angehe und versuche, Spaß zu haben." Und wie viel Spaß er hatte! Gleich achtmal in den 25 Einsätzen bis zu seinem Ausfall erzielte Wagner 30 Punkte oder mehr. In seinen ersten drei Spielzeiten (231 Einsätze) war er insgesamt auf elf solche Partien gekommen. Dreimal hatte er zwischen 2021 und 2024 mindestens 30 Punkte, 5 Rebounds und 5 Assists zustande gebracht. In dieser Saison hat der Berliner bereits sechs solche Performances abgeliefert - ein deutlicher Indikator für die neue All-Around Power des Alleskönners, der sich in allen fortgeschrittenen Statistiken stark verbessert zeigt.
Mit 24,4 Punkten, 5,6 Rebounds und 5,7 Assists im Schnitt zählt Wagner zu den produktivsten und komplettesten Spielern der Liga. Außer ihm kommen nur acht andere Akteure auf mindestens 24/5/5 im Schnitt: MVP-Kandidaten wie Giannis Antetokounmpo, Nikola Jokić, Luka Dončić oder Shai Gilgeous-Alexander, und All-Stars wie Jayson Tatum, De'Aaron Fox, LaMelo Ball und Banchero. "Das sind verdammte All-Star Werte", findet auch Wagners Teamkollege Kentavious Caldwell-Pope. "Er war unser Alpha, ein echtes Monster. Und unser bester Spieler, Paolo, war nicht einmal dabei. Stellt euch vor, was wir schaffen können, wenn wir komplett sind."
Finanzielle Konsequenzen
Wagner wurde 201 von Orlando an achter Stelle gedraftet. Spätestens seit dem Gewinn der WM-Goldmedaille mit Deutschland weiß er die internationale Aufmerksamkeit auf sich gerichtet. Und die starke Turnierleistung 2023 war kein Zufall. Er bestätigte diese auch in diesem Sommer bei den Olympischen Spielen in Paris. Im Juli dann unterschrieb der Berliner bei Magic eine lukrative Vertragsverlängerung über fünf Jahre und 224 Millionen US-Dollar. Die Stimmen, die das damals für einen Wucher hielten, sind ganz schnell verstummt.
Vor seiner Verletzung war er schnurstracks in Richtung seiner ersten All-Star- Nominierung unterwegs und auch bei der Wahl zum "Most Improved Player" zählt er zu den Favoriten (sämtliche Wettanbieter führen den Berliner weiterhin an erster Stelle). Bitter für Wagner ist: Die Dauer seines Ausfalls könnte seine Berechtigung für individuelle Ehren und einen noch größeren Geldregen zunichtemachen. Der neue Tarifvertrag zwischen der NBA und der Spielergewerkschaft legt fest, dass ein Spieler mindestens 65 Partien absolvieren muss, um für eine Auszeichnung oder ein All-NBA-Team in Betracht zu kommen.
Wagners Vertrag enthält Spezialklauseln, die den Gesamtwert auf 270 Millionen US-Dollar erhöhen würden, wenn er es schafft, in eines der drei All-NBA Teams gewählt zu werden. Der Nationalspieler müsste also spätestens am 17. Januar gegen Boston wieder auf dem Parkett stehen und die dann verbleibenden 40 Restpartien absolvieren, um seine Chancen zu wahren. Die erste ausgedehnte Verletzungspause seiner Karriere hat laut Wagner auch etwas Gutes, "dass ich mich komplett auskurieren kann. Diesen Luxus hast du normalerweise nie während einer Saison. Wenn ich dann zurückkomme, dürfte ich körperlich bei 100 Prozent sein und erfrischt für die entscheidende Phase der Saison."
Neue Realität ohne Wagner und Banchero
Wie Orlando die kommenden Wochen navigiert, wird den Rest dieser Spielzeit entscheidend prägen. Seit Bancheros Ausfall hatte Wagner 26,1 Punkte, 6,0 Rebounds und 6,3 Assists im Schnitt aufgelegt, Orlando damit zu 13 Siegen aus 20 Partien und 13:3 in den letzten 16 vor seiner Verletzung geführt. Hinter den Topteams Cleveland (23:4) und Boston (21:5) hatte sich das Team aus Florida gemeinsam mit den New York Knicks als dritte Kraft etabliert. Seit Wagners Verletzung hat sich das Blatt gewendet. Nach drei Niederlagen in Folge, gegen Milwaukee im "Emirates Cup" Viertelfinale sowie New York und Oklahoma City, stehen vor dem Jahresende noch Miami (zweimal), Boston und wieder die Knicks an, ehe 2024 mit einem Heimspiel gegen Brooklyn beendet wird. Gegen die Knickerbockers setzte es vergangenen Sonntag die erste Heimniederlage überhaupt.
Ohne seine beiden besten Scorer und Spielmacher wird es das Kollektiv richten müssen. Defensiv dürfte Orlando weiterhin zu den besten Teams der Liga zählen. Im Angriff werden die Rollenspieler in die Bresche springen müssen, um das Schiff irgendwie auf Kurs zu halten und in der Tabelle nicht zu sehr abzurutschen. Rollenspieler wie Moritz Wagner und Tristan Da Silva, die gegen die Knicks jeweils neue Karrierebestwerte erzielten (Wagner 32 Punkte, Da Silva 20). Das gesamte "Magic Kingdom" hofft, dass diese schwere Herausforderung die Truppe auf lange Sicht stärker machen wird - und dass weder Banchero noch Wagner allzu lange ausfallen. (Banchero hat es nicht geschafft, innerhalb des erhofften Zeitfensters wieder fit zu werden; er soll um die Jahreswende wieder einsatzbereit sein. Wagner wird im Januar neu evaluiert).
"Es ist sehr schwer. Ich war zunächst sehr frustriert, dann habe ich mich auf das Positive fokussiert", sagt Wagner zum Schluss. "Ein bisschen reflektiert, über die Saison bisher. Meine Jungs um mich herum zu haben und den Support der Truppe, ist wichtig, um das hier so gut wie möglich zu überstehen. Es ist nicht ideal, aber so ist das eben in der NBA. So ist das Leben manchmal. Diese Dinge erinnern dich manchmal daran, wie viel wir als selbstverständlich betrachten. Es könnte immer viel schlimmer sein, darum ist es wichtig, Perspektive zu wahren. Das Gute ist, dass Paolo und ich beide bald zurückkommen und wir als Gruppe so richtig durchstarten können."
Quelle: ntv.de