Sport

Nacholympische Ernüchterung Peking glanzlos wie zuvor

Gigantisch waren die Olympischen Spiele in Peking 2008. Aller Welt zeigte China seine Leistungsfähigkeit. Doch die Realität hat das Land eingeholt. Erst der Milch-Skandal und dann die Wirtschaftskrise: China krankt an denselben Unfreiheiten wie zuvor.

Trist erscheint das Vogelnest heute.

Trist erscheint das Vogelnest heute.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Das "Vogelnest" ist leer - alle ausgeflogen. Das Pekinger Olympiastadion hat in dem Jahr seit der spektakulären Feier zum Abschluss der Olympischen Spiele in Peking am 24. August 2008 nur eine einzige weitere Sportveranstaltung gesehen. Ausgerechnet die italienischen Clubs Lazio Rom und Inter Mailand spielten aus Anlass des ersten Olympia-Jahrestages in der Arena im fernen China um Italiens Fußball-Supercup, den die Römer nach einem 2:1 mit nach Hause nahmen. Doch chinesische Kicker oder andere Sportler haben das "Vogelnest" seit Olympia nicht ein einziges Mal wieder genutzt.

Immerhin ist das architektonisch einmalige Sportstadion zu einer Touristenattraktion wie die Große Mauer oder die "Verbotene Stadt" geworden. Tausende Menschen zahlen täglich 50 Yuan, gut fünf Euro, dafür, die verwaiste Arena besichtigen zu dürfen, oder lassen sich vor dem Stadion fotografieren. Diese Einnahmen sollen die Unterhaltungskosten von 60 Millionen Yuan, etwa sechs Millionen Euro, im Jahr mehr als decken. Auch nebenan das "Wasserwürfel" genannte Schwimmzentrum und andere Sportstätten bleiben weitgehend ungenutzt. Die Leere erscheint symbolisch für die nacholympische Ernüchterung.

Von der Realität eingeholt

Mit einer pompösen olympischen Megashow hatte das erstarkte China vor einem Jahr der Welt seine Leistungsfähigkeit bewiesen, wurde aber kurz darauf wieder von der Realität eingeholt. Erst erinnerte der Skandal um die mit Industriechemikalien gepanschte Milch an eigene Unzulänglichkeiten, dann zog die globale Finanzkrise auf. Das chinesische Wirtschaftswunder wurde schmerzhaft abgebremst. Millionen verloren ihre Jobs. Wie vor einem Jahr die Tibeter rebellierten jetzt auch die Uiguren gegen ihre Benachteiligung durch die Chinesen.

Feuerwerk über dem Vogelnest während der Probe für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2008 in Peking (Archivfoto vom 02.08.2008).

Feuerwerk über dem Vogelnest während der Probe für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2008 in Peking (Archivfoto vom 02.08.2008).

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Das olympische Erbe lässt sich am ehesten in der Infrastruktur der 17-Millionen-Metropole finden: In den neuen U-Bahnen, gasbetriebenen Bussen, neuen Straßen und Grünflächen. Geblieben sind auch die Verkehrsbeschränkungen. Einen Tag die Woche müssen die Pekinger auch heute noch auf ihr Auto verzichten. Was Olympia mit der Umsiedlung oder Schließung von Dreckschleudern in Peking aber nicht wirklich geschafft hat, besorgte erst die Wirtschaftskrise. Die oft versmogte Luft ist heute besser als je zuvor, weil Fabriken und Kraftwerke ihre Produktion drosselten. "Die wirtschaftlichen Aktivitäten haben sich verlangsamt", sagte der Umweltexperte Zhu Tong von der Peking Universität. "So wird in Peking und umliegenden Gebieten weniger Energie verbraucht und weniger Dreck in die Luft abgelassen."

Von mehr Freiheit keine Spur

Die Hoffnungen, dass Olympia mehr Freiheit in die Diktatur bringen würde, wurden enttäuscht. Die Verfolgung von Bürgerrechtlern und die Zensur des Internets oder der Medien haben nicht nachgelassen. Vor dem 60. Gründungstag der Volksrepublik im Oktober werden die Zügel noch wieder angezogen. Ähnlich wie vor Olympia wurde auch die Praxis der Visavergabe wieder verschärft, um mögliche Störenfriede fernzuhalten. Wie Olympia dient der Geburtstag der Kommunistischen Partei als Propagandaereignis. So kommt auch das "Vogelnest" wieder zum Einsatz. Star-Regisseur Zhang Yimou, der die olympische Eröffnungs- und Schlussfeier vor einem Jahr farbenfroh und meisterlich inszeniert hatte, wird im Stadion seine Version der Pucchini-Oper Turandot vor den Führern Chinas und ihren Gästen aufführen.

Zwar beteuern die Olympia-Organisatoren heute, Profit gemacht zu haben, doch die Milliardenkosten für Bauten und Sicherheit werden dabei nicht mitgerechnet. Überhaupt weiß wohl niemand so genau, was die Spiele gekostet haben. Da die kommunistische Führung seinem Volk aber nicht rechenschaftspflichtig ist, scheint es auch egal zu sein. Dass die mangelnde Nutzung der Sportstätten dem nacholympischen Image aber schadet, räumen Offizielle offen ein. Die groß verkündeten Pläne für Vergnügungszentren, Einkaufsplazas, Restaurants und Fitnessclubs auf dem früheren olympischen Grund wurden nicht realisiert. Einiges lässt sich vielleicht auf die Wirtschaftskrise schieben, doch bemängeln Kritiker selbst in Chinas Akademie der Wissenschaften, dass es nie einen richtigen "Nach-Olympia-Plan" gegeben habe.

Quelle: ntv.de, Andreas Landwehr, dpa

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