Olympia in China Peking ist gesäubert
07.08.2008, 09:52 UhrDas Internationale Olympische Komitee (IOC) und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hoffen auf die Wirkung des Sports: China werde sich durch Olympia öffnen und die Menschenrechtslage verbessern, versprachen sie vor Beginn der Spiele. "Das ist so nicht eingetroffen", sagt Verena Harpe von Amnesty International im Gespräch mit n-tv.de. Ganz im Gegenteil: IOC und DOSB seien "sehr zurückhaltend" gegenüber der chinesischen Regierung, hätten keine klaren Forderungen gestellt. Bereits im Vorfeld der Spiele wurden systematisch tausende unerwünschte Personen verhaftet und ohne Gerichtsverfahren eingesperrt. Besonders die "Umerziehung durch Arbeit" sei ein Verstoß gegen die Menschenrechte, so Harpe.
n-tv.de: Werden die deutschen Sportler bei den Olympischen Spielen überhaupt Einblick in den chinesischen Alltag erhalten?
Verena Harpe: Die Sportler werden wahrscheinlich hauptsächlich im olympischen Dorf sein. Vom Alltag in Peking werden sie nicht viel mitbekommen. Klar ist, dass die chinesischen Behörden alles daran setzen, dass Peking sich von seiner besten Seite präsentiert. Zu dem Zweck wird alles von den Straßen verschwinden, was irgendwie stören könnte. Wir kritisieren, dass bei dieser Gelegenheit auch Bettler, illegale Taxifahrer und andere unerwünschte Personen aus dem Stadtbild entfernt wurden.
Vor den Spielen wurde immer von "Säuberungen" gesprochen. Was ist mit den Bettlern, Drogenabhängigen und Prostituierten passiert?
Diese Maßnahmen haben die Pekinger Behörden schon sehr früh angekündigt. Bereits 2006 wurde davon gesprochen, dass sie im Zuge der "Säuberung" Pekings für Olympia diese Personengruppen aus der Innenstadt entfernen und mit Hilfe der so genannten Verwaltungshaft für eine gewisse Zeit wegsperren wollen.
Was bedeutet Verwaltungshaft?
Das ist eine Form der Inhaftierung, die allein auf Anordnung der Polizei erfolgt. Ohne vor Gericht gestellt und dort gehört zu werden, kann die Polizei die Verhaftung einer Person anordnen. Diese Menschen kommen dann in ein Lager. Besonders kritisieren wir eine spezielle Form der Verwaltungshaft, die "Umerziehung durch Arbeit". Hierzu können Personen für bis zu drei Jahre weggesperrt werden, mit der Option der einjährigen Verlängerung. Man kommt also bis zu vier Jahre in ein Arbeitslager und hat faktisch keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Da die Verhaftungen nicht überprüft werden, öffnet dies der Willkür Tür und Tor.
Was passiert in diesen Lagern? Handelt es sich um reine Arbeitslager oder werden dort auch ideologische Schulungen abgehalten?
In der Regel sind es Arbeitslager, in denen die Häftlinge auch auf den "rechten Weg" zurückgebracht werden sollen. Zum Beispiel müssen Inhaftierte schriftlich niederlegen, was sie falsch gemacht haben. Die Art der Arbeit unterscheidet sich von Lager zu Lager. Besorgnis erregend ist, dass vor den Spielen diese Praxis zugenommen hat. Zum Beispiel gibt es die Verwaltungshaft auch zum zwangsweisen Drogenentzug. Bereits 2007 haben die Behörden in Peking die Haftdauer dafür von sechs auf zwölf Monate verlängert.
Wie systematisch sind die Behörden bei den Verhaftungen vorgegangen?
Das kann man nicht ganz genau sagen. Beispielsweise werden die so genannten "Petitioner" seit einiger Zeit systematisch vertrieben und aus der Stadt gebracht. Das sind Menschen, die in der Provinz ihre Rechte nicht durchsetzen konnten und in die Hauptstadt kommen, um bei der Zentralregierung ihre Anliegen vorzubringen. Sie kamen zu tausenden nach Peking und hielten sich, teilweise über Jahre, in Zelten und Behelfsunterkünften auf, die nahezu ein eigenes Stadtviertel bildeten. Bereits 2007 hat man begonnen, sie einzusammeln und in Haftzentren am Rande der Stadt zu bringen, die ohne rechtliche Grundlage existieren. Dort wurden sie bei wenig Essen und mangelhaften sanitären Einrichtungen festgehalten. Anschließend wurden sie in ihre Heimatprovinzen zurückgeschickt.
Für die olympischen Gebäude wurden tausende Menschen zwangsweise umgesiedelt. Gab es dagegen Proteste?
Die gab es - ein Beispiel ist Wang Li. Sie setzte sich gegen diese Zwangsvertreibungen ein, da auch sie wegen Olympiabauten umgesiedelt wurde. Sie bereitete Banner vor und wollte protestieren. Die Polizei ordnete 15 Monate "Umerziehung durch Arbeit" an, die sie zur Zeit absitzt.
Auch Anwälte wurden unter Hausarrest gestellt. Warum?
Einige Anwälte stehen unter Hausarrest, andere wurden verwarnt oder unter Polizeiaufsicht gestellt. Sie haben sensible Fälle vertreten, zum Beispiel Menschenrechtler. Die Behörden wollten verhindern, dass sie Interviews mit ausländischen Journalisten über die Hintergründe führen und setzen sie gezielt unter Druck. Von mehreren kritischen Anwälten wurde die Lizenz nicht verlängert, die man immer wieder neu beantragen muss. Normalerweise ist das eine Formalie, hier wurde sie aber nicht verlängert. Dafür gab es keine sachliche Grundlage.
Bei der Verwaltungshaft kommt es zu keinem Gerichtsverfahren, die Polizei kann willkürlich Personen verhaften. Können IOC und DOSB unter diesen Umständen überhaupt Einfluss nehmen?
Unsere Erfahrung ist, dass das IOC und der DOSB sehr zurückhaltend bei Forderungen gegenüber den chinesischen Organisatoren und der Regierung sind. Amnesty kritisiert ausdrücklich, dass das IOC nicht mit klaren Forderungen aufgetreten ist und Garantien eingefordert hat. Selbst Zusagen der Chinesen, die bei der Vergabe der Spiel gemacht wurden, zum Beispiel volle Medienfreiheit für ausländische Journalisten, wurden nicht eingelöst. Das IOC hat sich hier nicht durchgesetzt. Auch bei anderen menschenrechtsrelevanten Problemen fühlt es sich nicht zuständig oder sieht keine Möglichkeiten der Einflussnahme.
Was passiert nach Olympia? Können die Spiele eine Öffnung in China bewirken?
Das lässt sich noch nicht absehen. Das IOC hat immer gesagt, dass allein die Spiele bereits die Menschenrechtslage verbessern und China öffnen werden. Jetzt muss man aber sagen: Das ist so nicht eingetroffen. Es gab nur kleine Verbesserungen, die immer betont wurden. Insgesamt hat sich die Lage aber nicht substantiell und nachhaltig verbessert, teilweise ist sie sogar noch schlechter geworden. Kritische Stimmen werden mundtot gemacht, weggesperrt oder unter Hausarrest gesperrt. Man kann also nicht sagen, dass die Spiele bisher viel Positives bewirkt haben. Es kommt darauf an, wie die Spiele ablaufen werden und wie sich die chinesische Regierung danach verhält. Es besteht aber die Gefahr, dass in dem Moment, in dem die große internationale Aufmerksamkeit nachlässt, weiterhin hart gegen Kritiker vorgegangen wird. Zum Beispiel wurde gerade das Verfahren gegen eine Menschenrechtlerin, das eigentlich vor einigen Tagen stattfinden sollte, auf die Zeit nach den Spielen verschoben, weil man negative Schlagzeilen vermeiden wollte.
Aber der Prozess wird in jedem Fall kommen?
Ja, davon muss man auf jeden Fall ausgehen.
Quelle: ntv.de, Mit Verena Harpe sprach Markus Lippold