Bode Miller und die Ski-WM "Rennen fahren ist ein Deal mit der Angst"
05.02.2019, 06:45 Uhr
Bode Miller in Aktion.
(Foto: picture alliance / Jean-Christop)
Speed-Gold zum Karriereende für Lindsey Vonn und Aksel Lund Svindal, die große Technik-Show von Marcel Hirscher und Mikaela Shiffrin? Die Ski-Weltmeisterschaft 2019 im schwedischen Åre, die an diesem Dienstag um 12.30 Uhr mit dem Super-G der Damen startet, wird sehr speziell, findet die amerikanische Legende Bode Miller. Warum er, der die WM als TV-Experte bei Eurosport begleiten wird, dennoch nicht an ein Comeback denkt, warum er fünf Euro auf die deutsche Streif-Sensation Sepp Ferstl setzen würde, und wieso der Klimawandel nicht die größte Herausforderung für den Ski-Rennsport ist, verrät er im ntv.de-Interview.
n-tv.de: Erst das Abfahrtstraining der Herren, dann die Super-G-Entscheidung der Damen und Lindsey Vonns erste von zwei Chancen auf WM-Gold zum Karriereende - die alpine Ski-WM 2019 startet heute furios, zuckt es da nicht mächtig zwischen Oberschenkel und Ferse?
→ Samuel Bode Miller wurde am 12. Oktober 1977 in Easton (New Hampshire) geboren.
→ Er gewann in seiner Karriere 33 Weltcup-Rennen. Bei der WM 2003 in St. Moritz gewann er Gold in den Disziplinen Kombination und Riesenslalom. Zwei Jahre später in Bormio holte er dann WM-Gold in der Abfahrt und im Super G.
→ Olympiasieger wurde er 2010 in Vancouver in der Super-Kombination.
Bode Miller: Nein, ich habe absolut abgeschlossen mit dem alpinen Rennsport. Schon bei meiner letzten Weltmeisterschaft 2015 wollte ich eigentlich keine Rennen mehr fahren. Als ich dann Ende Oktober 2017 zurückgetreten bin, war ich absolut bereit dazu, und ich habe es auch nie bereut.
Vermissen Sie nichts? Das Adrenalin? Den Wettkampf?
Nein, ich vermisse wirklich gar nichts.
Nun, es scheint ja auch gefährlicher zu werden auf den Weltcup-Pisten. Zumindest häufen sich die Stürze mit schweren Verletzungen …
Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Das Risiko wurde mehr und mehr verringert - die Fangnetze sind viel besser geworden, die Pisten viel smoother, viel geschmeidiger. Und sogar die Ausrüstung unterliegt ja strengen Regeln. Ich denke das Problem ist, dass die Athleten nun glauben, dass sie in jedem Rennen immer 100 Prozent fahren können und dabei immer geschützt sind.
Wie meinen Sie das?
Schauen Sie sich mal die alten Zeiten an, als die Jungs noch mit Holzski unterwegs waren, als die Pisten nicht perfekt präpariert wurden und an den Seiten Zäune ebenfalls aus Holz standen, damals, da mussten die Fahrer viel mehr Acht geben. Sie hätten sich umgebracht, wenn sie einen Fehler gemacht hätten. Die Jungs waren damals viel aktiver - sind aber nicht übermütig geworden. Heute ist es oft so, als ob die Fahrer davon ausgehen, dass da keine Hügel und keine Löcher auf der Piste sind und das sie, wenn sie stürzen, in ein feines Netz fallen. Da läuft was falsch. Da muss dringend was geändert werden. Wenn man sie mal auf einer normalen Piste - ohne Fangnetze, ohne alles - ein Rennen fahren lassen würde, mit einem Ersten, Zweiten, Dritten, dann würde sich vielleicht etwas ändern. Dann würden sie denken, heiliger Mist, da sind ja Menschen auf der Strecke, dann würden sie merken, wie gefährlich das ist. Im Weltcup haben sie das Gefühl für die Gefahr verloren.
Sie haben zuletzt in einem Interview mit der "Sport Bild" erklärt, dass Sie während ihrer Karriere oft Angst hatten. Wie passt das zusammen - schnell, erfolgreich, ängstlich?
Ja, die Angst war immer dabei. Sie war ein ständiger Begleiter. Denn ein Rennen zu fahren ist etwas ganz anderes, als einfach nur normal Ski zu fahren. Das ist manchmal vielleicht ein bisschen aufregend, aber normalerweise ist es nur schön. Da kannst du einfach mal 500 Meter fahren, ohne zu schnell zu werden. Nicht aber im Rennen, in Kitzbühel bist du eigentlich schon nach drei Sekunden zu schnell. Du fühlst dich wie in einem Videospiel, in dem dir viele schlimme Sachen passieren können. Du denkst: Wenn ich da hinfahre, bin ich tot. Wenn ich dort hinfahre, bin ich tot. Wenn ich diesen Sprung verpasse, bin ich auch tot. Du hast dieses Gefühl überall - it's a shit!
Wie sind Sie damit umgegangen? Immerhin haben Sie 33 Weltcup-Rennen gewonnen, sind vierfacher Weltmeister und sogar einmal Olympiasieger?
Es gibt nicht viele Möglichkeiten damit umzugehen, aber das ist der Deal, den du eingehst. Wut zum Beispiel hat bei mir nicht funktioniert, das hat vielleicht bei Hermann Maier geklappt. Ich habe versucht, mich von der Angst auf meiner Fahrt inspirieren zu lassen. Umso mehr Erfahrungen du sammelst, desto besser verstehst du das. Du musst lernen, damit klarzukommen, um abzuliefern.
Ist der schnellste Fahrer dann also auch gleich der beste Fahrer?
Hmmm..., das ist eine interessante Frage. Die Rennfahrer sind in den vergangenen Jahren viel besser geworden, eine Entwicklung, wie wir sie auch in anderen Sportarten beobachten können. Der Abstand zwischen den Fahrer ist viel, viel kleiner geworden, die Weltelite ist zusammengerückt. Als Ingemar Stenmark (Anmerk. d. Red.: der nach Weltcup-Siegen erfolgreichste Skifahrer aller Zeiten) seine beste Zeit hatte und 14 Rennen in Folge gewonnen hat, konnte er in jedem Rennen 50 Prozent geben. Das hat gereicht. Da hat der Beste immer gewonnen. Heute reichen 50 Prozent nicht mehr. Damit hast du keine Chance, damit wirst du weggeboxt, damit wirst du Letzter. Heute gibt es viele Einflüsse, die über den Ausgang eines Rennen entscheiden, das Wetter, die Schneebedingungen, die Abstimmung des Materials - manchmal gehört aber auch ein bisschen Glück dazu.
Mit ein bisschen Glück feiern Lindsey Vonn und Aksel Lund Svindal nun in Åre den perfekten Abgang von der großen Ski-Bühne. Wird die Weltmeisterschaft angesichts dieser beiden endenden, herausragenden Karrieren eine ganz besondere?
Ja, ich denke es wird eine sehr spezielle Weltmeisterschaft. Man muss vor diesen beiden Karrieren einfach den größten Respekt haben. Lindsey ist eine der besten, wenn nicht die beste Fahrerin, die es in unserem Sport je gegeben hat. Und das meine ich sogar geschlechterübergreifend. Und Aksel hat nicht nur unglaublich viel gewonnen, er hat sich auch als Mensch einen beeindruckenden Platz in der Weltcup-Geschichte verdient. Und es ist auch so: Wenn du deinen Rücktritt für die Zeit direkt nach der WM und nicht erst zum Saisonende ankündigst, dann weißt du auch: Der Körper macht jetzt wirklich nicht mehr mit.
Gibt's aber dennoch das Ski-Märchen?
Ich denke schon. Die Strecke hier ist technisch nicht besonders anspruchsvoll. Klar gibt es einige Punkte, an denen du das Rennen gewinnen oder verlieren kannst, aber es ist nicht so krass, wie beispielsweise in Kitzbühel oder Bormio. Lindsey und Aksel haben immer noch die Fähigkeit bei der WM so Ski zu fahren, wie sie es uns über Jahre gezeigt haben. Ich wäre wirklich überrascht, wenn nicht wenigstens einer von beiden eine Medaille holt oder am Ende sogar ganz oben steht.
Bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang schockte Snowboard-Superstar Ester Ledecká die Ski-Weltelite mit Super-G-Gold. Gibt's in Åre die nächste alpine Sensation?
Natürlich ist das nicht unmöglich, aber ich erwarte das eigentlich nicht. Die Strecke in Pyeongchang war ja nicht besonders schnell und auch die Sprünge waren nicht sehr weit. Åre ist da schon eine andere Herausforderung. Die guten Skifahrer sind dort eigentlich immer gut. Aber natürlich bleibt ein Ski-Rennen ein Ski-Rennen. Und in Åre haben wir besondere Bedingungen: Es ist arschkalt, der Wind bläst oft stark, es ist feucht und du hast überall so kleine Schneekristalle. Die beiden Male, in denen ich dort war, war es sehr schwer, den richtigen Ski zu finden. Aber Fahrer wie Lindsey oder Aksel haben sehr gute Techniker. Das verschafft ihnen einen guten Vorteil.
Gibt es denn Fahrer, die diese WM dominieren werden?
Klar, in den technischen Disziplinen Slalom und Riesenslalom wird es schwer, Mikaela Shiffrin und Marcel Hirscher zu schlagen. Obwohl mich der junge Franzose Clement Noel zuletzt sehr überzeugt hat, er ist ein sehr explosiver und dynamischer Fahrer. Da der Hang aber relativ einfach ist, kommt es vor allem darauf an, dass du viel riskierst, um vorne zu sein. In den Speedwettbewerben habe ich den Italiener Dominik Paris ganz oben auf der Rechnung - auch wenn das Feld sehr eng beisammen ist. Dominik bringt alles mit, er ist ein guter Fahrer, hat gute Ski und gute Techniker. Schön wäre natürlich, wenn Aksel zum Ende seiner Karriere nochmal etwas reißt.
Würden Sie auch fünf Euro auf ihren in dieser Saison stark aufstrebenden US-Kollegen Bryce Bennett oder den deutschen Streif-Sieger Sepp Ferstl wetten?
Ja klar, das bringt mir eine super Quote. Wobei ein Erfolg von Ferstl weniger unwahrscheinlich ist, als ein Erfolg von Bennett.
Sie gelten als Mann, der sich viele Gedanken macht und auch kritische Worte äußert. Lassen Sie uns über die Herausforderungen sprechen, die es für den Ski-Zirkus in den kommenden Jahren zu bewältigen gilt – beispielsweise den Klimawandel.
Um ehrlich zu sein ist die Umwelt eher weniger das Problem als die Organisation. Aber klar, es ist unsere Natur und wir müssen mit den Veränderungen umzugehen lernen. Der Weltcup muss sich den Gegebenheiten ebenfalls anpassen. Dass sich das Klima ändert, ist ja offensichtlich. Was mich wundert ist, dass es Menschen gibt, die davon überrascht sind. Wir hören das doch seit 20 Jahren, und als ich ein kleiner Junge war, habe ich ein Buch von einem Autor gelesen, der alles bereits in den 1960er-Jahren richtig prophezeit hat. Es gibt mehr Stürme, mehr Brände, mehr Überflutungen und auch mehr bizarre Kältewellen. Schauen Sie sich die USA an, dort gibt es kaum Gegenden, wo es keine Naturkatastrophen gibt. Aber Klimawandel bedeutet ja nun auch nicht, dass es demnächst überall so Wetter gibt, wie auf den Bahamas. Es wird auf der Welt auch weiter kalte Orte geben - und wenn die Organisatoren wollen, kann es dort auch Rennen geben. Es wird in Zukunft vielleicht nicht mehr 40 Rennen geben, sondern nur noch 15. Aber das wäre ja auch gut - für alle Beteiligten.
Sie sprachen gerade vom Problem der Organisation - was meinen Sie damit?
Die Managementstruktur des Weltcups hat ein großes Problem. Da sitzen alte Männer, die haben keine Vorstellungskraft, kein Gewissen. Sie interessieren sich nicht für die hier bereits mehrfach erwähnten Probleme. Sie zerstören nur den Sport - und es ist ihnen egal. Aber für unser aller Leben ist der Klimawandel das größte Problem. Der Großteil der Welt interessiert sich nicht für den Weltcup. Deswegen sind das auch zwei verschiedene Dinge.
Mit Bode Miller sprach Tobias Nordmann, Trentino
Quelle: ntv.de