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Experten-Ikone über DEL-Start Schlagen die "Angepissten" wütend zurück?

Der letzte Eindruck des deutschen Eishockeys ist ein guter. Ein sehr guter sogar. Bevor die Kufen für eine Woche im Spind verschwanden, begeisterte die junge und leidenschaftliche Nationalmannschaft bei der WM in Lettland und verpasste nur hauchzart eine historische Medaille. Kann der Hype um das DEB-Team auch in die Liga schwappen? Was können die Fans, die tatsächlich wieder in großer Zahl in die Hallen dürfen, von der zweiten Saison unter dem Einfluss der Corona-Pandemie erwarten? Zwei „angepisste“ Klubs haben mächtig aufgerüstet und wollen nach der Enttäuschung der vergangenen DEL-Spielzeit nun die Korrektur, sprich den Titel. Volle(re) Hallen, jede Menge zurückgekehrte Stars und neue Regeln, die Vorfreude ist riesig. Auch beim ehemaligen National- und DEL-Spieler Rick Goldmann. Für MagentaSport begleitet er die anstehende Saison, besonders die "schnellste Konferenz" am Freitagabend, als Experte. Jedes Wochenende gibt es bei den Kollegen das volle Live- und Analyse-Paket. Rund 500 Spiele inklusive der Nationalmannschaft werden übertragen. Ausgewählte Highlight-Clips gibt es in dieser Saison übrigens auch in Zusammenarbeit mit MagentaSport bei ntv.de. Wir haben mit Goldmann vor dem ersten Bully zwischen Meister Eisbären Berlin und Red Bull München am Abend gesprochen.

ntv.de: Herr Goldmann, als ich einem Kollegen von unserem Gespräch erzählt habe, hat er so reagiert: 26 Grad, Sonne, endlich Sommer und du sprichst über Eishockey. Was ist los mit dir? Was kann man so Jemandem eigentlich entgegen?

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Rick Goldmann sieht die Adler aus Mannheim als Top-Favorit auf den Titel.

(Foto: imago/Eduard Bopp)

Rick Goldmann: Tatsächlich ist es so, dass es für mich früher als Profi auch nicht so einfach war, aufs Eis zu gehen und im Juli oder August wieder ins Training einzusteigen, während um mich herum alle in den Urlaub gefahren sind. Aber so ist das eben. Bei uns beginnt die Saison im September. Und als Spieler sehnst du den Start auch unfassbar herbei. Du willst, dass die Vorbereitung aufhört, dass es endlich losgeht, dass es um etwas geht. Und als Fan sage ich: Wir haben wieder eine richtige Saison, unsere Jungs aus der Nationalmannschaft kommen mit dem Rückenwind aus dem WM-Halbfinale und die Fans sind zurück in den Hallen. Wenn das nicht für jede Menge Spaß reicht …

Sie sagen es, die Fans sind zurück. Der Kölner Kapitän Moritz Müller hat im Sommer gesagt: "Ohne Fans macht Eishockey keinen Sinn." Was bedeutet die Rückkehr für das Spiel und die Spieler?

Wir haben in der vergangenen Saison ja nicht nur beim Eishockey festgestellt, sondern auch bei allen anderen Sportarten, was es für einen Unterschied beim Zuschauen macht, wenn keine Fans da sind und es in den Hallen leise ist. Das ist schon komisch. Und noch mehr natürlich für die Spieler. Sie bekommen von den Tribünen keinen Impact. Das kann vieles auf dem Eis verändern, kann Spiele mitentscheiden. Nun geht endlich wieder was, darauf freue ich mich riesig. Und die Auslastung bei den meisten Klubs ist ja jetzt zum Saisonstar auch sehr, sehr gut. Fast überall dürfen mehr als 50 Prozent der Fans zurück in die Hallen.

Ist das gerade für zuletzt kriselnde Traditionsvereine wie die Kölner Haie, die Düsseldorfer EG oder die Krefelder Pinguine mit großen und gewachsenen Fan-Gemeinden besonders wichtig?

Ausgerechnet die drei Vereine zu vergleichen, ist sehr schwierig. Da ist die Gemengelage jeweils ganz anders. Ich würde da eher auf Vereine wie die Straubing Tigers oder die Iserlohn Roosters gehen. Die werden ganz extrem von den Fans abgeholt. Und klar, für die kleineren Vereine ist die Stimmung, die Atmosphäre auch immer wieder mit der Hoffnung verbunden, dass da ein Impact kommt, der wegen Sparkursen oder anderer Einflüsse auf dem Eis nicht möglich ist. Aber das ist natürlich immer dieses Henne-Ei-Prinzip. Beides bedingt sich immer gegenseitig.

Sie haben die Iserlohn Roosters gerade angesprochen, deren Trainer Brad Tapper in der Meister-Umfrage Folgendes gesagt hat: "Da wir jedes Spiel gewinnen wollen, ist es die logische Konsequenz, dass die Iserlohn Roosters Deutscher Meister werden." Was ist denn da los?

Das ist das Anspruchsdenken eines erfolgreichen denkenden Menschen (lacht). Aber dieses von Spiel zu Spiel denken, das kommt ja nicht von ungefähr. Wenn du mit der Einstellung „Heute will ich nicht hoch verlieren“ antrittst, brauchst du gar nicht erst aufs Eis zu gehen. Du gehst einfach in jedes Spiel rein und möchtest gewinnen. Ob das realistisch ist oder nicht, es ist ein legitimer Anspruch!

Aber deswegen gleich den Meistertitel ausrufen?

Dass ich am Ende Meister werde, wäre ja nur die Konsequenz aus diesem Anspruch. Aber ich glaube die Aussage soll ein Signal an die Mannschaft sein: Verstecken gibt es nicht. Niemand soll zufrieden sein, wenn man auf Platz acht in der Tabelle steht. Tapper ist ein noch junger Trainer. Und gerade bei den Jungen, ob Spieler oder Trainer, lässt sich schön beobachten, dass sie ihre Ziele klar und aggressiv formulieren. Schauen wir etwa zu Moritz Seider, der hat gesagt: Wenn ich in der kommenden Saison nicht in der NHL spiele, dann wäre das eine Enttäuschung!

Dann schauen wir uns doch die Roosters kurz an: In Ihrem Podcast „die Eishockey-Show“ haben Sie den Kader sehr gelobt…

Ja, absolut. Ich erkenne da eine deutliche Aufwertung auf dem spielerischen Markt. Sie haben gute Spieler geholt, die sich in der DEL auskennen und Leistungsträger bei anderen Klubs waren. Simon Sezemsky aus Augsburg etwa ist ein sehr guter Power-Play-Spieler. Kris Foucault, der aus Berlin kommt, ist ein Top-Torjäger. Auch Luke Adam aus Nürnberg hilft dem Team sehr weiter. Und mit Travis Ewanyk sowie Sena Acolatse haben sie an körperlicher Robustheit gewonnen. Dieses Spiel kommt bei den Fans am Seilersee besonders gut an. Das ist ein wirklich runder Kader. Und das Tapper dieses Aufgebot nun erstmals (Anmerk. d. Red.: er wurde erst im Februar zum Chef der Roosters befördert) zum Saisonbeginn zur Verfügung hat, das kann sich auszahlen.

Nun, der vermeintliche Meister der neuen Saison kommt aus einer anderen Stadt. Aus Mannheim. Die Adler haben nach der Enttäuschung der vergangenen Saison massiv aufgerüstet. Sind sie wirklich zu stoppen?

Sie haben echt brutale Neuverpflichtungen getätigt. Mit Korbinian Holzer haben sie für mich nun den besten Defensiv-Verteidiger. Mit Nigel Daws haben sie einen der besten Torjäger und Scorer aus der KHL, der sehr starken russischen Liga geholt. Dazu noch Topstürmer Borna Rendulic, Nationalspieler Lean Bergmann und den hochtalentierten Tim Wohlgemuth. Von der Tiefe und der Qualität ist kein Kader in der DEL so stark besetzt. Der Anspruch muss natürlich der Meistertitel sein. Aber wir haben letzte Saison gesehen, was alles passieren kann. Für mich sind sie aber natürlich Top-Favorit.

Kommen wir zu Red Bull München, dem zweiten Team, dass nach dem frühen Playoff-Knockout "angepisst war", wie Ingolstadts Trainer Doug Shedden etwas drastisch sagte, und zum Meister aus Berlin. Was geht da jeweils?

München hat sich in der Offensive nochmal verbessert. Das klingt vielleicht ein bisschen komisch, weil sie in der vergangenen Saison schon die meisten Tore erzielt haben, aber sie haben dennoch einiges für die Offensive getan. Mit Ben Smith haben sie den vielleicht besten Importspieler der Liga geholt. Er spielt sehr konstant. Dazu kommt noch Frederik Tiffels, der mehr Potenzial besitzt, als er zuletzt in Köln gezeigt hat. In der Champions Hockey League hat er bereits sehr, sehr gut mit Ben Street zusammengespielt. Wenn die Defensive und die Goalies stabil bleiben, dann wird es eine sehr gute Saison für München werden. Und auch Berlin ist für mich ein Mitfavorit, nicht nur weil sie Meister sind. Sie haben sich sehr clever verstärkt, etwa mit Nicolas B. Jensen, der sowohl defensiv als auch offensiv stark ist und mit Kevin Clark.

In dieser Saison gibt es mit den Bietigheim Steelers seit langer Zeit mal wieder einen Aufsteiger. Was ist von der Mannschaft zu erwarten?

Mir gefällt die Herangehensweise von Bietigheim. Sie haben sehr viele Spieler aus dem Aufstiegsjahr gehalten und den Kader mit ein paar Importspielern aufgefüllt. Ich finde den Kader sehr spannend. Dass die Mannschaft eingespielt ist, könnte gerade zu Saisonbeginn ein riesiger Vorteil sein. Und wenn sie sich nicht klein machen, sondern die breite Brust und den Spirit mitnehmen, ist da durchaus was möglich. Wie bei Bremerhaven vor ein paar Jahren. Ich bin sehr auf Spieler wie Tim Schüle und Alexander Preibisch gespannt, die in der vergangenen Saison offensiv sehr stark waren, das zuvor in der DEL aber nie zeigen konnten, weil sie diese Rollen nicht hatten. Der Schlüssel ist für mich aber der neue Goalie Sami Aittokallio, der mit Nordamerika-Erfahrung kommt.

Nun gibt in dieser Saison erstmals seit 15 Jahren wieder einen Absteiger? Eine gute Idee und gehört Bietigheim zu den Kandidaten?

Ich bin absolut ein Freund des Abstiegs. So bleibt es in der Liga bis zum Ende spannend und brisant. Das bringt jede Menge Druck, nicht nur an der Spitze. Und das ist für mich auch das, was den Sport ausmacht, ich finde es einfach nur fair, dass du den Platz für eine andere Mannschaft räumen musst, wenn du sportlich nicht mithalten kannst. Und auf Bietigheim bin ich sehr gespannt, es hängt - wie gesagt - viel vom Start in die Saison ab.

Wenn könnte es dann erwischen? Die Krefeld Pinguine, die in der vergangenen Saison nur fünf Spiele gewinnen konnten?

Ja, auf Krefeld bin ich sehr gespannt. Goalie Sergej Belov braucht eine Top-Saison. Zuletzt hatte er sehr viele Tore kassiert. Mal sehen wie gut die Qualität ist, aber ich fürchte tatsächlich, dass sie es sehr schwer haben werden. Sonst sehe ich ein breites Feld an Klubs, die in den Kampf gegen um den Klassenerhalt reintuschen können.

Bei der Düsseldorfer EG erwarten sie offenbar selbst, dass es in dieser Saison sehr knapp werden könnte. Sportchef Niki Mondt hat mit einem stark eingekürzten Budget zu kämpfen und wundert sich über die teilweise spektakulären Aktivitäten der anderen Klubs. Stimmen Sie ihm zu?

Absolut, bei Düsseldorf merkst du den Sparkurs. Sie haben viele Abgänge zu verzeichnen, die sehr weh tun. Aber die deutsche Mischung stimmt noch immer. Das ist ein guter Kern. Allerdings muss dann auch sehr viel stimmen und viele Spieler müssen sich sehr schnell entwickeln. Aber immerhin erkenne ich da eine Linie. Bei Krefeld etwa, da erkenne ich diese nicht.

Sparkurs bei der DEG, Zurückhaltung etwa in Köln und immer noch nicht wieder Vollauslastung in den Hallen: DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke gehört zu jenen, die deswegen fordern, die Staatshilfen für die Klubs wegen der andauernden Pandemie zu verlängern. Wie sehen Sie das?

Das ist ein sehr komplexes Thema. Da gibt es mittlerweile nur noch Schwarz oder Weiß. Der Grauton interessiert niemand mehr. Grundsätzlich sage ich, dass der Profisport ohne Staatshilfen aus der Krise kommen muss. Aber wenn er komplett eingeschränkt wird, hat er den gleichen Anspruch wie jedes andere Wirtschaftsunternehmen auch. Denn nichts anderes sind die Vereine. Aber ich bleibe dabei: Man sollte nicht immer zuerst nach dem Geld schreien, sondern erstmal schauen, was selbst machbar ist. Und da gehe ich jetzt mal weg von Corona, Staatshilfen und den ganzen Geschichten. Das deutsche Eishockey hat sich in den vergangenen Jahren extrem stark entwickelt und von der Pflegestufe befreit. Die Qualität der Spieler und die Spielweise sind deutlich besser geworden. Und auch die Erfolge der Nationalmannschaft zahlen darauf ein. Da musst du jetzt als Liga und als Klub celver sein und eine Vision entwickeln. Eine Vision, wie du dir selbst immer weiter helfen kannst.

Sie sprechen die Erfolge der Nationalmannschaft an. Olympia-Silber 2018 in Pyeonchang und in diesem Jahr die starke WM in Lettland. Die Spieler haben eine enorme Entwicklung genommen, dennoch wurde zu dieser Saison kein Importplatz im Kader reduziert. Eine falsche Entscheidung?

Ich kann verstehen, wenn man nach der vergangenen, vor allem wirtschaftlich so schwierigen Saison sagt: Lasst bitte erstmal alles wie es ist. Aber bei der Entwicklung der U23-Spieler hat sich bei uns sehr viel getan. Da wurde eine breite Basis geschaffen, die jetzt auch in den Ü23-Bereich schwappt und Spieler auch günstiger macht. Das deutsche Eishockey zeigt sich immer mehr in der Weltklasse. Da musst du als Liga Schritt halten. Deswegen wäre eine Import-Reduzierung in der kommenden Saison sehr wünschenswert und auch absolut machbar.

Man hat bei der WM gesehen, wie sehr sich die Fans gerade mit den jungen und wilden Spielern identifizieren können. Das muss doch ein Anreiz für die Klubs sein?

Ja, die Erkenntnis, dass du Erfolg haben kannst, wenn du diesen Weg gehst, die muss am Standort ankommen. Und wie ich höre, wollen immer mehr Klubeigner diesen Weg auch gehen.

In der DEL kommt bei großen Strafen noch der Videobeweis. Eine gute Idee oder droht das gleiche nervtötende Schicksal wie im Fußball?

Ich verstehe den Gedanken dahinter, fürchte aber, dass das Spiel damit sehr zerfleddert wird. Ich bin persönlich bin weder im Fußball noch im Eishockey ein Fan des Videobeweises. Aber ich schaue mir das gerne offen an und in zehn Wochen werden wir dann sehen, ob es das Eishockey besser kann als der Fußball!

Der Videobeweis ist eine von drei großen Regeländerungen neben 3D-Abseits und der Pucksperre des Goalies. Es sind Regeln, die man vor allem aus der NHL kennt. Warum das Ganze?

Es geht darum, einen gemeinsamen Konsens zu finden. Es ist niemandem zu erklären, dass im gleichen Spiel überall andere Regeln gelten.

Mit Rick Goldmann sprach Tobias Nordmann

Quelle: ntv.de

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