Testunterlagen eingetroffen Schumacher zweimal positiv
07.10.2008, 17:34 UhrRad-"Schummel-Schumi" hat mit seinem Dopingfall eine Lawine schlimmsten Ausmaßes losgetreten und den Radsport national wie international in eine tiefe Existenzkrise gestürzt. Der Skandal um den gefallenen Shootingstar Stefan Schumacher hat womöglich das Fass im dopingverseuchten Radsport zum Überlaufen gebracht. Bei den Olympischen Spielen droht den Radprofis zukünftig eine "Denkpause", in Deutschland überlegen die Fernsehsender ARD und ZDF einen Komplett-Ausstieg, Politiker fordern die Einstellung der Fördergelder und große Traditionsrennen stehen vor dem Aus.
Doch damit nicht genug: Der Fall Schumacher ist vermutlich nur der Beginn einer noch folgenden "Epo-demie". Denn die Radsport-Welt zittert bereits vor den nächsten Auswertungen der Blutproben bei der Tour de France. So könnte das neu entwickelte Testverfahren das "Who is who" des Radsports überführen. Eine Liste mit 30 potenziellen Dopingsündern macht inzwischen die Runde, darunter Olympiasieger Fabian Cancellara und der Tour-Dritte Bernhard Kohl vom Team Gerolsteiner.
"Olympische Denkpause für Straßen-Radsport"
Für IOC-Vizepräsident Thomas Bach ist die Situation für den Radsport durch den Dopingfall Schumacher "dramatisch" geworden. Sollten sich jetzt nicht alle Radsport-Interessensgruppen auf eine gemeinsame Linie im Anti-Doping-Kampf verständigen, "dann muss man aus meiner Sicht auch eine olympische Denkpause für den Straßen-Radsport in Erwägung ziehen", sagte Bach.
"Das ist ein Schock. Der Schaden für den Radsport ist noch gar nicht absehbar", sagte BDR-Präsident Rudolf Scharping. Dass die Folgen aber gravierend sein werden, dürfte dem früheren SPD-Chef klar sein. Schumacher ist bei der diesjährigen Tour sogar zweimal positiv getestet worden - am 3. Juli bei den obligatorischen Bluttests zwei Tage vor der Tour sowie am 15. Juli am Ruhetag der Tour in Pau. Das geht aus den Unterlagen der französischen Anti-Doping-Agentur (AFLD), die am Dienstag beim BDR eintrafen, hervor.
"Kalte Wut"
Die Fernsehsender denken nun intensiv über einen Ausstieg aus der Berichterstattung nach. "Da packt einen die kalte Wut, wenn man sieht, wie solche Betrüger den Radsport kaputt machen", sagte der stellvertretende ARD-Sprecher Christian Bauer, und ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender ergänzte: "Wir werden in Ruhe abwarten, was noch so alles unter dem Tisch hervorgefegt wird und ob der Radsport überhaupt noch zu retten ist. Alle Konsequenzen - auch ein Ausstieg - sind möglich." Sollten ARD und ZDF abschalten, dürften auch deutsche Radrennen wie die Deutschland-Tour oder Rund um den Henninger Turm vor dem Aus stehen.
Rufe nach Konsequenzen werden auch aus der Politik laut. "Der Radsport ist nicht bereit, seine Strukturen zu ändern und noch strikter gegen Doping vorzugehen", sagte der Sportausschuss-Vorsitzende Peter Danckert (SPD) dem sid und ergänzte: "Man muss nun prüfen, ob der Punkt erreicht ist, wo es zu einer Haushaltssperre kommen muss."
Gespräche kündigte auch Michael Vesper als Generalsekretär des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) an: "Ich bin erschüttert, dass der Radsport offenbar immer noch nicht aus der Vergangenheit gelernt hat. Wir müssen uns jetzt mit ihm an einen Tisch setzen und über Konsequenzen beraten. Welche das sein können, darüber möchte ich aber nicht spekulieren."
Konsequenzen absehbar
Die Konsequenzen für Schumacher, der fünf Tage Zeit für eine Stellungnahme hat, sind dagegen absehbar. Bei Bestätigung des Dopingbefunds durch die B-Probe dürfte einerseits der "Sanktionsmechanismus des DOSB" (Vesper) greifen und eine zweijährige Sperre durch den BDR folgen. "Außerdem prüfen wir alle möglichen Schadenersatzforderungen", sagte Scharping, der ein Verfahren einleiten will, sobald er das Ergebnis der Blutkontrolle schriftlich vorliegen hat. Gleichzeitig forderte der BDR-Präsident den WM-Dritten von 2007 zur Zusammenarbeit auf: "Er hat die Möglichkeit, auf das Urteil positiv einzuwirken, wenn er die Hintermänner offenlegt."
Welche Strategie das Schumacher-Lager wählen wird, ist noch völlig offen. "Eine Scheiß-Sache", nannte Anwalt Michael Lehner die Nachricht aus Frankreich: "Wir können jetzt noch kein Statement abgeben. Sobald wir die Unterlagen aus Frankreich haben, können wir uns dazu äußern."
Rundfahrt durch die Gerichtssäle
Eins ist aber wohl klar: Schumachers nächste Rundfahrt dürfte durch die Gerichtssäle verlaufen. Denn auch Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer will es nicht bei der bislang ausgesprochenen Suspendierung belassen. "Wir sehen uns vor Gericht wieder. Ich werde bis zum letzten Cent, den ich besitze, mit allen Konsequenzen und allen Möglichkeiten, die ich habe, versuchen, ihn zivilrechtlich zu verklagen", kündigte der Herrenberger an, der nach der ergebnislosen Sponsorensuche seinen Rennstall zum Saisonende dicht machen muss.
Doch womöglich wird Holczer in den kommenden Tagen den nächsten unliebsamen Anruf erhalten. In Radsport-Kreisen kursieren bereits Gerüchte, dass weitere Hochkaräter wie der Tour-Dritte Kohl, Gerolsteiner-Kapitän in diesem Jahr bei der Frankreich-Schleife, genauso wie Zeitfahr-Olympiasieger Cancellara ("Habe damit nichts zu tun") ebenfalls noch durch das Raster fallen könnten.
So erwartet die ehemalige BDR-Präsidentin Sylvia Schenk "einen Sturm" in den nächsten Tagen. "Ich weiß, dass es offensichtlich noch ein paar größere Namen gibt, nicht nur aus Deutschland, sondern aus anderen Ländern, und dass man bei der Tour de France richtig Bedenken hat um den Radsport", sagte Schenk im Hessischen Rundfunk. Im Fall Kohl will Holczer keine Spekulationen anstellen. "Ich habe mit ihm telefoniert. Er hat mir gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen muss."
Dass nun weitere Dopingfälle ans Tageslicht kommen, ist dem neu entwickelten Testverfahren der französischen Anti-Doping-Agentur (AFLD) zu verdanken. Bei der Methode ist das Epo-Mittel Cera im Blut deutlicher nachweisbar als zuvor im Urin. Neben Schumacher wurde so auch der Italiener Leonardo Piepoli nun positiv getestet.
Quelle: ntv.de, Stefan Tabeling, sid