Sport

Yusra Mardini im Interview "Schwimmen hat mein Leben gerettet"

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2015 flüchtet Yusra Mardini vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland. Nur ein Jahr später startet sie bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro als Schwimmerin im Flüchtlingsteam. Deutschland nennt sie längst ihre zweite Heimat, einen deutschen Pass hat sie aber immer noch nicht. Im Interview spricht sie über die Probleme damit, ihr Leben in Deutschland und ihre Träume.

Frau Mardini, Sie waren 2016 bei den Olympischen Spielen dabei. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Ich bin immer noch stolz darauf, dass ich in Rio war. Ich war Teil des ersten Flüchtlingsteams, das es jemals gegeben hat. Das war etwas Besonderes, die Flüchtlinge in der ganzen Welt zu repräsentieren. Und ich habe mir damit meinen Traum erfüllt, das hat mich richtig stolz gemacht.

Sie trainieren weiter, leben und schwimmen jetzt in Hamburg. Was sind Ihre Ziele?

Wir wissen jetzt, dass es ein Flüchtlingsteam für Tokio gibt. Leider kann ich mich nicht für mein Heimatland qualifizieren und ich kann mich nicht für Deutschland qualifizieren, weil ich immer noch nicht Deutsche bin. Deswegen kann ich nur für das Refugee-Olympic-Team starten. Eigentlich sollte es das Team nur einmal in Rio geben und jetzt wird es doch wieder in Tokio starten und ich will dabei sein.

In Ihrem Buch "Butterfly - Das Mädchen, das ein Flüchtlingsboot rettete und Olympia-Schwimmerin wurde" schreiben Sie, das Schwimmen hat Ihr Leben gerettet. Warum?

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Wir (Mardini und ihre Schwester Sarah, Anm.d.Red.) sind 2015 aus Syrien geflüchtet, das hat 25 Tage gedauert. Wir mussten von der Türkei nach Griechenland ein Boot nehmen, aber irgendwann ist der Motor unseres Bootes ausgegangen. Meine Schwester, ich und zwei andere sind ins Wasser gesprungen, damit wir das Boot ziehen können. Sie haben zu uns gesagt, das dauert etwa 45 Minuten, aber wir waren dreieinhalb Stunden im Wasser bis wir in Griechenland angekommen sind. Ja, Schwimmen hat mein Leben gerettet.

Streben Sie die deutsche Staatsbürgerschaft an?

Ja, natürlich, das ist ein Ziel, Deutsche zu werden. Deutschland ist ein sicheres Land, es bedeutet Sicherheit für mich und meine Familie. In Deutschland ist es ruhig, es gibt keinen Krieg, die Menschen sind nett, sie helfen mir. So viele Leute in Deutschland haben mir geholfen und sie begleiten mich weiter auf meinem Lebensweg. Ich mag es hier, ich war zwei Jahre in Berlin, bin jetzt seit zwei Jahren in Hamburg und es ist echt schön.

Wenn Sie in die Zukunft schauen und Olympia 2024 im Blick haben: Ist es für Ihren Sport besser, lieber nicht Deutsche zu werden? Schließlich sind die Qualifikationszeiten in Deutschland sehr schnell.

Schwimmen ist schon richtig wichtig für mich, aber nicht wichtiger als mein Leben. Sicherheit ist am wichtigsten für mich und meine Familie. Es wäre schön, wenn ich mich für Deutschland qualifiziere, aber, wie gesagt, es ist hart. Aber, wenn ich Deutsche bin, versuche ich mich für Deutschland zu qualifizieren. Ich würde nicht sagen, nein, ich will keinen deutschen Pass, weil ich weiter schwimmen muss. Ich schwimme jetzt schon seit fast 16 Jahren, ich liebe es, aber ich würde nicht sagen, dass ich freiwillig weiter auf einen deutschen Pass warte wegen des Schwimmens. Mein Leben ist wichtiger! Jedes Mal, wenn ich am Flughafen bin, muss ich zu den Polizeibeamten, weil sie nicht wissen, welchen Pass ich habe und das will ich nicht mehr. Es ist mir wichtig, den deutschen Pass zu bekommen.

Sie mussten vor fünf Jahren entscheiden, Ihre Heimat zu verlassen. War das die richtige Entscheidung?

Am Anfang war es wirklich schwer zu sagen, okay, ich verlasse mein Land, meine Freunde, meine Familie und gehe einfach in ein anderes Land, das mit dem Flugzeug sechs Stunden entfernt ist. Aber ich wollte nicht mehr in Syrien leben, weil dort Krieg herrscht und es keine Sicherheit gibt. Ich habe immer für meine Träume gearbeitet, aber ich wusste, sie werden nie wahr werden. Meine Mutter hat die ganze Zeit geheult, wenn wir zur Schule gegangen sind, weil sie nie wusste, ob wir lebend zurückkommen. Dieses Leben wollte ich nicht mehr und so haben meine Schwester und ich entschieden, wir versuchen nach Deutschland zu kommen. Wir versuchen jeden Tag zu überleben, versuchen wir das nochmal in einem größeren Rahmen. Ich glaube, als Teenager ist man mutiger. Wir wollten es versuchen, auch für die nächste Generation, ich wollte nicht, dass meine Kinder im Krieg leben.

Wie war der Neuanfang in Deutschland?

Am Anfang war es richtig schwer für mich. Ich konnte gar kein Deutsch. Ich wollte nicht Deutsch lernen, ich weiß nicht warum. Es war auch kalt, ich hatte keine Freunde. Ich musste von null starten. Es war richtig anstrengend. Aber ich habe nach zwei oder drei Monaten wieder mit dem Schwimmen angefangen. Ich habe im Flüchtlingscamp nach einem Schwimmklub gefragt, das hat alles geklappt. Und mittlerweile geht es mir richtig gut.

Sie sind ein Vorbild für Integration. Wie geht es Ihnen damit?

Mardini ist Botschafterin des UNHCR, dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen.

Mardini ist Botschafterin des UNHCR, dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen.

(Foto: imago images / Kyodo News)

Es ist nicht immer leicht, so viele Leute erwarten immer so viel. Letztes Jahr hatte ich zu viel Druck. Ich hatte Angst, dass ich nicht schnell genug schwimme für Olympia und dachte immer, was wohl die Medien darüber sagen? Momentan ist es okay, ich habe gesagt, guck mal, ich bin auch ein Mensch, ich mache was ich kann und andere sollen sagen, was sie wollen. Ich will weitermachen, weiter schwimmen und meine Ziele erreichen. Richtig süß ist, dass mir kleine Kinder Briefe schicken, die sind acht Jahre alt oder so: "Ich will Schwimmerin werden so wie du!" Das finde ich richtig süß und auch deswegen bleibe ich immer stark für sie.

Sie waren bei Olympia, haben Barack Obama und den Papst getroffen, haben ein Buch geschrieben - wundern Sie sich manchmal, was alles in dieser kurzen Zeit passieren kann?

Ich kann das immer gar nicht glauben. Zum Beispiel mit Rio, ich hatte gar nicht gedacht, dass ich nach Rio fahre. Ich habe immer von Tokio 2020 geträumt und dann gab es auf einmal ein Flüchtlingsteam, mir sagte jemand "Du bist nominiert" und dann "Du bist dabei". Das ist alles in einem Jahr passiert, das alles mit Obama mit dem Papst und Olympia, ich bin dankbar dafür. Es gibt mir Motivation, weiterzumachen. Ich bin Flüchtling, aber here I am! Ich mach weiter. Ich habe Ziele und ich bin froh hier in Deutschland.

Wovon träumen Sie noch, was ist Ihre Message?

Meine Message ist, dass alle Menschen in Frieden leben und dass es keinen Krieg mehr gibt. Ja und, dass Menschen auch verstehen. Die Flüchtlinge machen das nicht, die wollen nicht einfach so ihre Heimat verlassen - wir mussten, es war nicht sicher da. Wir mussten flüchten, wir wollten einfach nicht länger im Krieg leben. Flüchtlinge sind normal, haben Ziele, sie wollen eine neue Chance haben im Leben. Sie wollen nicht eure Jobs klauen, nicht euer Geld klauen und ich sage das immer im Interviews, wenn du gut in deinem Job bist, klaut diesen niemand.

Wollen Sie irgendwann nach Syrien zurückkehren oder wollen Sie in Deutschland bleiben?

Ich würde wieder nach Syrien zurückkehren, wenn es dort keinen Krieg mehr gibt. Und wenn ich 70 bin, ich würde Syrien gern noch einmal besuchen können. Aber ob ich nochmal in Syrien leben könnte, weiß ich nicht. Es ist alles anders als in Deutschland, hier kannst du alles sagen, was in deinem Kopf ist. Das ist in Syrien schwer.

Mit Yusra Mardini sprach Miriam Pekeler

Quelle: ntv.de

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