Silber für grandioses DEB-Team So muss eine Nationalmannschaft spielen
29.05.2023, 08:50 Uhr
Die goldene Sensation im Finale der Weltmeisterschaft bleibt aus. Doch auch mit der Silbermedaille im Gepäck dürfen die deutschen Eishockey-Cracks erhobenen Hauptes die Heimreise von der WM antreten. Die Mannschaft bringt vieles mit, um eine große Zukunft zu haben.
In den letzten 20 Minuten dieser Eishockey-Weltmeisterschaft stieß die deutsche Nationalmannschaft an ihre Grenzen. Gegen die abgezockten Kanadier platzte der Traum von der historischen Goldmedaille. Der ersten in der Geschichte des deutschen Eishockeys. Tränen flossen nach diesem "Once-in-a-lifetime"-Spiel, das ohnehin schon eine Sensation war. Niemand hatte diesem deutschen Team zugetraut, ins Finale einzuziehen. NHL-Profi John-Jason Peterka (8.) und Daniel Fischbuch (34.) brachten Deutschland zweimal in Führung. Doch Samuel Blais (11., 45.), Lawson Crouse (38.), Tyler Toffoli (52.) und Scott Laughton (59.) wendeten das Blatt.
"Ich kann sagen, der Tank ist leer, alle haben alles gegeben. Es ist zwar in Anführung nur Silber, aber wir haben was gewonnen und nichts verloren", sagte Bundestrainer Harold Kreis nach der Rückkehr nach Deutschland. "Es gibt im Sport immer einen Verlierer, daher war die Enttäuschung schon groß. Aber ich denke, wenn die Jungs einmal auf ihre Handys geschaut und gesehen haben, wie viele ihnen gratuliert haben, dann nimmt der Stolz immer mehr Platz ein. Und heute ist er sicher sehr ausgeprägt"
Silber ist eben kein Trostpreis, sondern die Belohnung für eine grandiose Reise, die mit einem Absagenhagel vor dem Turnier und drei Niederlagen zum Start begann. Die dann sechs Siege nach sich zog und 40 herausragende Minuten im Endspiel. Erst dann setzte sich die gnadenlose Effizienz der Nordamerikaner durch. Die kanadischen NHL-Stars sicherten sich mit dem Erfolg zum 28. Mal den WM-Titel und sind wieder alleiniger Rekordchampion vor den aktuell ausgeschlossen Russen.
Eine bemerkenswerte Reise
Die Enttäuschung war groß, denn ein Finale ist für Deutschland noch immer eher ein kleines Wunder. Aber eben auch immer mehr ein Szenario, mit dem sich die Nationalmannschaft beschäftigen darf. Das, was Marco Sturm und Toni Söderholm seit 2015 angefangen hatten, vollendete Kreis nun mit der ersten WM-Medaille seit 1953. Damals hatten aber nur vier Nationen eine Gruppenphase ausgespielt. Und dieser Triumphzug durchs Turnier, der mit drei knappen Niederlagen begann, lässt Luft nach oben, Luft für Gold. Ja, die Russen waren wieder nicht dabei und damit eine Mannschaft, die immer Anspruch auf den Titel erhebt. Aber dieser Weg, den Deutschland seit Jahren geht, er geht voran, selten zurück. Erfolge sind kein Zufall mehr. Mit ihren Auftritten machte das Team auch die Qualifikation für Olympia 2026 in Mailand perfekt und übererfüllte die Vorgaben des Verbandes.
Und dennoch ist die Reise 2023 eine besonders bemerkenswerte. Weil sich Deutschland nach dem Blitz-Abgang von Erfolgscoach Söderholm erstmal sammeln musste, weil sein Nachfolger Kreis ein WM-Debütant war, weil die Mannschaft so viele hochkarätige Absagen zu verkraften hatte, weil es eben die drei knappen Pleiten trotz toller Leistungen zum Start gegen die Top-Nationen Schweden, Finnland und USA gab. Weil in diesem Turnier Helden geboren wurden, die vorher niemand auf der Rechnung hatte. Etwa die spielfreudige Kämpferreihe um Wojciech Stachowiak, Parker Tuomie und Justin Schütz. Und weil Spieler wie John-Jason Peterka oder Daniel Fischbuch kleine Denkzettel nutzten, um ihre Qualitäten nach fahrigen Momenten wieder entscheidend aufs Eis zu bringen.
Und das Potenzial ist noch größer: In der DEL, der NHL, in der Schweiz und Schweden sind Spieler unterwegs, die dieser Mannschaft noch mehr Qualität geben können. In Deutschland herrscht große Auswahl, so groß wie lange nicht mehr. In dieser Breite vielleicht noch nie. Gute Arbeit im Nachwuchs als Basis.
"Wir müssen schauen, dass wir nicht immer nur temporäre Höhen haben, die Euphorie wieder da ist für einen Monat, und dann alles wieder wegschwappt", forderte Stanley-Cup-Sieger Nico Sturm, später Debütant mit 28 Jahren, "sondern auf Dauer Erfolg haben und um Medaillen mitspielen, auch wenn es nicht jedes Jahr eine gibt. Wir haben gerade eine richtig gute Generation an Spielern, die das schaffen werden."
Herausragender Teamgeist
Diese Nationalmannschaft hatte bei der WM so viel Mitreißendes. Vor allem einen herausragenden Teamgeist. Jeder kämpfte für jeden. Jeder kämpfte für den großen Traum. Keiner schonte sich und seinen Körper. Im Halbfinale gegen die USA warfen sich die Spieler in den brutalen Schusshagel der US-Boys, erfolgreich. Und selbst trafen sie mit Überzeugung, die es im deutschen Eishockey so auch lange nicht gegeben hatte. Wie Frederik Tiffels mit seiner puren Dynamik in der Overtime zum Sieg traf, das war schlicht Weltklasse. Zu keiner Zeit stellte ein Spieler sein Ego über den Erfolg der Mannschaft. Verantwortlich dafür eine klare Hierarchie. An der Spitze NHL-Supertalent Moritz Seider und NHL-Profi Sturm. Sie gingen nicht nur auf dem Eis voran, sondern sprachen auch abseits die schmerzhaften Dinge an. Die scheuten keine Kritik, sparten nicht mit Lob.
Wer sich zum Beispiel fragt, was den deutschen Fußballern seit Jahren fehlt, der bekam bei dieser Mannschaft reichlich Anschauungsunterricht. Der Erfolg fußt auf der Leidenschaft für die harte Arbeit, auf der Mentalität, sich nie aufzugeben, auch unter Druck (etwa nach den drei Niederlagen zum Start, eine weitere hätte das frühe Aus bedeutet) kluge Entscheidungen zu treffen. Nicht immer (aber auch) glänzen zu wollen, sondern Dinge auch zu erzwingen. Und so spielte sich diese Mannschaft in einen beeindruckenden Rausch, brachte immer mehr auch den Spaß und höchstes spielerisches Niveau aufs Eis. Die Spieler waren beseelt von der Energie und der Gier, Großes zu erreichen. Niemand jammerte über die Absagen oder Ausfälle von vermeintlichen Schlüsselspielern, jeder Einzelne nahm seine Chance an - und nutzte sie. Silber ist kein Trost, es ist eine Belohnung.
Quelle: ntv.de