Sieg über 100 Meter Freistil Steffen schwimmt zu Gold
15.08.2008, 06:38 UhrBritta Steffen genoss den großen Moment im Wasser. Ganz in sich gekehrt, in Gedanken weit weg. "Ich habe nur gedacht: Das genießt du jetzt, egal, was auf der Anzeigetafel steht." Als sie die "1" sah, wusste sie, dass sie am Ziel ihrer Träume war: Gold über 100 Meter Freistil - und "alles war schön". Die Halle tobte, 11.000 Menschen waren aus dem Häuschen. Die Gefühle der 24 Jahre alten Berlinerin fuhren Achterbahn: "Zwischen Mama, Papa, ich hab's geschafft und ho, ich habe es mir selbst bewiesen, war alles dabei." Sie umarmte ihre Konkurrentin auf Bahn acht, streckte endlich den Arm zum Zeichen des Sieges in den Himmel.
Am Beckenrand lag sich Britta Steffen dann mit Franziska van Almsick in den Armen - und heulte hemmungslos. "Ich bin dir so dankbar." "Franzi", die sich den olympischen Gold-Traum nie erfüllen konnte, unterdrückte die Tränen nur mit Mühe: "Sie ist meine Freundin. Es ist einfach so schön. Dass aus diesem zappeligen Mädchen von früher eine mental so starke Frau geworden ist, einfach toll."
Auf der Tribüne trommelte Michael Vesper mit der Faust auf den Tisch. "Das glaube ich nicht", brüllte der Chef de Mission der deutschen Olympia-Mannschaft immer wieder, "das glaube ich nicht." Aber es war Wirklichkeit. Britta Steffen hatte Deutschlands Schwimmern 16 Jahre nach Dagmar Hase 1992 in Barcelona in 53,12 Sekunden wieder einen Olympiasieg beschert. Cheftrainer Örjan Madsen war begeistert: "Ich ziehe den Hut vor ihr. Sie hat ihr Rennen gemacht und sich durch nichts verrückt machen lassen. Sie ist ein Siegertyp." Dagmar Hase jubelte zuhause mit: "Sie soll es einfach nur genießen."
Nach 50 Metern noch Letzte
Britta Steffen brauchte lange, um die Ereignisse zu begreifen. Nach 50 Metern war sie Letzte - dann ging die Post ab: Der australischen Weltrekordlerin Lisbeth Trickett blieb nach einem unwiderstehlichen Spurt von Steffen in 53,16 Sekunden nur Silber. Bronze ging an die Amerikanerin Natalie Coughlin (53,39). "Mein Trainer hat gesagt, ich soll auf den zweiten 50 Metern durchziehen, und das habe ich gemacht. Das ist so geil", sagte Britta Steffen.
Im Halbfinale hatte sie hoch um eine Außenbahn gepokert, im Finale raubte sie der favorisierten Trickett mit ihrer Aufholjagd den Nerv. Es war "ein Wahnsinnsgefühl". Das Erfolgsrezept: "Ich bin mit Augen zu geschwommen." Der Stress an Land war größer als im Wasser. Britta Steffen wollte endlich mit Freund und Eltern telefonieren. Sie hatte die Nacht davor kaum ein Auge zugetan. Um zwei war sie wach, vertrieb sich die Zeit mit Lesen und Musik: "In Gedanken bin ich immer wieder das Rennen geschwommen."
Trainer Norbert Warnatzsch, der auch van Almsick betreute, blieb im ganzen Getümmel gelassen. "Das hat sie gut gemacht, gekämpft bis zur Goldmedaille." Einen großen Anteil am Erfolg seines Schützlings habe Steffens persönliche Psychologin, die auch in Peking dabei ist. Warnatzsch: "Es war doch ein ganz schöner Druck da bis zum goldenen Ende. Jetzt fühle ich Stolz, Glück, Erleichterung, Befreiung."
Olympische Nullnummer verhindert
Zeit zum Feiern hatte Britta Steffen nicht. Am Abend bewältigte sie erfolgreich den Vorlauf über 50 m Freistil. Die Lagen-Staffel, in Athen Dritte, schwamm um 40/100 Sekunden am Finale vorbei.
Steffen verhinderte für Deutschlands Schwimmer die drohende erste olympische Nullnummer seit 1932 in Los Angeles. Der scheidende Cheftrainer Madsen dachte deshalb auch an die Zukunft: "Diese Goldmedaille ist ein großes Pflaster auf die Wunde. Sie darf aber nicht dazu dienen, den Teppich über die Probleme zu decken. Wir müssen akzeptieren, dass wir da sind, wo wir sind, nämlich ziemlich weit unten." Die Chance für einen Neuanfang heißt Arbeit: "Mehr, härter und konsequenter."
Richard Janssen und Dietmar Fuchs, dpa
Quelle: ntv.de, Holger Luhmann und Jörg Soldwisch, sid