Tennis-Ikone Niki Pilic ist tot Der Mann, der Boris Becker und Michael Stich eiskalt anlügen musste
23.09.2025, 19:33 Uhr
Becker und Pilic jubeln gemeinsam beim Davis Cup 1988.
Der einstige deutsche Davis-Cup-Kapitän Nikola "Niki" Pilic ist tot. Er wurde 86 Jahre alt. Pilic hatte als Teamchef mit Deutschland dreimal den Davis-Cup-Sieg gefeiert. Und schaffte 1992 bei den Olympischen Spielen das eigentlich Unmögliche.
Wenn die Größe eines Trainers daran gemessen wird, wie er die Komplexität des Moments maximal vereinfachen kann, dann war Niki Pilic einer der Allergrößten. "Geh raus, mach Break", sagte er unter anderem einmal zu Boris Becker während einer Davis-Cup-Partie. Becker hatte verstanden, ging zurück auf den Court und holte das Break.
Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre war der Davis Cup eine große Nummer im Tennis. Die Einzel am Freitag und Sonntag, das Doppel am Samstag, sie fanden im ganz großen Fernsehen statt. Wenn Becker und Co. aufschlugen, dann war keine Zeit für andere Dinge. Dann drückte man Deutschland die Daumen. Der Davis Cup war das "Wetten dass...?" der sportlichen Nachmittagsunterhaltung. Und Pilic einer der heimlichen Helden.
Wie er da saß, in seinem Trainingsanzug. Neben Becker. Und ihm die Dinge erklärte, ihn beruhigte, wenn es nötig war. Pilic im weißgrünen Outfit mit dem Adler auf der Brust, jeder Tennisfan der damaligen Zeit hat diese Bilder im Kopf. Und jene, die der Trainer mit seinen Spielern schuf. Diese große Geschichte begann 1987. Zuvor hatte Pilic Michael Westphal trainiert, eines der größten Talente, das bereits 1991 an AIDS verstorben war. Das deutsche Tennis stand 1987 am Abgrund. Der Abstieg aus der Weltgruppe drohte. Gegen die USA ging es um alles.
Boris Becker liefert ein Bild für die Ewigkeit
Die "Schlacht von Hartford" wurde zu einem Monument in der Geschichte des Sports. Boris Becker und John McEnroe lieferten sich eine epische Auseinandersetzung. Nach mehr als sechs Stunden voller Wendungen und Mätzchen des Amerikaners gewann Deutschland. Zwei Tage später rang Becker auch Tim Mayotte nieder. Er warf danach den Schläger in die Luft und sprang Pilic in die Arme. Ein Bild für die Ewigkeit. Ebenso wie das von Becker, als er mit der deutschen Fahne über den Court lief. Es waren große Zeiten.
Und sie wurden noch größer. Pilic führte das Team zu drei Triumphen. Die "hässlichste Salatschüssel der Welt" war plötzlich ein deutsches Kulturgut. Beim "Wunder von Göteborg" 1988 und 1989 in Stuttgart - jeweils gegen Schweden - war Becker der Kopf der Anführer, 1993 in Düsseldorf gegen Australien ging Michael Stich voran. Die beiden deutschen Topspieler waren sich nicht grün. Sie mochten sich nicht. Und so gelang Pilic 1992 ein kleines Wunder. Er hielt Becker und Stich bei den Olympischen Spielen bei Laune. Sie holten Gold im Doppel. Freunde wurden sie nie. Schon wenige Stunden nach dem Triumph ging man wieder getrennter Wege: Als Becker abends mit dem deutschen Team feierte, saß Stich schon im Flieger nach Hause. Er hatte "keine Lust" auf heitere Stunden geselligen Miteinanders. Der "Spieler Stich" blieb sich treu. Becker auch: "Wir mögen uns eben nicht."
Wie schwierig diese Mission war, erzählte Pilic einmal im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung": "Es gab Momente, in denen war ihr Verhältnis okay." Und es gab andere Momente, da war es schwierig. "Wenn Becker beispielsweise vom 'Spieler Stich' gesprochen hat, war das nicht einfach". So auch 1992 in Barcelona. Pilic musste die Kommunikation übernehmen. "Gesprochen haben sie nicht miteinander. Das musste ich erledigen. Ich bin zwischen den Zimmern hin- und hergependelt - und ich musste viel lügen."
Manchmal stand er stundenlang stumm beim Training
Als größte Leistung für das deutsche Tennis sieht er den befriedenden Kampf der Alphatiere aber nicht. 1988, der erste Sieg, der hängt ihm besonders nach. "Mats Wilander war die Nummer eins der Welt, Stefan Edberg stand an Position drei oder vier. Und dann war die Partie schon nach dem Doppel für uns entschieden und die mitgereisten 1600 deutschen Fans schwenkten alle kleine Fähnchen", erinnerte sich Pilic in dem "SZ"-Gespräch: "Göteborg war in dem Moment eine deutsche Stadt."
Pilic war ein großer Meister. "Einer der allerbesten Trainer der Welt! RIP Niki", schrieb Becker bei Instagram. Im Gespräch mit dem Sportinformationsdienst betonte er noch, dass er Pilic "menschlich und sportlich sehr viel zu verdanken" habe. Wie Pilic etwa das deutsche Davis-Cup-Team geleitet habe, "war sensationell". Zugleich hob Becker die persönlich enge Beziehung zu Pilic hervor, auch schon in den frühen Jahren. "Ich werde nie vergessen, wie ich regelmäßig bei ihm zuhause von seiner Frau Mija zum Essen eingeladen wurde. Damals habe ich auch oft bei ihm übernachtet. Es fühlte sich für mich wie Familie an", sagte er.
"Niki gehört zu den wenigen Menschen, denen ich meine Karriere zu verdanken habe. Hätte es Niki Pilic nicht gegeben, wäre ich mit Sicherheit nicht Wimbledonsieger geworden und hätte auch nicht die Karriere gehabt, die ich erleben durfte", sagte Stich. "Sein Tod ist ein immenser Verlust für die Tenniswelt und natürlich auch für mich persönlich." Carl-Uwe Steeb, ebenfalls Teil der großen deutschen Davis-Cup-Generation, sagte: "Er war für mich eine wertvolle Respektsperson, ein sehr geschätzter Mensch." Mit Pilic verliere das deutsche Tennis "den größten Trainer, den wir je hatten, und ich persönlich einen sehr guten Freund".
Sich selbst stellte die Tennis-Ikone, die im kroatischen Rijeka zur Welt kam, nie in den Vordergrund, er überließ die Bühne immer den Spielern. Manchmal schien es, als nehme er überhaupt keinen Einfluss, wenn er während des Trainings stundenlang kerzengerade mit einem Schläger unter dem Arm als stummer Beobachter da stand. Laut wurde Pilic sowieso nie, seine größte Gabe war es, unterschiedlichste Charaktere zu einer Mannschaft zu formen, sie bei Laune zu halten, individuelle Macken mit einem feinen Lächeln zu dulden und so einen ganz speziellen Teamgeist zu kreieren. Sein Ende als Teamchef war dagegen unwürdig.
Der "Putsch" von Boris Becker
1997 wurde er von Becker dennoch regelrecht gestürzt, was ihn jedoch nicht davon abhielt, dem Deutschen Tennis Bund (DTB) lange die Treue zu halten. Er fühlte sich seinerzeit als Opfer eines "Putsches", als ihn das damals neue Führungsduo Becker und Steeb zum vorzeitigen Rücktritt drängte. Bis zum Jahr 2017 fungierte er als Berater. "Ich habe nie verstanden, dass er meinen Job wollte", sagte Pilic einmal: "Ein so extrovertierter Typ wie er will immer selber in der ersten Reihe stehen. Aber dort gehören im Davis Cup nur die Spieler hin."
Beckers Zeit war nicht erfolgreich. Anders eben jene als die von Pilic. Er triumphierte 2005 als Teamchef mit Kroatien und saß 2010 beim Davis-Cup-Sieg der Serben als Berater in der Box. Politisch war das durchaus heikel. Er war damals nur deshalb nicht offiziell Teamchef, weil er nicht den "richtigen" Pass hatte. "Du hast zwei brüderliche Nationen vereint, die aber schwierige Zeiten durchgemacht haben", lobte Novak Djokovic mit Blick auf den Davis-Cup-Sieg.
Pilic bereitete Djokovic' Weg vor
Pilic selbst war auch ein großer Spieler gewesen, kein übergroßer wie Becker oder Djokovic. Er war einer der "handsome eight", einer jener Spieler, die die World Championship Tennis gründeten. Die WCT war die erste professionelle Tennis-Turnierserie für Herren und bestand bis zur Einführung der ATP Tour 1990. Seinen größten Erfolg feierte er im Doppel. An der Seite des Franzosen Pierre Barthes gewann er 1970 die US Open.
Als Trainer führte er indes nicht nur die deutsche Equipe und 2005 auch das kroatische Team zum Davis-Cup-Sieg - er förderte und formte auch Weltklasse-Spieler wie Djokovic sowie die Kroaten Goran Ivanisevic und Marin Cilic. Vor allem Djokovic hob einmal hervor, wie wichtig die Zusammenarbeit mit Pilic für seinen Weg war. "Er hat mich wie einen Sohn aufgenommen, und in Zusammenarbeit mit meinen Eltern entstand diese Karriere." Eine Karriere, die heute dank 24 Major-Titeln als die erfolgreichste der Tennisgeschichte gilt.
Am Montag ist Nikola "Niki" Pilic im Alter von 86 Jahren in seiner kroatischen Heimatstadt Opatija verstorben.
Quelle: ntv.de, mit dpa/sid