Basis fehlt, Spitze schwächelt Verprellt Deutschland seine Sportler?
03.08.2022, 13:06 Uhr
Gina Lückenkemper übte deutliche Kritik am DLV.
(Foto: Michael Kappeler/dpa)
Sprintstar Gina Lückenkemper ist wütend, Weitsprung-Queen Malaika Mihambo pflichtet ihr bei: Die Sportförderung steht nicht zuletzt nach dem schlechten WM-Abschneiden der deutschen Leichtathleten in der Kritik. Die Probleme im Sportland Deutschland liegen jedoch tiefer. Was kann helfen?
Gina Lückenkemper war im Verteidigungsmodus und Malaika Mihambo sprang ihr demonstrativ zur Seite. "Ich sehe das ähnlich wie Gina", sagte die frisch gekürte Weitsprung-Weltmeisterin, als sie auf die deutsche Spitzensportförderung angesprochen wird: "Wenn man schon gut ist, wird man auch gut gefördert. Aber solange man sich auf dem Weg dorthin befindet, ist es schwierig."
Nach dem historisch schlechten WM-Abschneiden mit nur zwei Medaillen für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) hatte Lückenkemper die aus ihrer Sicht mangelnde finanzielle Unterstützung der Athletinnen und Athleten kritisiert. "Wir haben in Deutschland kein wirkliches Fördersystem, sondern eher ein Belohnungssystem", schrieb die 25-Jährige auf Instagram - und traf damit einen offenbar wunden Punkt.
Die Reaktion jedenfalls folgte prompt. Der DLV beorderte seine Sprinterin in Person von Ronald Stein, Bundestrainer Sprint, zum Gespräch. In diesem seien ihr "noch mal die Kernpunkte der deutschen Sportförderung erläutert" worden, schilderte Stein auf leichtathletik.de. Und: Lückenkemper sei es nicht "um Kritik am DLV, sondern um den Stellenwert des Sports allgemein" gegangen, führte der DLV-Coach stellvertretend aus.
Tatsächlich lässt sich die Diskussion über die Spitzensportförderung nur in einem größeren Kontext führen. Der Bund, der bislang alleine für die Förderung zuständig ist, versucht die abfallende Qualität und Relevanz des deutschen Spitzensports seit 2016 mit einer Reform zu bekämpfen. Doch zu fördernde Talente gibt es immer weniger. Die Ursachen für den Abstieg liegen tiefer.
"Alles infrage stellen"
"Wir sind einfach kein Sportland", sagte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg in einem Interview vor der am Sonntag zu Ende gegangenen Fußball-EM und machte dabei hausgemachte Probleme im Breitensport aus: "Wir sind in der Schule die Ersten, die beim Sportunterricht kürzen. Hallenbäder werden geschlossen, Turnhallen für andere Dinge benötigt, in der Corona-Krise waren Sporteinrichtungen monatelang geschlossen." Auch für Mihambo ist eine Stärkung der Basis essenziell für eine erfolgreichere Zukunft. "Das ist entscheidend. Denn nur dann, wenn es eine breite Basis gibt, kann daraus eine breite Spitze erwachsen", sagte die 28-Jährige. Der Weg dorthin muss jedoch noch gefunden werden.
Noch in diesem Jahr soll ein Bewegungsgipfel stattfinden. Nach Wunsch des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) soll Bundeskanzler Olaf Scholz dazu im Herbst einladen. Es geht um zwei Kernfragen: Wird dem Sport auf bundespolitischer Ebene eine größere Bedeutung eingeräumt? Und: Welchen Wert hat der deutsche Leistungssport?
Man müsse in Deutschland "komplett umdenken und alles infrage stellen", appellierte Ruder-Weltmeister Oliver Zeidler: "Der Anspruch der Gesellschaft ist immer, dass wir möglichst viele Medaillen holen sollen." Aber "ohne Aufwand" bekomme man eben "nichts". Die Spitzensportförderung steht auf dem Prüfstand. Innenministerin Nancy Faeser kündigte laut der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" beim Parlamentarischen Abend des DOSB im Juni eine öffentliche Anhörung an. "Dabei setzen wir alles daran, die Athletinnen und Athleten in den Mittelpunkt zu rücken", sagte Faeser.
Dieses Ziel hat laut DOSB-Vorstand Dirk Schimmelpfennig auch der Dachverband des deutschen Sports, der die kritischen Äußerungen seiner Athleten und Athletinnen begrüßte. "Die engagierten Äußerungen kommen zum richtigen Zeitpunkt", sagte Schimmelpfennig. Nach den Sommer- und Winterspielen in Tokio und Peking reflektiere der DOSB die Spitzensportförderung "sehr breit, intensiv und kritisch". Die Athletinnen und Athleten, versicherte er, seien bei diesem Prozess "beteiligt".
Quelle: ntv.de, dbe/sid