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Der WM-Auftakt im Schnellcheck Wehe, fürs DHB-Team folgt auf den Schreck der Albtraum

Juri Knorr verletzte sich nach 40 Minuten.

Juri Knorr verletzte sich nach 40 Minuten.

(Foto: IMAGO/Kessler-Sportfotografie)

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft startet mit einem Sieg in ihre WM-Mission, bezahlt den Auftakterfolg aber mindestens mit Sorgen um einen ihrer wichtigsten Spieler. Der holprige Erfolg bringt aber auch sehr positive Erkenntnisse.

Was ist da in der Jyske Bank Boxen in Herning passiert?

Fünf Monate ist es her, als sich für den deutschen Handball so vieles geändert hat: Eine begeisternde deutsche Nationalmannschaft stürmte mit Siegen über Schweden, Frankreich und Spanien zur olympischen Silbermedaille. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten gewann das DHB-Team große Spiele und brachte von einem Turnier die Erkenntnis mit: Wir können aus Potenzial und Möglichkeiten etwas Zählbares machen. Bei der WM in Dänemark, Norwegen und Kroatien zählt man seit dem Olympischen Sommer 2024 wieder zu den Mitfavoriten. Vor allem sieht man sich auch selbst dort. Mit einigem Recht.

Mit der ersten Halbzeit beim Auftaktsieg gegen Polen (35:28) verabschiedete sich die deutsche Mannschaft zunächst einmal wieder aus dem Kreis derer, denen man hier Großes zutraut. Der Ernstfall war eine Fortsetzung der letzten Tests: Gegen Brasilien hatte sich das DHB-Team zweimal schwergetan. So schwer, dass Bundestrainer Alfred Gislason mit "Sorgen" in den Bus nach Dänemark gestiegen war: Unkonzentriert im Abschluss mit vielen Fehlwürfen und ohne den konsequenten Zugriff in der Abwehr. Auf einmal lagen die Polen, die meilenweit von ihren großen Zeiten entfernt sind, mit zwei Toren in Front - 11:13 hieß es nach rund 20 Minuten. Die deutsche Halbzeitführung kam erst in den letzten Sekunden vor der Pausensirene zustande.

In der zweiten Hälfte steigerte sich die deutsche Mannschaft, die völlig unverhohlen mit großen, edelmetallenen Ambitionen zur WM gefahren ist, zunächst am eigenen wie am gegnerischen Kreis und erspielte sich binnen Minuten einen Drei-Tore-Vorsprung - und warf ihn ebenso schnell wieder weg. Und dann kam die Schrecksekunde: Spielmacher Juri Knorr rutschte auf dem Boden ohne Fremdeinwirkung weg und musste mit schmerzendem Knie vom Feld. Es hätte die Sekunden sein können, in der das System kollabiert, schließlich ist Knorr der strategische Anführer dieser jungen Mannschaft.

Doch statt des Absturzes folgte der Endspurt: Tor um Tor zog das nun wieder als Mitfavorit agierende DHB-Team davon, weil Renars Uscins traf und Knorr-Vertreter Luca Witzke nachzog. Am Ende geht das, was so holprig begann, noch als erfreulicher Aufgalopp durch. "Mit plus sieben können wir mehr als zufrieden sein. Auftaktspiele sind natürlich schwer, aber mit dem Wie müssen wir uns beschäftigen. Letztendlich ist es ein schönes Ergebnis", sagte Torwart Andreas Wolff, der gleich drei Siebenmeter in Serie hielt.

Der Schreckmoment:

41 Minuten waren in der Jyske Bank Boxen gespielt, da passierte, was eigentlich auf keinen Fall passieren darf: Juri Knorr musste mit schmerzverzerrtem Gesicht ausgewechselt werden, der Spielmacher wurde hinter der deutschen Bank behandelt und kehrte nicht mehr aufs Feld zurück. Das Knie schmerzte, während der ersten Behandlung zog er sich mit entsetztem Blick das Trikot übers Gesicht, wenig später entfuhr ihm ein "Fuck!". Knorr ist im deutschen Team der primus inter pares, der, der sich früher die komplette Last des Angriffsspiels - meist zurecht - auf die Schultern geladen und zu oft in großen Momenten darunter zusammengebrochen war.

Nun blüht der Lenker und stets gefährliche Torschützen im Verbund mit den Senkrechtstartern um Tormaschine Uscins auf, will nicht mehr in jedem, sondern vor allem im richtigen Moment den Unterschied machen. Der Hochveranlagte von den Rhein-Neckar Löwen wurde vom fünffachen Torschützen Luca Witzke diesmal effektiv ersetzt, soll am Ende tatsächlich eine Medaille um deutsche Hälse baumeln, ist Knorr unersetzbar.

"Er meinte Verstauchung. Aber das werden wir wohl erst morgen sehen. Ich hoffe natürlich, dass es nichts Ernstes ist", sagte Bundestrainer Gislason. "Ich habe keinen Röntgenblick, deshalb kann ich keine Diagnose geben. Ich hoffe, dass Juri gegen die Schweiz da ist, er ist ein sehr wichtiger Spieler", sagte Torhüter Andreas Wolff. Knorr selbst verschwand schnell in der Kabine, um sich untersuchen zu lassen. Für den deutschen Tross beginnt nun das Bangen, wie schlimm es um den Weltklassespieler bestellt ist. Ein längerer Ausfall wäre eine Katastrophe für die Ambitionen des DHB-Teams. Aus dem Schreck würde der Horror werden. "Wir haben die Breite im Kader, aber Juri ist schwer zu ersetzen für uns. Er ist unser Mittelmann Nummer eins. Ich hoffe, dass er nächstes oder spätestens übernächstes Spiel (gegen Tschechien, Sonntag, 18 Uhr/ ARD und im Liveticker auf ntv.de - Anm. der Red.) wieder spielen kann", sagte Gislason.

Was war nicht so gut?

Egal, ob in der Kreisliga oder auf der WM-Bühne: Trainer hassen es, wenn ihre Teams zu viele freie Würfe liegen lassen. Bei der Heim-EM im vergangenen Jahr lieferte die deutsche Mannschaft manches Fehlschuss-Festival ab und bezahlte damit beinahe mit einem Debakel. Nun mühten sich die Deutschen im Angriff anfangs wieder, den polnischen Schlussmann Adam Morawski berühmt zu schießen. Der Torwart der MT Melsungen nahm Uscins und Co. Ball um Ball ab, mehrfach klatschte das Leder an den Pfosten.

Ihre Chancenverwertung bekamen die Deutschen dann schneller in den Griff als den polnischen Angriff: Immer wieder landeten Anspiele bei Kreisläufer Kamil Syprzak, der Hüne in Diensten von Paris Saint-Germain vollstreckte. Zu oft fand der Außenseiter einfache Lösungen gegen die deutsche Abwehr, die es im Laufe des Turniers noch mit weitaus spektakuläreren Offensivreihen zu tun bekommen wird. "Das besprechen wir jetzt und dann stellen wir es ab", sagte Christoph Steinert zu den Problemen in den ersten 30 Minuten. Das führt zu "Was war gut?". Bitte lesen Sie:

Was war gut?

Die deutsche Mannschaft startet mit einem Sieg in die Mission Weltmeisterschaft und zeigt, dass sie sich eine gewaltige Resilienz erarbeitet hat: Selbst wenn es nicht läuft, wenn es zäh und eng ist, bleibt der Kopf oben. "Die Mannschaft hat sich weiterentwickelt. Die Spieler geraten nicht in Panik und machen sich keinen Stress, wenn es mal eine schlechte Phase gibt", hatte der Bundestrainer vor dem Turnierstart gesagt und seine "Jungs" bestätigten den Isländer. Noch wichtiger: Als Gislason in der zweiten Hälfte, als die Partie noch keinesfalls entschieden war, durchwechselte, fiel die Qualität im deutschen Spiel keinesfalls ab. Im Gegenteil: Jungstar Marko Grgic brachte frischen Wind, Knorr-Vertreter Witzke zeigte, dass er dem Chef eine Menge Last von den Schultern nehmen kann. Das ist in einem Turnier mit vielen Spielen und wenigen Ruhephasen eine enorm wichtige Qualität.

Eine Symbolfigur der These "Von einer schwachen Phase lassen wir uns doch nicht mehr das Spiel kaputtmachen" war dann eben doch Renars Uscins: Von seinen ersten vier Würfen versiebte der 22-Jährige drei, als es aber darauf ankam, als es darum ging, das Spiel eben ohne Glanz, sondern ganz seriös nach Hause zu bringen, übernahm der Linkshänder die Kontrolle - und wurde mit zehn Treffern zum besten Torschützen des Spiels. Fünfmal traf er alleine in den letzten 15 Minuten dieser für die zu Beginn arg nervösen deutschen Mannschaft lange so komplizierten Partie.

Und dann sind da natürlich die zwei Punkte gegen den mutmaßlich stärksten Vorrundengegner. In einem Spiel, in dem auch olympische Silbermedaillengewinner eine Turniernervosität erst mal abschütteln müssen. Ein paar hundert Kilometer weiter östlich wurde die Handball-Welt staunend Zeuge, was passiert, wenn das völlig schiefgeht: In Oslo - da, wo die deutschen Spieler schon bald um die Medaillen spielen wollen - trat der ähnlich ambitionierte Co-Gastgeber Norwegen vor einem frenetischen Heimpublikum gegen Außenseiter Brasilien an. Und verlor mit 26:29. Die Deutschen haben eben eine Qualität, die den Norwegern offenbar fehlt - zumindest im ersten Spiel.

Die Enttäuschung des Spiels:

Die dänische Stadt Herning, Geburtsort des besten Handballers der Welt Mathias Gidsel, ist die Wiege des dänischen Handballs, der Serienweltmeister veranstaltet hier regelmäßig große Handball-Feste. Nun aber war die gewaltige Halle (15.000 Plätze) in dem kleinen Städtchen (rund 50.000 Einwohner) überaus spärlich gefüllt. Echte WM-Atmosphäre wollte da angesichts der gähnenden Leere noch nicht aufkommen.

Läuft alles nach Plan, spielt das DHB-Team am kommenden Dienstag in Herning ihr erstes Hauptrundenspiel gegen Dänemark. Dann spielt die deutsche Mannschaft nicht nur gegen das Team, das auch Bundestrainer Alfred Gislason für unschlagbar hält, sondern auch gegen eine entfesselte Menge in Rot und Weiß. Auch, wenn man sich das an diesem Abend noch nicht vorstellen kann.

Quelle: ntv.de

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