Sport

Telekom im Doping-Sumpf Weiteres Geständnis

Als zweiter Ex-Profi hat Christian Henn Epo-Doping zwischen 1995 und 1999 während seiner Zeit beim Team Telekom gestanden. Dies bestätigte Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer. Dies sei von den Freiburger Mannschaftsärzten vorgenommen worden, heißt es in verschiedenen Medienberichten.

Der 42-Jährige Henn ist seit 2001 Sportlicher Leiter beim Team Gerolsteiner. Zuvor hatte sein ehemaliger Teamkollege Bert Dietz frühere Manipulationen öffentlich zugegeben und damit eine Lawine losgetreten.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Einen Tag nach der Beichte des ehemaligen Telekom-Fahrers kündigte das Nachfolge-Team T-Mobile erste Konsequenzen an. Dietz, von 1994 bis 1998 Mitglied des Telekom-Teams, hatte neue konkrete Vorwürfe gegen die Teamärzte Lothar Heinrich und Andreas Schmid von der Freiburger Uni-Klinik erhoben. Gegen beide Mediziner ermittelt bereits die Staatsanwaltschaft. Zum Ende der Saison werde Freiburg nicht mehr zuständig sein für die sportmedizinische Betreuung, bestätigte T-Mobile-Kommunikationschef Christian Frommert in mehreren Medien.

Schwere Zeiten für Aldag

Schon vor einigen Monaten hatte sich der Konzern bis 2010 als Sponsor beim Team fest verpflichtet. "Wir sind seit einem Jahr mit unserem Anti-Doping-Kurs auf einem geraden Weg, der weltweit beachtet ist. Wir haben vor, den weiter zu gehen", sagte Frommert.

Ex-Profi Rolf Aldag, zu Dietz' Zeiten beim Team Telekom an der Seite von Jan Ullrich und Bjarne Riis, muss sich womöglich auf harte Zeiten einstellen. "Wir sind gerade bei einer Klärung. Es wird von uns im Laufe der Woche - nicht mehr heute – eine klare Geradeaus-Reaktion geben", sagte Teamsprecher Stefan Wagner. Aldag, der zuletzt geleugnet hatte, von der offensichtlich Flächen deckenden Doping-Praxis im Team in den 90er Jahren etwas mitbekommen zu haben, war für den Neuanfang nach dem Ullrich-Eklat zum Teamchef der "neuen" T-Mobile-Mannschaft gemacht worden. Heinrich, dem Dietz wie zuvor der Ex-Betreuer Jef d'Hont aktives Doping vorwarf, wurde an die Spitze der neuen, strengen Anti-Doping-Bewegung im Bonner Team gestellt.

EPO-Doping wie Massage und Training

Anders als am 26. Februar ein stammelnder und sich in Widersprüche verwickelnder Ullrich waren die Aussagen des 38-jährigen Dietz von anderem Kaliber. Er nahm kein Blatt vor den Mund: Wenn sie vor Ort waren, hätten die Ärzte EPO, für ihn seit 1995 fast eine Selbstverständlichkeit wie Massage und Training, "selbst gespritzt". Die EPO-Dosen seien zum Teil direkt von der Freiburger Klinik per Post bei Dietz eingetroffen. Heinrich und Schmid hätten den EPO-Gebrauch "angeboten, aber in so einer Form, dass jeder wusste: wenn ich es jetzt nicht nehme, habe ich wahrscheinlich am Jahresende so schlechte Ergebnisse, dass mein Vertrag nicht verlängert wird".

Einzeltat ausgeschlossen

Mit Fingern auf andere zeigen - das wolle er nicht. Aber bei seinen Schilderungen ist schwer vorstellbar, dass der "kleine Profi" Dietz der einzige im Team gewesen sein soll, dem das Blut-Doping-Mittel EPO verabreicht worden war. Der jetzige Fahrrad-Händler aus Leipzig, der sich nie für das Bonner Tour-Team qualifizieren konnte, berichtete, dass er seine Drogen-Kuren selbst bezahlen musste: "1995 so um die 5.000 Mark." Der damalige Manager Walter Godefroot, jetzt Berater des neuen kasachisch-schweizerischen Astana-Teams mit Andreas Klöden und Alexander Winokurow an der Spitze, hätte den Geldfluss für die Doping-Präparate geregelt. Ein spektakulärer Vuelta-Etappensieg 1995 war das Karriere-Highlight von Dietz.

Leistungsexplosion dank EPO

Im Trainingslager 1995 auf Mallorca hätten Heinrich und Schmid zum ersten Mal über das Thema EPO geredet. Im Folgejahr war beim Team Telekom eine Leistungs-Explosion, die in dem Toursieg des Dänen Bjarne Riis gipfelte, zu verzeichnen. 1997 gewann Ullrich, gegen den inzwischen zwei Staatsanwaltschaften ermitteln, als erster Deutscher das schwerste Radrennen der Welt. Der Sportpolitische Sprecher der Bündnis 90/Die Grünen, Winfried Hermann, forderte die Aberkennung des historischen Toursieges: "Wenn zunehmend klar wird, dass hier betrogen wurde, dann müssen die Siege aberkannt werden - auch der Tour-Sieg von Ullrich."

"Jahrhundert-Talent"

Peter-Michael Diestel, einer von sechs Ullrich-Anwälten, fühlte sich in seiner Verteidigungs-Strategie durch Dietz bestätigt: "Diese sympathische Aussage hatte viel juristisch entlastenden Gehalt, auch Telekom betreffend." Dietz sei nach d'Hont schon der zweite der berichtete, "da war wohl Doping üblich". Manipulation hätte Ullrich dagegen nicht nötig gehabt, "er hatte das Jahrhundert-Talent".

Zwickmühle für Profis

Dietz, der für seinen TV-Auftritt auch Lob des ebenfalls Doping-verdächtigten Ex-Telekom-Profis Jörg Jaksche erhielt, verdeutlichte die Zwickmühle, in der sich die Profis drehten: Der Sponsor fordert Erfolg. Wenn der sich nicht einstellt, kann die Zukunft des Teams auf dem Spiel stehen oder der persönliche Vertrag disponibel werden. Der Druck besonders als Familienvater sei enorm gewesen, sagte Dietz, der sich als erster namhafter deutscher Profi zu seiner Doping-Vergangenheit umfänglich bekannte.

Schwächste Glied in der Kette

"Das klang ehrlich, und er hat klar gemacht, dass wir das schwächste Glied in einer Kette sind. Fahrer werden gekündigt oder suspendiert, während andere sich weiterhin den Hintern im Begleitwagen platt sitzen dürfen", sagte der Ansbacher Jaksche, der am (morgigen) Mittwoch in Frankreich bei der Tour de Lorraine sein Debüt für sein neues Tinkoff-Team geben soll, nachdem ihn die Mannschaft wegen seiner Verwicklungen in die Doping-Affäre Fuentes vor dem Giro-Start vorübergehend suspendiert hatte.

"Wer noch im System ist, kann sich nicht outen, ohne direkt seinen Job zu riskieren", sagte Dietz und nannte damit den Hauptgrund für das eiserne Radsport-Gesetz des Schweigens und Wegschauens. Dietz fordert für den dringend erforderlichen Neuanfang eine Amnestie, mit kompletter Aufarbeitung der Vergangenheit ohne Strafe-Androhung.

(dpa, sid)

Quelle: ntv.de

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