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Reus über Rekorde und gehypte Doper "Wie das ging, das müssen Sie Bolt fragen"

Mit seinem deutschen Rekord von 10,05 Sekunden läuft Julian Reus der Weltspitze weit hinterher.

Mit seinem deutschen Rekord von 10,05 Sekunden läuft Julian Reus der Weltspitze weit hinterher.

(Foto: picture alliance / dpa)

Bei den deutschen Meisterschaften in Ulm knackt Julian Reus den Uralt-Rekord von Frank Emmelmann über 100 Meter - und kann es gar nicht richtig fassen. Der Weltspitze sprintet der 26-Jährige trotzdem weit hinterher. Frustrieren lässt sich Reus davon nicht. Er sieht den deutschen Sprint im Aufwind und traut sich an einem optimalen Tag zu, die magische 10-Sekunden-Marke zu knacken. Für Schlagzeilen sorgt der Rekordmann vor der heute beginnenden Leichtathletik-EM in Zürich auch mit deutlicher Kritik an heuchlerischen Dopingsperren im Sprintbereich. Superstar Usain Bolt ist kein Vorbild für ihn - denn wichtiger als Weltrekorde sei der Charakter.

Rekordmann: In Ulm löschte Julian Reus die 29 Jahre alte 100-Meter-Bestmarke von Frank Emmelmann aus den deutschen Rekordbüchern.

Rekordmann: In Ulm löschte Julian Reus die 29 Jahre alte 100-Meter-Bestmarke von Frank Emmelmann aus den deutschen Rekordbüchern.

(Foto: picture alliance / dpa)

Herr Reus, nach Ihrem deutschen Rekord über 100 Meter waren Sie "richtig baff". Haben Sie ihn inzwischen verarbeitet?

So richtig noch nicht. Mit der EM kommt jetzt erst der wichtigste Wettkampf des Jahres. Da habe ich das ein bisschen zur Seite geschoben. Für mich ist es wichtig, nicht in der Vergangenheit zu leben. Was vor zwei Wochen in Ulm war, hat in Zürich keine Bedeutung mehr. Dort ist ein neuer Wettkampf. Darauf lag die Konzentration.

Was bedeutet Ihnen die Bestmarke?

Man schreibt schon ein Stück Geschichte, wenn man einen Rekord bricht, der so lange Gültigkeit hatte. Das ist eine Genugtuung. Es ist aber auch nicht so, dass ich erleichtert wäre, weil der Rekord nie mein Ziel war. So richtig werde ich das aber erst nach der Saison reflektieren.

Der Deutsche Leichtathletik-Verband hat sich explizit erfreut gezeigt, dass der Uralt-Rekord von 1985 "endlich gefallen ist". Liegt das auch daran, dass die Bestzeit von Frank Emmelmann aus der Hochzeit des Anabolika-Dopings stammt?

Das müssen Sie den DLV fragen. Für mich spielt das keine Rolle, von wann und wem der Rekord war. Es gibt keinen positiven Dopingtest, von daher muss man die Leistung anerkennen. Weiter will ich da nicht drüber nachdenken.

Aber mit 29 Jahren hatte die Bestmarke ungewöhnlich lange Bestand.

In den letzten Jahren gab es zum Beispiel mit Marc Blume immer wieder Athleten, die in diesen Bereich gelaufen sind und den Rekord hätten knacken können - wenn die richtigen Bedingungen geherrscht hätten. Es ist schön, dass ich ihn jetzt gebrochen habe. Ich bin einfach extrem zufrieden.

Sie haben den Rekord um 1/100 Sekunde auf 10,05 Sekunden verbessert. Wo kann und soll es noch hingehen?

Das lasse ich auf mich zukommen. Ich will mich verbessern, gucken, wo ich noch ein paar Hundertstel rausholen kann. Aber genaue Zeiten als Zielvorstellungen erlege ich mir nicht auf. Dann limitiert man sich vielleicht selbst.

Der Franzose Christophe Lemaitre ist bisher der einzige Weiße, der unter 10 Sekunden gelaufen ist.

Der Franzose Christophe Lemaitre ist bisher der einzige Weiße, der unter 10 Sekunden gelaufen ist.

(Foto: picture alliance / dpa)

Trauen Sie sich zu, die 10-Sekunden-Marke zu knacken? Bislang ist der Franzose Christophe Lemaitre der einzige Weiße, der das geschafft hat.

Ja, es ist machbar. Aber das heißt nicht, dass ich das irgendwann in meiner sportlichen Karriere schaffen werde. Ich war in den letzten drei Jahren konstant gesund und konnte ohne Störung im System Mensch oder System Körper trainieren. Ich konnte in Ruhe an Lauftechnik, Schrittlängen, Knie- und Hüftwinkeln arbeiten und mich sukzessive steigern. Aber die Rahmenbedingungen, die man für solche Zeiten braucht, die müssen einfach auch stimmen, nicht nur meine Form. Da muss schon viel zusammenpassen, das gibt es nicht oft im Leben. Wenn zum Beispiel in Ulm nur 13 Grad und 1 Meter Gegenwind gewesen wären, wäre ich auch keinen deutschen Rekord gelaufen. Deshalb gebe ich 9,99 Sekunden nicht als explizites Ziel aus.

Sie haben Ihre Bestzeit seit 2012 um 4/100 Sekunden verbessert. Träumen Sie insgeheim von einem Leistungssprung, wie ihn Weltrekordhalter Usain zwischen 2007 und 2009 hatte, als er seine Bestzeit von 10,03 Sekunden auf den Weltrekord von 9,58 Sekunden steigerte?

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Nein, ich bin generell kein Tagträumer. Ich möchte akribisch daran arbeiten, mich weiter zu verbessern und meine Bestleistung zu steigern. Davon zu träumen, sich in zwei Jahren nochmal um zwei Zehntel zu steigern, ist einfach unrealistisch.

Usain Bolt hat es geschafft.

Aber wie das ging, das müssen Sie Herrn Bolt fragen.

Nach Ihrem Rekord gelten Sie jetzt als Medaillenanwärter. Welche Ziele haben Sie für Zürich?

Es geht erstmal darum, ins Finale zu kommen. Eine genaue Zielstellung kann ich für mich erst ausmachen, wenn ich weiß, wie meine Tagesform ist und wie die anderen Konkurrenten drauf sind. Das ist eine Meisterschaft, da geht es um ein Duell Mann gegen Mann. Im Sprint ist alles so eng zusammen. Da kann viel passieren. In der Staffel ist natürlich das Ziel, ganz vorne um den Sieg mitzulaufen.

Fürchten Sie durch den Rekord zu hohe Erwartungen?

Wir im Sprintbereich wissen, wozu wir in der Lage sind und werden da unser Ding machen. Ich glaube nicht, dass wir den Erwartungen extrem hinterherlaufen werden.

Trotz ihres Rekordlaufs liegen Sie in der Weltjahresbestenliste nicht in den Top 20. Warum ist der deutsche Sprint international nicht wettbewerbsfähig?

Weil sich der Sprintbereich in den letzten Jahren einfach extrem entwickelt hat. Um 1989 war man mit einer Zeit von 10,11 Sekunden noch Neunter in der Welt. 2012 war ich mit meinen 10,09 Sekunden, also einer besseren Leistung, auf Platz 49. Die internationale Entwicklung im Sprintbereich ist einfach so rasant, da konnten wir – aus welchen Gründen auch immer – in Deutschland nicht mithalten.

Wann wird sich das ändern?

Wir haben uns in den letzten Jahren entwickelt, uns verbessert. Es ist aber vermessen zu denken, dass in den nächsten fünf Jahren fünf deutsche Sprinter unter zehn Sekunden oder eine 9,9 laufen können. Und selbst mit 9,95 Sekunden hätte man wahrscheinlich keine Chance auf ein Finale im Sprintbereich.

Frustriert Sie das manchmal?

Dann bräuchte ich den Sport nicht machen, wenn mich das frustrieren würde. Ich mache das mit einer extremen Leidenschaft. Ich habe Spaß an dem, was ich mache, und hole da meine Motivation raus, um meine Leistungsgrenze auszutesten.

Nach dem Diamond-League-Meeting in Lausanne haben Sie die Ergebnisliste bei Facebook gepostet und dazu angemerkt, dass die Hälfte der Starter "eine Dopingvergangenheit" hat. Auf wen zielt diese Kritik?

Das gilt zum einen den Veranstaltern und natürlich auch den Zuschauern, die diese Athleten sofort wieder hypen, als sei nichts gewesen. Da frage ich mich: Was hat es überhaupt für einen Sinn, diese Athleten zu sperren, wenn es im Endeffekt keine verhältnismäßige Strafe darstellt? Tyson Gay und Asafa Powell haben drei oder vier Wettkämpfe ausgesetzt, das war's. Eine wirtschaftliche oder moralische Strafe haben Sie meiner Meinung nach nicht bekommen, dafür, dass andere betrogen worden sind.

Wie sollte so eine moralische Strafe aussehen?

Es nicht so, dass die Leute an den Pranger gestellt werden sollen. Es ist auch nicht so, dass keiner mehr eine zweite Chance verdient hat. Es geht zum Beispiel einfach darum, dass solche Athleten nicht im ersten Rennen sofort wieder zu den besten Meetings eingeladen werden und die Veranstalter große Comebacks ankündigen - für Leute, die nicht von einer Verletzung zurückkommen, sondern von einer Dopingsperre!

Sind Ihnen die Dopingsperren zu lasch?

Solange die Sperren keine Strafen sind für die Athleten, sind sie einfach zu gering. Das Problem ist aber auch, dass Strafen verhängt und dann wieder gekürzt werden. Die Athleten, die letztes Jahr gesperrt worden sind, sind alle wieder auf der Laufbahn. Es muss von Veranstaltern und Verbänden einfach ein glaubwürdigerer Kampf gegen Doping gemacht werden.

Welche Reaktionen gab es auf Ihre Kritik?

Es hat sich keiner gemeldet und gesagt, ich sehe das falsch. Zumindest in Deutschland haben wir da schon die gleiche Meinung. Da stehe ich nicht alleine da. Aber solange das international nicht komplett gleich umgesetzt und durchgesetzt wird, ist es schwierig, für einen einheitlichen Kampf gegen Doping zu sorgen.

Sie tun sich nach eigener Aussage schwer mit sportlichen Vorbildern. Liegt das auch am Dopingverdacht, der im Sprintbereich bei Spitzenleistungen immer mitläuft?

Nein, gar nicht. Es ist eher so: Was soll ich mir einen Menschen als Vorbild nehmen, den ich gar nicht kenne? Nur weil jemand schnell läuft, kann er doch für mich kein Vorbild sein. Da gehören noch andere, viel wichtigere Eigenschaften dazu, dazu zählt: Wie kommt diese Leistung zustande? Wie ist der Charakterzug des Menschen, ist er zuvorkommend, höflich, hilfsbereit?

Wer ist dann ein Vorbild für Sie?

Wenn man es auf den Sport eingrenzt, ist ein Athlet wie Alexander Kosenkow natürlich ein Vorbild. Er ist in seinem hohen Alter immer noch in einem extremen Leistungsbereich. Das kommt ja nicht von ungefähr, das ist alles hart erarbeitet. Auch wenn ich vielleicht eine bessere Bestzeit habe, ist er einer, von dem ich in den letzten Jahren viel gelernt habe. Das ist viel, viel wichtiger als die Frage, ob jemand Weltrekordhalter ist oder nicht.

Mit Julian Reus sprach Christoph Wolf

Quelle: ntv.de

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