"Barney" gelingt WM-Comeback Wie sich eine Darts-Legende neu erfunden hat
21.12.2021, 07:10 Uhr
Raymond van Barneveld hat wieder Spaß am Spiel.
(Foto: picture alliance/dpa/PA Wire)
Vor zwei Jahren verabschiedet sich Raymond van Barneveld mit einer peinlichen Niederlage eigentlich für immer aus der Darts-Welt, doch zu Beginn dieser Saison startet "Barney" ein überraschendes Comeback. Und nach seinem WM-Auftakterfolg ist klar: Die Rückkehr ist gelungen.
Lange musste die Darts-WM nicht ohne einen der besten Spieler aller Zeiten auskommen. Nur zwei Jahre nach seinem vermeintlich endgültigen Karriereende ist Raymond van Barneveld zurück auf der größten Bühne der Darts-Welt im Alexandra Palace in London. Die Auftaktpartie des Niederländers zeigt, dass er es noch draufhat. Oder, besser gesagt, dass er es wieder draufhat. Gegen den philippinischen Vertreter Lourence Ilagan setzt sich "Barney" glatt in drei Sätzen durch, gibt im gesamten Spiel nur zwei Legs ab.
In der Statistik stehen am Ende eine eher durchschnittliche Doppelquote von 36 Prozent, aber ein starker Punkteschnitt von 96 pro Aufnahme. Nur drei Spieler haben im bisherigen Turnierverlauf einen höheren Average gespielt: der junge Österreicher Rowby-John Rodriguez, Mitfavorit Jonny Clayton und Titelverteidiger Gerwyn Price. Und trotzdem war van Barneveld nach seinem lockeren Sieg nicht vollends zufrieden. "Ich kann viel besser spielen, aber ich habe gewonnen, das ist die Hauptsache."
Am Mittwochabend wird dem fünffachen Weltmeister das Siegen nicht so leichtfallen. Sein Gegner heißt dann Rob Cross, die Nummer elf der Welt, amtierender Europameister und Weltmeister von 2018. "Ich kann es kaum erwarten, gegen Rob Cross zu spielen. Das wird etwas Besonderes", ist van Barneveld überzeugt.
"Ich war kein netter Mensch mehr"
Viele Kritiker sehen das Comeback des 54-Jährigen noch immer kritisch. Zu schwer wiegt das nicht nur sportlich grottenschlechte Auftreten in seinem ursprünglich geplanten letzten Karrierejahr 2019. "Ich hatte genug von mir selbst. Ich war kein netter Mensch mehr. Nicht für mich, nicht für meine Familie, nicht für meine Freunde. Ich hatte so oft verloren und dann einfach aufgegeben", äußerte sich "Barney" zuletzt im "Checkout"-Podcast selbstkritisch. Ungläubig reagierten die meisten Fans, Experten und Spieler, als der frühere Briefträger aus Den Haag schon weniger als ein Jahr nach seinem Rücktritt sein Comeback ankündigte.
Anfang dieses Jahres begann das Abenteuer. "Barney" musste wieder ganz unten anfangen. In der sogenannten Qualifiying School, wo WM-Titel nichts wert sind, sondern eher eine Bürde. Dort, wo sich jeder fähige oder auch nicht so fähige Spieler für 400 Euro Startgeld einen der wenigen Startplätze auf der Profitour erspielen kann. Diese Ochsentour hatten ihm viele nicht zugetraut, doch van Barneveld straft seine Kritiker Lügen. Ihm gelingt im ersten Anlauf die Qualifikation, seit Februar ist er wieder offiziell PDC-Profi.
Sein Ziel, die WM-Qualifikation, macht der Niederländer letztlich schon im dritten von 30 Turnieren bei den Profis klar, als er Ende Februar ein Turnier auf der Pro Tour gegen sämtliche PDC-Granden für sich entscheidet. "Dieser Turniersieg war ein Schocker. Zu so einem frühen Zeitpunkt war der Titelgewinn eine Überraschung für mich. Das war großartig", sagte van Barneveld bei "Checkout".
Zusammenbruch während Turnier
Kurz darauf schrieb "Barney" bei einem weiteren Pro-Tour-Event erneut Schlagzeilen, jedoch besorgniserregende. Kurz nach seiner Erstrunden-Niederlage kollabiert van Barneveld. Ihm sei "schwarz vor Augen geworden", erzählte er später. Für den Zusammenbruch macht er psychische Gründe verantwortlich. "Zu der Zeit sind bei mir im privaten Bereich viele schlimme Dinge passiert. Mein Vater hatte einen Schlaganfall, mein Haus war wenige Tage vorher eingestürzt. Das war zu viel für mich."
An Topleistungen wie zu Jahresbeginn bei seinem Pro-Tour-Erfolg kann "Barney" in seinem Comeback-Jahr zwar darauf erst mal nicht mehr anknüpfen, rechtzeitig zur WM scheint die Darts-Legende aber allmählich wieder näher Richtung Topform zu kommen. Im November gelingt van Barneveld die Qualifikation für den Grand Slam of Darts, wo er gegen die Top-10-Spieler Gary Anderson und Michael Smith zwar verliert, aber respektable Leistungen zeigt.
Vielleicht auch deshalb hatte sich "Barney" im "Checkout"-Podcast vor der WM optimistisch gezeigt. "Ist der WM-Titel in diesem Jahr für mich realistisch? Ich weiß es nicht. Fakt ist aber, ich habe die Qualität, um die besten Spieler der Welt zu schlagen. Wenn ich nicht daran glauben würde, die WM zu gewinnen, würde ich nicht nach London fahren."
"Ich träume vom WM-Sieg"
Manch einer hinterfragt den Plan, die Idee, hinter dem Comeback. Was will sich "Barney", der fünffache Champion, noch beweisen? Klar, sein vorerst letztes Profi-Jahr 2019 war peinlich. Aber die Ochsentour, von null im Ranking zurück nach oben? In dem Wissen, sämtliche Quali-Turniere spielen zu müssen, um bei den großen Turnieren überhaupt dabei zu sein? Der Niederländer kokettierte immer wieder damit, dass ein hochdekorierter Spieler wie er sich doch gefälligst nicht für Turniere qualifizieren müsse und stattdessen eine Wildcard von der PDC erhalten solle. Das war der alte "Barney" aus den Jahren 2018 und 2019.
Vom 2021er-Barneveld hört man solche Aussagen nicht mehr. Die neue "Barney"-Version gibt sich betont locker. Zu seiner Motivation für das Comeback lässt er sich entlocken, dass er dadurch wieder "ein besserer Mensch" geworden sei. Der Niederländer hat sich neu erfunden, den Spaß am Darts wiederentdeckt und dadurch den Spaß am Leben. Eine Mischung, die ihn bei der WM wieder gefährlich machen kann. Von van Barneveld, der sich jahrzehntelang nur über Siege definiert hat, kommen jetzt Aussagen wie diese: "Ich muss niemandem mehr etwas beweisen. Alles, was ich noch auf der PDC-Tour gewinnen werde, sehe ich als Bonus an."
Den Traum vom sechsten WM-Titel träumt aber auch die 2021er-Version von Raymond van Barneveld weiter, wie er bei "Checkout" zuletzt zugab: "Ich träume vom WM-Sieg, hoffentlich geht der Traum in Erfüllung. Ich bin ein geborener Sieger." Ganz bekommt man den alten "Barney" also doch nicht aus dem neuen "Barney".
Was ist sonst noch los bei der Darts-WM?
Der an Position vier gesetzte James Wade hat problemlos den Einzug in die dritte Runde geschafft. "The Machine" hatte mit seinem niederländischen Gegner Maik Kuivenhoven trotz allenfalls durchschnittlicher Leistung keine Mühe, siegte 3:1.
Deutlich spektakulärer verlief die Erstrundenbegegnung zwischen dem 20-jährigen Österreicher Rusty-Jake Rodriguez und dem Neuseeländer Ben Robb. Am Ende stand ein 3:1 für WM-Debütant Rodriguez zu Buche, der damit seinem fünf Jahre älteren Bruder Rowby-John in die nächste Runde folgt.
An diesem Dienstagnachmittag wird die erste Runde schließlich komplettiert, im Anschluss finden bis Heiligabend alle ausstehenden Zweitrundenspiele statt, darunter am Abend das Duell zwischen dem Weltranglistenfünften Dimitri Van den Bergh und dem Deutschen Florian Hempel. Mehr zu diesem Spiel lesen Sie hier.
Quelle: ntv.de