Abseits oder nicht? Wirbel nach Führungstor
10.06.2008, 12:07 UhrLuca Toni holte sich für seinen Protest die Gelbe Karte ab, Rafael van der Vaart wusste weit nach dem Schlusspfiff noch nicht Bescheid und Italiens Coach Roberto Donadoni fand sich bereits mit der vermeintlichen Fehlentscheidung ab.
Das Führungstor der niederländischen Fußball-Nationalmannschaft beim 3:0 (2:0) über Weltmeister Italien sorgte bei der EM für ein Regel-Chaos, das erst durch die regelfesten Schiedsrichter-Bosse des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und von der Europäischen Fußball-Union (UEFA) beseitigt werden konnte.
"Das Tor war regulär. Die Regel besteht seit ewigen Zeiten. Sie soll verhindern, dass eine neue Trickkiste aufgemacht wird", sagte der DFB-Schiedsrichter-Abteilungsleiter Lutz-Michael Fröhlich zu der Szene in 26. Minute, in der Star-Stürmer Ruud van Nistelrooy bei seinem Treffer anscheinend deutlich im Abseits stand.
Panucci hob Abseits auf
Schiedsrichter Peter Fröjdfeldt (Schweden) erkannte nach Auskunft des früheren FIFA-Referees Fröhlich das Tor jedoch zu Recht an, da der italienische Abwehrspieler Christian Panucci die Abseitsstellung aufhob - auch wenn er nach einem Zusammenprall mit seinem Keeper Gianluigi Buffon weit hinter der Torauslinie lag.
"Der Spieler wird in diesem Fall so behandelt, als ob er auf der Torauslinie liegen würde", erklärte Fröhlich. Hintergrund der Regel ist der Versuch, Täuschungsversuche zu unterbinden. Da es den Abwehrspielern grundsätzlich nicht erlaubt ist, einen Angreifer durch das Verlassen des Spielfelds ins Abseits zu stellen, soll mit der Regel verhindert werden, dass ein Verteidiger durch das Vortäuschen einer Verletzung einen regulären Treffer verhindert.
Keine Verwarnung
"In diesem Fall lag der Spieler unabsichtlich hinter der Linie und wird deshalb auch nicht verwarnt, wie es von der Regel im Absichtsfalle verlangt wird. Dennoch ist er Teil des Spiels und hebt damit eine Abseitsstellung auf", erläuterte der deutsche Schiedsrichtersprecher Manfred Amerell im Berliner Tagesspiegel. Auch UEFA-Generalsekretär David Taylor trug seinen Teil zur Aufklärung bei: "Es stimmt, dass in einer älteren Textfassung der Regel der Begriff 'absichtlich' auftrat, aber diese Fassung ist nicht mehr gültig."
Von dieser Regel hatten allerdings die Protagonisten auf dem Platz genau wie viele verwirrte Fußball-Fans im Stadion und vor den Fernsehgeräten noch nichts gehört. "Ich habe die Szene auf der Anzeigentafel gesehen. Es war Abseits, aber nun gut...", meinte der niederländische Spielmacher van der Vaart vom Hamburger SV.
Tifosi außer sich
Während van der Vaart mit der vermeintlichen Fehlentscheidung gut leben konnte, artikulierte Bundesliga-Torschützenkönig Luca Toni von Meister Bayern München seinen Protest noch auf dem Spielfeld derart heftig, dass er sich eine Verwarnung abholte. Auch die rund 6000 Tifosi im neuen Berner Wankdorfstadion waren nach der Wiederholung der Szene auf der Anzeigentafel außer sich.
Das Zeigen umstrittener Situation im Stadion hält Ex-Referee Markus Merk grundsätzlich für falsch. "Dies ist etwas ganz Negatives für die Emotionen der Zuschauer, der Spieler, aber auch des Schiedsrichters", sagte der dreimalige Weltschiedsrichter der Tageszeitung Die Welt: "Offensichtlich fehlt den Menschen, die diese Zeitlupen einspielen, die fachliche und regelkundige Kompetenz. Also muss man Spezialisten dort hinsetzen oder es eben leider doch ganz sein lassen." Eigentlich sollen Schiedsrichter im Stadion vor Bildschirmen sitzen und entscheiden, ob eine Szene wiederholt wird oder nicht.
Vollkommen gelassen ging dagegen der weit nach dem Schlusspfiff noch nicht über die Regel informierte Donadoni mit der umstrittenen Szene, die am Dienstag die Zeitungen und deren Experten in ganz Europa beschäftigte, um. "Es war wohl Abseits. Aber damit müssen wir leben. Was mir gefehlt hat, war die Reaktion der Mannschaft nach dem Gegentor", sagte der Coach.
Quelle: ntv.de