
Das Rennende quält Zeidler mächtig.
(Foto: REUTERS)
Es ist alles bereitet für das Traum-Ende der Ruder-Europameisterschaft: Oliver Zeidler geht mit dem Ziel Gold auf seiner Heimstrecke im Einer an den Start. Auf eben jener Strecke, auf der sein Großvater vor 50 Jahren Olympiagold gewann. Doch der Enkel kann die Saga nicht fortschreiben. Kritik und Enttäuschung bleiben.
Das laut-jubelnde Anfeuern weicht auf den letzten 300 Metern nervösen Rufen, ein dramatisches Raunen schwappt über die Tribünen links und rechts der Regattastrecke in Oberschleißheim. Das allerletzte Rennen der Ruder-Europameisterschaft entwickelt sich zu einem echten Krimi. Mit einem tragischen Hauptakteur, der die Zuschauerinnen und Zuschauer zu ihren Reaktionen veranlasst: Oliver Zeidler. Gold hatte sich der Deutsche vorgenommen, seinen Titel wollte er unbedingt verteidigen. Doch dann wird er nur Vierter. Blech, kein Podium, kein Jubel. Stattdessen taucht er erst einmal ab, es gehe ihm "körperlich nicht gut", sagt er einige Zeit nach dem Rennen. "Mir ist schwindelig, ich habe Kopfschmerzen."
Während er sich quält, hat jemand anderes sein "Wohnzimmer" eingenommen: Melvin Twellaar. Der Niederländer ist der neue Europameister - und das auf der Heim- und Trainingsstrecke Zeidlers. Der geschlagene Deutsche wurde 1996 in Dachau geboren, lebt in Schwaig bei Erding, trainiert täglich in Oberschleißheim. Und es ist die Strecke, die die ganze Familie fasziniert. Bei den Olympischen Spielen 1972 wurde sein Großvater, Hans-Johann Färber, Olympiasieger im Vierer mit Steuermann. "Fünfzig Jahre nach den Olympischen Spielen schließt sich ein Kreis, und es ist natürlich sehr emotional für mich, da mein Großvater hier Gold gewann, der größte Erfolg seiner Karriere auf derselben Strecke", hatte Zeidler im Vorfeld gesagt. "Als Kind hat man sich die Medaillen und die Olympiabücher angeschaut. Ich fand es cool, darin Bilder vom Großvater zu sehen." Und Färber hatte gesagt: "Wenn ich erleben dürfte, dass einer meiner Enkel eine Medaille bei Olympia gewinnt, würde mich das überglücklich machen."
"Dann bin ich einfach geplatzt"
Es war alles bereitet für das krönende Ende dieser EM, einem Ende, das der Deutsche Ruder-Verband so bitter nötig gehabt hätte. Denn die Erfolge blieben zumeist aus. Das Paradeboot, der Deutschland-Achter, wurde wie Zeidler nur Vierter. Insgesamt gibt es nur eine einzige Medaille für den DRV. Zeidler hätte die Bilanz schönen können. Trotz harter Konkurrenz war er der Favorit. Im Vorlauf hatte er den Start noch völlig verschlafen, war Sekunden später gestartet - und trotzdem als Erster ins Ziel gekommen. Auch im Halbfinale hatte er gesiegt, mit der schnellsten Zeit. Doch dann der Einbruch im Finale. "Ich habe alles gegeben, von daher kann ich mir keine Vorwürfe machen", sagt Zeidler. "Aber es ist natürlich hart. Bis 1600, 1700 Meter war es genau das Rennen, das ich mir vorgenommen hatte, dann bin ich einfach geplatzt." Eigentlich habe er sich vorgenommen, auf der Strecke etwas Kraft zu sparen, doch Windböen haben das unmöglich gemacht. "Dann sind die Arme blau geworden und ich konnte meine Arme quasi nicht mehr anziehen, es ging einfach nicht mehr."
"Das ist natürlich bitter, so, wie er die Strecke hier als sein Wohnzimmer bezeichnet, hier dann so eine Niederlage einstecken zu müssen, ist hart", sagt sein Opa, der es aber sportlich nimmt: "Man kann es nicht ändern, das ist Sport. Sieg und Niederlage liegen da ganz eng beieinander, das muss man so akzeptieren." Dabei habe er bei 1500 Meter noch ein gutes Gefühl gehabt: "Als er vorne lag, dachte ich, jetzt bringt er es nach Hause." Doch die Hoffnung wurde zunichtegemacht, erst zog Twellaar vorbei. Dann überholte ihn der Grieche Stefanos Ntouskos und schließlich auch noch der Bulgare Kristian Vasilev, während Zeidler kaum noch einen Schlag ins Wasser brachte und schon vor dem Ziel das Rudern quasi einstellte und nur noch über die Ziellinie trieb, den Körper weit vornübergebeugt, völlig verausgabt.
"Das war natürlich sehr bitter, das tut mir auch wirklich leid für ihn, gerade auch hier in München", sagt Alexandra Föster. Die 20-jährige Disziplinkollegin Zeidlers hatte nur eine halbe Stunde vor dessen Rennen für einen Lichtblick für den DRV gesorgt. Föster sichert sich im Einer mit einem klasse Endspurt die Bronzemedaille. Es ist so eng, dass das Fotofinish entscheiden muss. "Hut ab für das junge Mädel", lobt Cheftrainerin Brigitte Bielig. Realisiert hat die Aufsteigerin dieses Jahres ihren Erfolg noch nicht. Für das Rennen von Zeidler hat sich Föster nach ihrer eigenen Siegerehrung sofort Zeit genommen, feiern können sie aber nicht zusammen.
Nächste Enttäuschung nach Olympia
Wieder kann Zeidler nicht feiern, muss es heißen. Denn schon bei den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr in Tokio hatte er sich mächtig selbst unter Druck gesetzt, die Goldmedaille als großes Ziel ausgegeben. Dann aber hatte er den Einzug ins A-Finale verpasst, war nur Siebter geworden. Im Halbfinale hatten dem 2,03 Meter großen Athleten Schiebewind und starker Wellengang zugesetzt. Auch seine Unerfahrenheit könnte ihm zum Verhängnis geworden sein, denn vor wenigen Jahren war er noch Schwimmer. Zum Rudern wechselte er erst ganz spät.
An seiner Taktik änderte Zeidler auch vor der EM nichts. Viel Druck, große Erwartungen an sich selbst, mächtig Austeilen gegen andere. Der 26-Jährige hatte es unbedingt 50 Jahre nach seinem Opa schaffen wollen, ebenfalls Gold zu gewinnen. Und er hatte den Verband heftig kritisiert. "Es war beides", mutmaßt Bielig über die Gründe, der Druck und die Kritik. Sie kündigt noch ein Gespräch mit Zeidler über dessen Generalkritik an. "Wir sind in Deutschland keine Profis, müssen aber gegen Profis antreten", hatte dieser gesagt. Und weiter: "Im Rudern haben wir eine gute Basis, junge Talente entscheiden sich aber dann oft dazu, den ganzen Aufwand nicht weiterzubetreiben." Der Sport sei in Deutschland nicht attraktiv genug. Richtig hart teilte er gegen den Verband aus: Im DRV gebe es niemanden, "der diese Ahnung vom Leistungssport hat".
Medaille bleibt WM-Ziel
Bielig sagt nun: "Das Gespräch war bewusst nicht vor der EM. Nicht, dass dann solche Gespräche im Vorfeld ausschlaggebend sind, dass bestimmte Leistungen nicht erbracht werden." Während sie glaubt, dass man sich "auf einem guten Weg wiederfinden" wird, teilt Zeidler erneut aus: "Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich muss sagen, die Reaktion von unserer Bundestrainerin und unserem Sportdirektor, einfach gegen sämtliche Argumente von mir Nein zu sagen, ist halt einfach kein Umgang mit Kritik, die ich geäußert habe."
Es schwelt mächtig im Verband - und schon im kommenden Monat stehen die Weltmeisterschaften im tschechischen Racice an. Nach dem für seinen Enkel enttäuschenden Rennen ist das für Färber positiv: "Natürlich ist man ein bissel enttäuscht, aber das Leben geht weiter und das nächste Ziel ist nicht in weiter Ferne. Da kann er das wieder geraderücken." Sein Enkel muss das erstmal "sacken lassen", dann will er sich das Rennen nochmal anschauen und "nüchtern analysieren". Regeneration, "wieder auf den Damm kommen", "in die Vorbereitung gehen und schauen, dass man auch die letzten 200 Meter steht. Das ist ein relativ greifbares Ziel", so Zeidler. "Ich denke, das wird auch Motivation hervorrufen." Seine Ausrichtung bleibt dieselbe: volle Attacke. "Ich glaube, ich hätte auch heute gewinnen können, wenn das Rennen ein bisschen weniger lang gegangen wäre, von daher ist auch für die WM auf jeden Fall das Ziel, eine Medaille zu holen."
Quelle: ntv.de