"Nummer 3, ich habe Sie im Auge!" Zusatz-Schiedsrichter im Fußball
24.11.2008, 15:04 UhrEs begab sich Ungewöhnliches bei der Qualifikation zur Fußball-U19-Europameisterschaft auf Zypern. Anlässlich des Experimentes mit fünf Schiedsrichtern durften Journalisten den Funkverkehr der Referees untereinander mithören. Die jeweils hinter dem Tor postierten Zusatz-Schiedsrichter, deren Einsatz bei dem Miniturnier auf der Mittelmeerinsel getestet wurde, dürfen das Feld betreten, müssen aber hinter dem Torhüter bleiben. Die Zusatzschiedsrichter sind nicht mit Fahnen ausgestattet, sondern nur durch ein Funkgerät mit den anderen Referees verbunden.
Es war schon interessant, wenn der Mann an der Torauslinie bei einer Ecke blaffte: "Nummer 3, ich habe Sie im Auge!" Das konnte der Schiedsrichter nicht auf ihn werfen, und die Nummer 3 stellte das Zupfen und Zerren am Trikot des Gegenspielers gleich ein.
William Gaillard, der Kommunikationsdirektor der Europäischen Fußball-Union (UEFA), meinte: "Ich glaube schon, dass sich Spieler bei einem vierten und fünften Schiedsrichter mehr in Acht nehmen. Zehn Augen sehen eben mehr als sechs, vor allem wenn die zusätzlichen vier direkt am Strafraum postiert sind."
Als ein Torhüter zum dritten Mal auf Zeit spielte, informierte der Schiedsrichter seinen Zusatz-Schiedsrichter: "Sag ihm, beim nächsten Mal verwarne ich ihn." Bei einem "normalen" Spiel hätte der Referee die 50 Meter zum Torhüter laufen müssen, um ihm das selber mitzuteilen. Zeit wäre verloren gegangen. Fazit: Offensichtlich wird Fußball - auch bei Eckbällen - flüssiger.
Irrtümer wird es immer geben
Als bei einem Gegentor Schiedsrichter Tony Chaperon (Frankreich) die vorhergehende Szene nicht eindeutig beurteilen konnte - ein Stürmer, ein Verteidiger und ein herausstürzender Torwart kämpften um den Ball, und er stand 20 Meter hinter der Szene, so dass ihm die Sicht versperrt war - tönte es aus dem Knopf im Ohr nur kurz: "Alles in Ordnung." Das Tor war gültig.
Chaperon hinterher zum Sport-Informations-Dienst (sid): "Da war ich wirklich erleichtert. Sonst hätte ich Selbstzweifel gehabt. Aber eins ist klar: Irrtümer wird es immer geben."
Andere Dinge waren eher banal. Hinweise bei Einwürfen, auch ob Eckball oder Abstoß. Dann noch ein Laufduell vor dem Strafraum Richtung Tor. "Kannst weiterlaufen lassen", beruhigt der fünfte Mann seinen Chef.
Der hat nach dem Spiel den Eindruck, mehr gelaufen zu sein als sonst, was - sie die Beobachtungen oben - paradox wirkt. Chaperon: "Vielleicht täusche ich mich ja. Aber ich bin 20 Jahre immer diagonal über den Platz gelaufen, immer weg von den Assistenten. Jetzt musste ich in 90 Minuten meine Laufwege ändern. Da bin ich vielleicht zu viel quer gelaufen."
Sie sind im Grunde nur Zuschauer
Das könnte bei der Variante, bei der der Zusatzschiedsrichter auf der dem Assistenten an der Linie abgewandten Seite postiert ist, zu einem Problem werden. Der Schiedsrichter befindet sich dann automatisch mehr in der Achse des Spiels und nicht mehr in der Diagonalen. Die Gefahr, dass er dann häufiger als bisher unfreiwillig angeschossen wird und so das Spiel ungewollt beeinflusst, ist nicht von der Hand zu weisen.
Manchmal sprachen die Zusatzschiris auch mit sich selbst. Als aus dem strömenden Regen zeitweise ein sintflutartiger wurde, murmelte einer: "In Zukunft brauchen wir eine Pelzmütze."
Tatsächlich würden die Zusatzschiedsrichter, wenn sie denn eingeführt werden, eine andere Kleidung brauchen. Sie bewegen sich ja kaum, dürfen nur ein paar Schritte in den Strafraum machen, müssen aber immer hinter dem Torwart bleiben. Sie sind im Grunde nur Zuschauer. Und die Zuschauer in St. Petersburg beispielsweise gehen auch nicht so leicht bekleidet wie die "richtigen" Schiedsrichter ins Stadion.
Eigentlich ist der Job des Zusatzschiedsrichters mit dem eines Torwarts zu vergleichen. Der steht auch oft nur rum, muss aber in jeder Sekunde hoch konzentriert sein - und in fünf, sechs Situationen entscheidend eingreifen.
Quelle: ntv.de, von Rainer Kalb, sid