Zweiter Fall Valverde droht Spanien hofft mit Contador
09.11.2010, 20:39 UhrEinen Star-Bonus soll es für Alberto Contador nicht geben, wenn das vom Weltverband geforderte Doping-Verfahren gegen den Radprofi tatsächlich eingeleitet wird. Kritische Distanz zum Tour-de-France-Sieger lässt Spaniens Verband trotz positiver A- und B-Probe allerdings auch vermissen.
Die Hoffnung auf ein Happy End kommt ausgerechnet von der Instanz, die über Alberto Contador richten soll. Nachdem sich der Radsport-Weltverband UCI in monatelangem Ringen mit den Fakten und der einen Kuhhandel mit Kalbsfleisch befürchtenden Öffentlichkeit dazu entschlossen hat, dem spanischen Tour-de-France-Sieger keinen Persilschein auszustellen, hat nun der spanische Radsport-Verband RFEC über eine Sperre zu befinden. Die Aussagen seines Präsidenten Carlos Castaño lassen allerdings nicht vermuten, dass Contador ein sportlich faires Verfahren bekommt. Sportlich fair im Sinne des Anti-Doping-Kampfes.
"Ich hoffe, dass sich der Fall zugunsten von Contador entscheidet. Ich kenne ihn seit seiner Kindheit. Er stammt aus Madrid, und ich habe gewisse Sympathien für ihn", sagte Castano im staatlichen Radio RNE. Kritische Distanz? Fehlanzeige.
Dabei ist der Fall Contador eigentlich so klar, dass schon die dreimonatige Entscheidungsfindung der UCI ein Widerspruch zur offiziell verkündeten Maxime ist, der Verband habe in Dopingfragen ein reines Gewissen und nichts zu verbergen. Der Spanier wurde während der Tour de France positiv auf das Kälbermastmittel Clenbuterol getestet. Die B-Probe bestätigte den ersten Befund. Contadors Erklärung, wie es zu der angeblich versehentlichen Kontamination kommen konnte, halten nicht nur Experten für nicht stichhaltig. Ein verseuchtes Steak, das Contador entgegen seiner normalen Essgewohnheiten ausgerechnet am Ruhetag vor der Tour-Königsetappe gegessen haben will - es gab schon bessere Ausreden positiv getesteter Athleten.

Alejandro Valverde wurde bei Dr. Fuentes als "Valv-Piti" geführt. Einen Kunden mit den Initialen "AC" gab es auch.
(Foto: REUTERS)
Valverde lässt grüßen
Im Fall Alejandro Valverde war die Faktenlage allerdings ähnlich eindeutig. Contadors Landsmann war durch einen DNA-Abgleich während der Tour 2008 als Kunde von Dopingarzt Eufemiano Fuentes überführt worden. Und der spanische Verband? Leitete kein Verfahren ein, sodass Valverde erst zwei Jahre und zahlreiche Siege später vom Internationalen Sportgerichtshof Cas aus dem Verkehr gezogen wurde.
Im Fall Contador ist eine Wiederholung dieser Volltoleranz-Strategie wahrscheinlicher als eine konsequente Aufarbeitung, so lassen sich zumindest die Worte von Castaño deuten: "Es kann alles passieren. Es kann sein, dass das Verfahren eingestellt wird oder dass es bei einer simplen Abmahnung bleibt." Selbstverständlich könne aber auch eine Sperre von maximal zwei Jahren ausgesprochen werden. Selbstverständlich wäre zunächst einmal, dass die Spanier das von der UCI geforderte Verfahren tatsächlich einleiten. Doch selbst das steht noch in Frage, am Mittwoch will das zuständige Wettkampfkomitee den Fall beraten.
"Das sind vier Personen, die unabhängig vom Radsport sind. Das Gremium hat am Mittwoch eine Sitzung, dann sehen wir weiter", sagte Castaño, der eine Sonderbehandlung seines Freundes zumindest offiziell ausschließt: "Die Regeln gelten für alle. Wenn Alberto einen Fehler gemacht hat, muss er dafür die Verantwortung übernehmen."
Verweigern die Spanier erneut die Einleitung eines Verfahrens oder belassen es bei einer allzu milden Strafe, können UCI und die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada wie im Fall Valverde vor den Cas ziehen. Bis dieser eine Entscheidung fällt, dürfte Contador vermutlich munter weiter in die Pedale treten. Ein Start bei der kommenden Tour ist keinesfalls ausgeschlossen.
Zu viele Akten, zu wenig Zeit
Doch selbst wenn ein Verfahren eingeleitet wird, wäre eine lange Sperre für den dreimaligen Toursieger erstaunlich. Zu halbherzig sind die Spanier in der Vergangenheit mit Dopingsündern umgegangen, zu konsequent haben sie die Aufarbeitung des Falls Fuentes und dessen Ausdehnung auf andere Sportarten wie König Fußball verhindert. "Wenn wir ein Verfahren eröffnen, kann der Athlet seine Argumente vortragen. Für einen Fall wie diesen haben wir maximal drei Monate Zeit", nannte Castaño als Zeitrahmen für die Urteilsfindung - und kritisierte im gleichen Atemzug schon einmal die geringe Bearbeitungszeit.
Man habe von der UCI sechs E-Mails mit umfangreichen Dokumenten erhalten, werde es in diesem Zeitraum aber nicht schaffen, alle Akten zu lesen. Die Dokumentation sei einfach zu umfangreich. Heißt im Klartext: Der Verband wird nicht alle Argumente und Hinweise zur Kenntnis nehmen. Erstmals, stellte Castaño fest, müsse sich Contador mental aufrappeln. Dessen Verteidiger haben ebenfalls Unmengen an Beweismaterial eingereicht. Gibt es nach drei Monaten kein Urteil, wird der Fall an Spaniens nationale Anti-Doping-Agentur übergeben.
Champion wider Willen
Sollte Contador gesperrt werden, müsste ihm sein dritter Toursieg aberkannt und Andy Schleck zugesprochen werden. Der Luxemburger Schleck wäre jedoch ein Champion wider Willen, er hat Contador trotz der erdrückenden Indizien kürzlich den Rücken gestärkt. "Ich glaube nicht, dass er etwas gemacht hat, aber ich entscheide das nicht", sagte der 25-Jährige. Er könne nur sagen, dass er auf Contadors Unschuld hoffe und ihm glaube. Einen nachträglichen Toursieg will er nicht annehmen: "Ich bin nicht im Gelben Trikot nach Paris gefahren. Ich bin immer noch Zweiter." Contadors künftiger Teamchef Bjarne Riis geht davon aus, dass der Spanier nicht bestraft wird. "Ich glaube, dass Contador entlastet wird", sagte der Däne, der 1996 gedopt zum Toursieg geradelt war, der Zeitung "Politiken". Er sei überzeugt, dass der Spanier ein sauberer Fahrer ist. Andere Leute wie Dopingbekämpfer Werner Franke sind überzeugt, dass auch Contador ein Fuentes-Kunde war.
In Spanien schlug dem Kletterspezialisten seit Bekanntwerden der positiven Proben auch außerhalb des Radsport-Verbandes eine Welle der Sympathie entgegen. Die Chancen für einen Freispruch stehen laut "Marca" aber sehr schlecht. Bisher seien praktisch alle Sportler, die ähnlich wie Contador positiv auf Clenbuterol getestet wurden, gesperrt worden sind. Der Freispruch des deutschen Tischtennisspielers Dimitrij Ovtcharov, auf den sich die Verteidigung des Spaniers laut "El Pais" stützt, sei anders gelagert. Denn Ovtcharov hatte mit einer Haarprobe glaubhaft machen können, das Clenbuterol durch verseuchtes Fleisch in China zu sich genommen zu haben.
Von Contador gibt es bislang keine Haarprobe, nur Beteuerungen. Das Fazit von "Marca" fällt deshalb pessimistisch aus: "Contador steht mit dem Rücken zur Wand." Aber, und das mussten Dopingbekämpfer schon viel zu oft erfahren: Auch dort könnte ihm noch eine rettende Tür geöffnet werden.
Quelle: ntv.de, Christoph Wolf, mit dpa und sid