Letzte Chance für Verstappen? Red Bull versucht verzweifelt, das bockige "Monster" zu bändigen
17.10.2024, 20:26 Uhr
Es werden die Wochen der Wahrheit für Max Verstappen und Red Bull.
(Foto: Vincent Thian/AP/dpa)
Red Bull will beim Großen Preis der USA im WM-Kampf gegen McLaren zurückschlagen. Ein Upgrade soll den kriselnden Bullen-Boliden ausbalancieren und Max Verstappen wieder flott machen. Formel-1-Experte Christian Danner ist skeptisch, dass die Wende gelingt.
Austin ist nicht Houston – und doch hat Red Bull vor dem Formel-1-Wochenende in Texas ein Problem. Ein gewaltiges, weil grundlegendes. Der RB20, mit dem Weltmeister Max Verstappen zu Jahresbeginn noch alles in Grund und Boden fuhr, will nicht mehr. Nicht mehr so wie Verstappen. Schon gar nicht wie dessen dauergeplagter Garagen-Nachbar Sergio Perez. Und auch nicht so, wie es die Ingenieure des Teams gerne hätten.
Red Bull hat seine Balance verloren. Das gilt für den Rennstall an sich, dessen Struktur Teamchef Christian Horner infolge seiner unappetitlichen Affäre Anfang des Jahres und dem Abgang zahlreicher Top-Mitarbeiter erst wieder ins Lot bringen muss. Das gilt aber noch viel mehr für den Rennwagen. Aus einem wie auf Schienen fahrenden Formel-1-Auto ist ein störrischer Bock geworden, ein "Monster", wie Verstappen sein Dienstfahrzeug am Tiefpunkt in Monza Ende August nannte, als er im Königlichen Park wie ein machtloser Kaiser hinterherfuhr.
Die Balance stimmt nicht. Vorder- und Hinterachse des Red Bulls sind nicht stimmig. Kleine Änderungen am Setup werfen das Gesamtkonstrukt über den Haufen. Von Strecke zu Strecke sind die Symptome andere, der Wagen ist bisweilen unberechenbar. Zwischen Front und Heck hat sich ein Graben voller Rätsel aufgetan, den die Red-Bull-Hirne fieberhaft zuzuschütten versuchen. In Texas soll ein Upgrade das Auto, wenn man so will, wieder "downgraden", zurück in die Form bringen, die man in Milton Keynes gewohnt war.
Die letzte Chance?
Das Rennen in den USA ist für Red Bull die wohl letzte Chance, im WM-Kampf gegen McLaren eine Wende einzuläuten: Die letzte Gelegenheit, neue Teile ans Auto zu schrauben und mit Blick auf die restlichen Rennen auch zu verstehen. Der Ritt in Texas bildet den Auftakt zu einem Triple-Header mit den Grands Prix in Mexiko und Brasilien, danach folgt in der zweiten November-Hälfte gleich der nächste Dreierpack mit dem Finale in Abu Dhabi Anfang Dezember. Es ist eine gnadenlose Hatz, die keine Zeit lässt für umfangreiche Umbaumaßnahmen.
"Ich bin sehr skeptisch, ob das Upgrade von Red Bull für Austin, die Veränderungen am Auto, etwas bringen", sagt Formel-1-Experte Christian Danner im Gespräch mit sport.de/ntv.de. "Man darf nicht vergessen: In Austin hat man nur eine Stunde Zeit, um das Auto im Training abzustimmen und dann steht schon die Qualifikation für den Sprint an", verweist der RTL-Kommentator auf die spezielle Chronologie des Rennwochenendes.
Red Bull müsse "eigentlich splitten", die Fahrer zum Auftakttraining einmal mit und einmal ohne die im Windkanal getesteten Neuerungen auf die Strecke schicken. "Aber ob man das in zwei Stunden zwischen Training und Sprint-Quali umbauen kann…", setzt Danner ein Fragezeichen. "Wenn das Feedback des Fahrers nicht zu den Daten passt, hat der Fahrer natürlich Recht, denn er fährt das Auto schließlich. Das alles in einer Stunde zu verstehen, da muss man schon sehr genau hinschauen."
"Dann ist Verstappens Vorsprung schnell geschmolzen"
Seine Skepsis begründet der frühere Formel-1-Pilot aber vor allem mit den schlechten Erfahrungen der anderen Teams im Saisonverlauf. "Alle Upgrades – bei Ferrari, bei Mercedes – haben nie funktioniert." Einzig McLaren sei Anfang Mai in Miami eine erfolgreiche Frischzellenkur für seinen Boliden gelungen. "Aber die haben seither auch nichts mehr gebracht", gibt Danner zu bedenken.
McLaren ist 2024 offenbar das einzige Team, das sein Auto wirklich verstanden und die richtigen Schlüsse aus seinem Konzept gezogen hat. In der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft liegt der Traditionsrennstall (der die Hersteller-Wertung zuletzt 1998 gewann) schon seit einigen Rennen vor Red Bull. Dass sich daran noch etwas ändert, glauben die wenigsten, auch Danner nicht. "Zumal McLaren mit Norris und Oscar Piastri zwei Top-Fahrer hat und Red Bull nur einen."
Dieser eine hat in der Fahrer-WM mit 52 Punkten Vorsprung auf Norris zwar noch immer ein dickes Polster. Gegessen ist der Titelbraten aber noch lange nicht. "Verstappen hat eine realistische Chance, das Ding ins Ziel zu retten. Ich sage aber nicht, eine wahnsinnig große Chance", betont Danner. Angesichts der allgemeinen Großwetterlage in der Formel 1 könne der Holländer bei den kommenden Rennen "auch mal schnell hinter den Ferrari und Mercedes landen. Dann ist er Fünfter oder Sechster und sein Vorsprung schnell geschmolzen, wenn Norris weiter gewinnt."
Wackeliger Norris wird immer besser
Den Briten hält Danner durchaus für titelreif. "Das Zeug zum Weltmeister hat er schon, es wird aber jedes Wochenende auf die Probe gestellt", ordnet der 66-Jährige den Zweikampf ein. Norris sei "vom Naturell her wackeliger als Verstappen. Aber das heißt nicht, dass er nicht dazulernen kann. Bis jetzt hat er sich kontinuierlich verbessert, auch auf diesem Gebiet", spielt Danner auf die Psyche des Herausforderers an.
Norris hatte jüngst unverblümt eingeräumt, an Renntagen mit extremem Stress zu kämpfen. "Ich esse nichts an den Sonntagen und habe Probleme, etwas zu trinken, einfach, weil ich nervös bin, wegen des Drucks", gestand der 24-Jährige. Worte, die Red-Bull-Eminenz Helmut Marko in einem Interview mit "Motorsport-Magazin.com" genüsslich aufgriff, um die Unerschütterlichkeit seines Protegés herauszustellen. Verstappen werde seinen vierten Titel in Serie einfahren, weil er "der Beste, der Schnellste und von der mentalen Stärke der Sicherste ist", so der 81-jährige Österreicher.
Danner hebt bei Verstappen noch eine andere Qualität hervor. Der Serien-Champion sei längst auch ein "brillanter" Verwalter. Bei dem Red-Bull-Star habe man regelrecht "einen Übergang" vom Attacke- zum Kontrollmodus beobachten können, so der RTL-Experte. "Er hat irgendwann gemerkt, dass das mit dem Vorneweg fahren und gewinnen nicht mehr klappt und er stattdessen jetzt die Punkte einfahren muss. Das macht er und das zeichnet ihn aus. Er ist ein Ausnahmefahrer." Man könnte auch sagen: Ein Fahrer in Balance.
Quelle: ntv.de