Flaute, Frust und Hoffnung Ach du meine Güte, der Müller!

Weiterhin ohne Tor bei der Fußball-EM: DFB-Stürmer Thomas Müller.

Weiterhin ohne Tor bei der Fußball-EM: DFB-Stürmer Thomas Müller.

(Foto: picture alliance / dpa)

Mit seiner Fähigkeit, in Räume zu hopsen, die es eigentlich gar nicht gibt und dort den Ball über die Linie zu bugsieren, ist Thomas Müller die schärfste Waffe im DFB-Team. Im Moment aber ist sie stumpf – was auch am System liegt.

Ein User bei Twitter ist besorgt. Denn er hat da gegen Polen etwas Unheimliches beobachtet: Im Nationalmannschaftstrikot von Thomas Müller steckt nämlich gar nicht Thomas Müller. Nur einer, der aussieht wie Thomas Müller. Ein Fall für die Abteilung "übersinnliche Phänomene" also. Bitte um Aufklärung, verbunden mit dem Wunsch, den echten Thomas Müller wieder aufzuspüren und ihn nach Frankreich zu bringen. Zur deutschen Nationalmannschaft, die sich nämlich derzeit ein bisschen sehr mühsam durch die Europameisterschaft quält. Ohne Tempo, ohne Räume, ohne einen, der diese deutet, in sie hineinläuft und dann den Ball mit irgendeinem Körperteil ins Tor müllert.

Während die supranaturalistischen Suchmannschaften mit klarem Auftrag ausgeschwärmt sind, bleibt die Frage: Wer ist denn eigentlich dieser Mann, der das deutsche Trikot mit der Nummer 13 trägt? Nun, Gott sei Dank, es ist tatsächlich doch Thomas Müller (die supranaturalistischen Suchmannschaften können also zurückbeordert werden), nur eben nicht der, der in der Vergangenheit (und die ist nun wahrlich nicht lange her) sowohl für die Bayern als auch bei der Nationalmannschaft beständig geliefert hat. Mit den am besten nachzuprüfenden Beweisen, die ein Fußballer der Gestaltungseinheit Offensive liefern kann: mit Toren. Von der Fähigkeit, diese zu erzielen, ist der Weltmeister derzeit aber augenscheinlich befreit.

Zwei EM-Spiele ohne Treffer sind zwar noch keine erschütternd schlechte Bilanz. Vielmehr ist beängstigend, dass Müller nicht einmal ansatzweise die Gelegenheit hatte, ein Tor zu erzielen. Zumindest treibt diejenigen jetzt tüchtig die Angst um, die bereits ausreichend Kohle und Würstchen eingekauft haben, um bis zum Finale durchzugrillen – Seite an Seite mit der deutschen Nationalmannschaft, bis zum EM-Titel. Denn eigentlich, so der feste Glaube, war es doch immer so: Wenn nichts läuft, was für die DFB-Offensive derzeit durchaus zutreffend ist, dann läuft wenigstens Müller – und trifft. Irgendwann, irgendwie. Und weil Spiele am Ende durch Tore entschieden werden, ist ein Müller im Kader immer eine gute Idee – gewesen? Ach du meine Güte!

Patziger Müller

Heftige Kritik prasselt dieser Tage auf das Tun der deutschen Spezialeinheit "kreative und offensive Angelegenheit" ein. Während Mesut Özil und Mario Götze das bereits kennen und Julian Draxler ein bisschen außen vor ist, weil von ihm kaum einer Außergewöhnliches einfordert, bewegt sich Müller auf ungewohntem Terrain. Beziehungsweise wird auf ungewohntes Terrain gestoßen. Und die Bewegungssicherheit auf dem kritischen Geläuf fällt ihm sichtlich schwer. So richtig umgehen kann er mit der Kritik nicht.

Ein wenig patzig raunzte er jetzt im DFB-Basecamp in Évian, dass es im Prinzip schon okay sei, an ihm herumzunörgeln, wenn als Maßstab für eine gute Leistung ein erzieltes Tor bereits ausreiche. Da würde er sich schon manchmal wundern, wie positiv berichtet werde, wenn er bloß treffe, sonst aber nichts reiße. Das sei für ihn aber bloß ein ganz feiner Beleg dafür, dass ein Spiel, eine Leistung in den Medien nicht "gesamtheitlich" betrachtet werde. Er wünsche sich da doch "ein bisschen mehr Objektivität". Bei aller Professionalität, die man als Spieler dennoch haben müsse.

Die gesamtheitliche Betrachtung, ja, darauf ziehen sie sich dieser Tag beim DFB gerne zurück. Er sei, so erklärte Bundestrainer Joachim Löw in einer 42-minütigen Unterredung mit Journalisten am Samstag, mit Müller und Götze sehr zufrieden. Sie würden viel für die Mannschaft arbeiten, viel laufen. Zahlen belegen das. Müller ist mit bislang 22 gelaufenen Kilometern nicht nur der fleißigste Offensivmann, sondern gewann auch 58 Prozent seiner 48 Zweikämpfe. Starke Werte, ohne Frage. Alles andere – also Tore – würde schon noch kommen, beruhigt Löw die kritische Masse. Dafür werde man jetzt Lösungen erarbeiten. Noch so ein Satz, der derzeit im Umfeld der Nationalmannschaft inflationär häufig ausgesprochen wird. Ein verbaler Abnutzungskampf – bislang ohne positives Ergebnis.

Problem Außenverteidiger

Dabei ist Müller, der an der Situation "zu knabbern" hat, wie er sagt, gleichermaßen Problem und Lösung des deutschen Offensivspiels. Denn von seiner herausragenden und weltweit nahezu einzigartigen Fähigkeit, Räume zu deuten und sie sich zunutze zu machen, kann die Mannschaft nur profitieren, wenn sie Müller diese Räume schafft. Er selbst kann das nicht. Er ist kein kreativer Spielgestalter. Er ist das nicht bei den Bayern und er war das auch früher in der Nationalelf nicht. Er hatte (hat) stets seine Adjudanten.

Räume schaffen also. Darum geht's. Das ist der Schlüssel. Aber wie macht man das? Nun, über Tempo, über schnelle Kombinationen. Funktioniert immer dann, wenn der Gegner tüchtig beschäftigt wird – von Özil, von Draxler und ja, künftig gerne auch von mutigen und aufrückenden Außenverteidigern. Die aber hat Deutschland derzeit nicht oder zumindest spielen sie nicht. Benedikt Höwedes und Jonas Hector bieten seriöses, zuverlässiges Defensivhandwerk. Die Zone jenseits der Mittellinie ist dagegen nicht der Teil des Platzes, in dem sie Heimatgefühle entwickeln.

Für Müller und die anderen offensiven Männer ist das ein Problem. Sie schaffen es so kaum, in Überzahlsituationen zu kommen – um Räume zu schaffen. Vor allem gegen Mannschaften, die 90 Minuten darauf bedacht sind, den eigenen Strafraum mit der ganzen Bande aufopferungsvoll zu verteidigen. So wie nun auch zum Gruppenabschluss gegen Nordirland am Dienstag (ab 18 Uhr im n-tv.de Liveticker).

Einmal heißt es jetzt also noch "Augen zu und irgendwie durch". Dann wird es ja besser. Zumindest hoffen sie das bei der Nationalmannschaft. Denn dann ist schließlich K.-o.-Runde. Da braucht es zwingend einen Sieger und Mannschaften, die auch mal ein Tor erzielen wollen, sich nicht zu einem 0:0 durchverteidigen. Mannschaften, die den Platz folglich in all seiner Ausdehnung nutzen müssen. Das schafft Räume – gut für Thomas Müller. Den echten.

Quelle: ntv.de

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