Pickford, der unbesungene Held Ein Torwart! England hat einen Torwart!
03.07.2021, 12:24 Uhr
Jordan Pickford spielt ein überragendes Turnier.
(Foto: imago images/Shutterstock)
Wer an Torhüter und England denkt, dem fallen vermutlich zuerst spektakuläre Patzer ein. Aber das war einmal, denn mittlerweile haben die "three lions" einen extrem starken und zuverlässigen Schlussmann. Allerdings ist er im Verein nicht so souverän wie im Nationalteam.
Einen richtigen Spitznamen hat Jordan Pickford auf der Insel noch nicht - und das ist ein durchaus gutes Zeichen! Denn die Engländer haben so eine Angewohnheit, ihre Nationaltorhüter nach dicken Patzern für die Ewigkeit zu brandmarken. David James ("Calamity-James" - Unglücks-James) und Paul Robinson ("Misses Robinson") können ein Lied davon singen. Doch Pickford wird bisher einfach nur "Jordy" genannt. Was viel zu ordinär sei angesichts der Glanztaten des 27-Jährigen bei dieser Fußball-Europameisterschaft, dachte sich das "Forbes"-Magazin und verfasste einen schwärmerischen Artikel über den "Unsung Hero", den unbesungenen Helden.
Tatsächlich ist der wohl wichtigste Grund, warum das Fußball-Mutterland vor dem Viertelfinale am Samstag (21 Uhr in der ARD und im Liveticker bei ntv.de) in Rom gegen die Ukraine vom ersten Titel seit 1966 träumen darf, dieser blasse Mann aus dem äußersten Nordosten Englands. Ein Torwart! Wie sich die Zeiten doch ändern. "Ich denke, Pickford ist bis jetzt Englands Spieler des Turniers", sagte der frühere Nationalspieler Gary Neville: "Ich habe ihn in Everton kritisiert, aber im englischen Team ist er ein anderer Spieler."
Lautstarker Dirigent
In seinen vier EM-Partien hielt der Profi des FC Everton seinen Kasten sauber, im Achtelfinale gegen Deutschland glänzte er mit Superparaden gegen Timo Werner und Kai Havertz. Nicht nur das: Pickford scheut sich auch nicht, seine Vorderleute mit deutlichen Ansagen einzunorden. Dieses Selbstvertrauen kommt nicht von ungefähr. In keinem seiner bisher elf Turnierspiele hat Pickford eine Partie durch einen eigenen Fehler verloren. Außerdem steht Coach Gareth Southgate fest hinter ihm, auch wenn seine Leistungen im Klub nicht immer tadellos waren.
Beide kennen sich von gemeinsamen Zeiten bei der U21, und Southgate war es, der Pickford bei der WM 2018 ins kalte Wasser warf und dafür reichlich Gegenwind kassierte. Schon damals zahlte der Torhüter das Vertrauen zurück, als er Englands Elfmeter-Trauma im Achtelfinale gegen Kolumbien beendete und anschließend auch noch gegen Schweden der Sieggarant war. Pickfords größte Stärke sind seine Reflexe. Dazu kann er mit seinem linken Fuß ein Spiel von hinten aufbauen, "es ist, als würde man einem richtig guten Mittelfeldspieler zusehen", sagte sein ehemaliger Coach David Moyes einmal.
Zu klein für einen Keeper?
Pickfords großes Talent wurde beim Heimatklub AFC Sunderland zwar früh erkannt, aber bis zu seinem Profidebüt dort musste er eine Odyssee durch Englands Amateurklassen absolvieren. Pickford biss sich durch - und wurde 2017 als teuerster englischer Torhüter (34 Millionen Euro) nach Everton transferiert. Im November des gleichen Jahres folgte sein Debüt bei den Three Lions. Seitdem scheint sich das englische Torhüter-Problem, das auch David Seaman, Robert Green und Joe Hart noch verschärften, in Luft aufgelöst zu haben.
Zwar monieren noch immer einige Kritiker, Pickford sei mit einer Größe von 1,85 Meter zu klein für einen Keeper. Aber denjenigen sei ein Vergleich ans Herz gelegt: Peter Shilton, Englands bislang letzter wirklich überragender Schlussmann, war sogar zwei Zentimeter kleiner...
Quelle: ntv.de, tno/sid