Meckern, Wut-Abgang, Verzwergung Heißer Abend auf Schalke raubt Ronaldo den letzten Nerv
27.06.2024, 06:13 UhrIm letzten Gruppenspiel der Portugiesen soll die Bühne ganz Cristiano Ronaldo gehören. Rekorde sind in Reichweite. Aus diesem Plan wird nichts. Stattdessen fällt er durch Dauermeckern und einen Frust-Abgang auf. CR7 wird zur Karikatur seiner selbst.
Cristiano Ronaldo hat wirklich genug. Er hastet nach dem Pfiff zur Halbzeit als Erster in Richtung Spielertunnel. Dabei knallt er dem Schiedsrichter-Assistenten und dem Vierten Offiziellen noch lautstark seine Meinung vor den Latz. Sie ist nicht sehr positiv. Er gestikuliert wild. Es ist nicht zu hören, was er sagt, aber trotzdem glasklar: Ich, Ronaldo, bin am Trikot gezogen worden. Und ihr habt es nicht gesehen. Wütender Blick. Abgang 1. Akt Ronaldo.
Der portugiesische Superstar, der inzwischen in Saudi-Arabien sein Geld verdient, echauffierte sich immer noch über eine Szene in der 28. Minute. Nach einem leichten Zupfer fiel er zu Boden, blickte zum Schiedsrichter, forderte Elfmeter. Der Schweizer Unparteiische Sandro Schärer und sein Team sahen das gänzlich anders, ließen weiterspielen. Schon hier deutete Ronaldo gestenreich an, er sei gehalten worden, rüttelte wild an seinem Shirt. Seine Forderung aber wurde nicht erhört.
Tore: 1:0 Kwarazchelia (2.), 2:0 Mikautadse (57., Foulelfmeter nach Videobeweis)
Georgien: Mamardaschwili - Kakabadse, Gwelessiani (76. Kwirkwelia), Kaschia, Lotschoschwili (63. Zitaischwili), Dwali - Tschakwetadse (81. Dawitaschwili), Kotschoraschwili, Kiteischwili - Mikautadse, Kwarazchelia (81. Mekwabischwili). - Trainer: Sagnol
Portugal: Costa - Antonio Silva (66. Semedo), Danilo Perreira, Inácio - Dalot, Joao Neves (75. Nunes), Conceicao, Palhinha (46. Rubén Neves), Neto (75. Diogo Jota) - Ronaldo (66. Ramos), João Félix. - Trainer: Martinez
Schiedsrichter: Sandro Schärer (Schweiz)
Gelbe Karten: Mekwabischwili (2) - Ronaldo, Neto, Neves
Zuschauer: 50.000 (ausverkauft) in Gelsenkirchen
Und so hörte er einfach nicht mehr auf zu meckern. Da wurde es Schärer zu viel, er schnappte sich den Weltstar und zeigte ihm die Gelbe Karte. Ronaldo schmollte und stänkerte gegen die georgische Bank, trottete zurück Richtung Mittelkreis. Es war, so muss man es sagen, einer der spektakuläreren Aktionen Ronaldos in den ersten 45 Minuten dieser Partie gegen Georgien. Zwar ging es für die Portugiesen um nicht wirklich etwas – der erste Platz stand schon vor dem Gruppenfinale fest. Trotzdem merkte man Ronaldo in jeder Sekunde des Spiels an, dass er hier heute auf Schalke was reißen wollte. Es ging auch um nicht weniger als EM-Rekorde. Zum einen "nur" einen Altersrekord – aber auch das motivierte den 210-maligen Nationalspieler. Vor wenigen Tagen hatte Ex-Kollege Luka Modrić diesen Thron bestiegen. Jetzt wollte Ronaldo darauf. Und dem Offensivkünstler bietet sich noch die Möglichkeit, als einziger Spieler bei sechs EM-Endrunden zu treffen.
Portugals Elf wird mächtig durchrotiert
Der 39-Jährige führte eine Selecao aufs Feld, die gleich auf acht Positionen in der Startelf ausgetauscht wurde. Mit dem ersten Ballkontakt Ronaldos in Gelsenkirchen ging ein Raunen durchs Publikum. Das vorerst letzte Mal an diesem Abend. Als Leader dirigierte Ronaldo seine Landsleute. Forderte unentwegt den Ball, beide Hände streckte er dann im Minutentakt flach nach vorne. HIER HIN - jetzt. Das war die Botschaft. Nicht immer folgten seine Mitspieler dieser eindeutigen Geste.
Noch unglücklicher war da nur die Tatsache, dass die georgischen EM-Debütanten die Ronaldo-Party crashten. Schon in der 2. Minute fuhren die Dschwarosnebi einen erfolgreichen Konter. Georges Mikautadze schickte Khvicha Kvaratskhelia auf der linken Seite steil. Der Stürmer der SSC Neapel schob frei vor Diogo Costa ein und ließ nicht nur die Kollegen auf der Medientribüne so richtig eskalieren.
Fortan konzentrierte sich die Elf von Ex-Bayern-Star Willy Sagnol aufs Verteidigen und spärliche Konter. Währenddessen versuchte Ronaldo sein Team weiter anzuleiten. Er selbst scheiterte mit einem Schuss an einem georgischen Verteidigerbein, eine seiner ikonischen Freistöße landete mitten auf dem Torwart. Einmal dann stand er wie früher hoch in der Luft, verpasste aber deutlich das Timing, sodass der Ball über ihn hinweg segelte.
In der Arena fühlt(e) er sich wohl
Dabei kennt sich Ronaldo gut aus mit dem Toreschießen auf Schalke. 2014 und 2015 schoss er in zwei Duellen gegen den damaligen Champions-League-Teilnehmer FC Schalke 04 gleich drei Tore in der Arena. Mit einem missglückten Tweet erinnerte der Zweitligaklub am Mittwoch an diese Tatsache, löschte den Beitrag später wieder, weil die S04-Fans das weniger lustig fanden.
Kurz vor einem Platzverweis stand Ronaldo dann in der 45. Minute. Nach einer Schwalbe kassiert Pedro Neto die Gelbe Karte. Auch das sah Ronaldo anders als Schärer, diskutierte, drehte ab, winkte ab. Eigentlich müsste er sich jetzt benehmen. Und dann kam es noch dicker. Der Video Assistant Referee meldete sich nach einem Einsatz von Antonio Silva gegen Luka Lochoshvili – der Unparteiische stiefelte selbst zum Monitor und entschied sich wie fast immer bei dieser EM deutlicher schneller, als man das aus der Bundesliga kennt. Elfmeter für Georgien. Mikautadze, der Vorbereiter des Führungstreffers, behielt die Nerven und verwandelte sicher, ist jetzt Erster in der Torjägerliste.
Ronaldo beobachtete das Jubeln erst konsterniert, dann lief er angesäuert mit Ball zur Mittellinie, drehte wie wild seine rechte Faust und redete auf die restlichen Mitglieder der Selecao ein. Auch danach fällt auf: Mitunter wirkt er wie ein Fremdkörper in dieser Mannschaft. Ein Puzzleteil, das nicht mehr rechts ins Gesamtgefüge passt. Ronaldo fordert und fordert und teilweise spielen Joao Neves, Joao Palhinha und Francisco Conceicao einfach an ihm vorbei. Nicht immer, aber schon auffällig oft.
Ronaldo findet in Schärer seinen Meister
Kurz danach lag der Altstar wieder im Sechzehner und warf beide Arme nach oben. Wieder kein Elfmeter. Ronaldo und Schärer – sie waren nicht auf einer Wellenlänge, werden an diesem Abend keine Freunde. Und wie er da sitzt, hier zwischen A2 und A42, wirkte der Mann, der mehrere Dekaden im Weltfußball geprägt hat, seltsam klein und verloren. So, wie schon lange nicht mehr. Die Verzwergung des Ronaldo auf Schalke.
Dann folgte das jähe Ende der Ronaldo-Show. In der 66. Minute holte Coach Roberto Martinez den Superstar vom Feld. Unter großem Applaus. Ein Blick zu Tafel, dann sprintet er los, kurzer Handshake mit Kvaratskhelia, mit dem Joker Diogo Jota und dem Trainer. Also alles gut? Nein. Ronaldo kickte wütend eine Wasserflasche durch die Coaching Zone. Abgang Ronaldo II. Akt. Übrig bleibt ein übermotivierter Auftritt. Ronaldo wartet weiter auf den EM-Rekord und seinen ersten Treffer bei dieser Euro. Insgesamt steht er bei 14 Treffern in 28 Partien.
Diesen Abend wird er nicht in guter Erinnerung behalten. Die Aufforderung auf dem Videowürfel an die Zuschauer, sich beim Verlassen des Stadions Zeit zu nehmen (weil es beim Warten auf die Bahnen voll werden könnte), missachteten auffallend viele Fans. Schon in der 80. Minuten kamen einem in den Ausgängen viele Zuschauer mit Ronaldo-Trikot entgegen. Auf dem Weg nach Hause. Da saß Ronaldo noch zerknirscht auf der Bank. Kurz darauf trat er eine weitere Flasche, bevor er in den Katakomben entschwand
Über die Ansprüche und das weitere Abschneiden des Teams sagt die Niederlage allerdings eher weniger aus. Portugal geht als Gruppensieger ins Achtelfinale, trifft dort am Montag auf Slowenien. Eine machbare Aufgabe. Und: Die Selecao hat drei Punkte mehr als 2016 nach der Gruppenphase auf dem Konto. Damals wurden sie dann noch Europameister.
Quelle: ntv.de