Bizarrer Auftritt in Dortmund Kann dieses zahnlose Frankreich wirklich Europameister werden?

Der verletzte Topspieler Kylian Mbappé ist zurück, trifft - und trotzdem bleibt Frankreich bei dieser Fußball-EM ein riesiges Rätsel. Gegen die Polen um Robert Lewandowski und den überragenden Torhüter Lukasz Skorupski fällt L'Équipe Tricolore erstaunlich wenig ein.

Schwarze Maske und knapp 30 Grad - das passt nicht gut zusammen. Also riss Kylian Mbappé sofort nach seinem verwandelten Elfmeter in der 56. Minute den Nasen- und Gesichtsschutz herunter und jubelte mit den französischen Fans, die in der Südtribüne des Dortmunder Westfalenstadions Platz gefunden hatten.

Endlich strahlte der Mann, der zu diesem Maskenball mit den bereits ausgeschiedenen Polen geladen hatte. Relativ überraschend brachte Coach Didier Deschamps den Stürmer-Star von Beginn an. Wieder Spielpraxis sammeln, an die Maske im Stresstest gewöhnen, lautete das Motto. Gegen Österreich (0:0) hatte sich der Sommer-Zugang von Real Madrid zum Auftakt das Nasenbein gebrochen. Sein Einsatz im Gruppenfinale galt lange Zeit als offen. Dann überraschte der Trainer mit der Entscheidung, den wichtigsten Spieler seiner Mannschaft in die Startformation zu werfen.

Wirkliche Impulse setzte der 25-Jährige zunächst nicht. Die polnische Auswahl hatte sich mit einer verdichteten Fünferkette zurückgezogen, igelte sich in der eigenen Hälfte ein und bot dem Weltmeister von 2018 nur sehr wenig Platz. Dafür, dass die Équipe Tricolore mit Offensivkünstlern wie Ousmane Dembélé, Mbappé und Bradley Barcola gesegnet ist, fiel ihr erstaunlich wenig ein. Der Ex-Dortmunder Dembélé zeigte in seinem alten Wohnzimmer viel Einsatz auf der rechten Seite, überwand mit seiner Geschwindigkeit und Dribbelstärke oft die erste Kette, wirklich zwingend waren die Hereingaben aber nicht.

Mbappé von Maske gestört

Und Mbappé? Der Superstar stand meist in vorderster Linie, ließ sich ab und an zurückfallen und wartetet dann vor dem Sechzehner auf seinen Einsatz. Immer wieder blitzten seine unglaublichen Fähigkeiten auf, ein Haken hier, eine Ballmitnahme da. Probleme schien ihm seine Nasenverletzung nicht wirklich zu machen. Trotzdem fummelte und hantierte er immer wieder an dem Carbon-Schutz herum. Wenn genug Zeit da war, zog er sie in der Ruhrpott-Hitze sogar ganz ab.

Mbappé, der seine Mannschaft als Kapitän aufs Feld führte, war gleich wieder der größte Aktivposten. Gegen Ende der Halbzeit testete er mehrmals den starken polnischen Keeper Lukasz Skorupski, es mangelte in den Abschlüssen aber noch an der Präzision, die man von ihm eigentlich kennt und erwartet. Aktiv war er aber vor allem eben auch an der Maske und im Zwiegespräch mit seinem Trainer Deschamps, Mitspielern und auch dem Schiedsrichter. In der ersten Trinkpause suchte er das Gespräch mit Dembélé und Antoine Griezmann, der das Spiel zunächst von der Bank anschaute. Lösungen ergaben diese Dialoge offenkundig nicht.

Duell Mbappé gegen Skorupski

Stattdessen spielten die Polen nun durchaus munter mit und suchten mehr und mehr ihren Weg in die Offensive. In der zweiten Halbzeit schien es, als hätte der Maskenmann einen Weg durch den polnischen Beton gefunden. Aber Skorupski erwies sich weiter als Kryptonit gegen den Super-Angreifer. Die Partie entwickelte sich nun fast zu einem Duell zwischen Mbappé und dem Keeper, der sich aber mit einer Parade nach der anderen auszeichnete. Ob in der Luft oder im Eins-gegen-Eins - der Stammkeeper des italienischen Überraschungsteams FC Bologna war stets Endstation. Immer wieder zog er Mbappé den Zahn und sahnte zu Recht die Auszeichnung als Spieler des Spiels ab.

Nur eben beim Elfmeter von Mbappé in der 56. Minute blieb er chancenlos. Nachdem der polnische Verteidiger Jakub Kiwior Dembélé im Sechzehner gelegt hatte, verlud der Angreifer den Torwart und schob lässig ein. Maske ab. Jubel an.

Die Erlösung? Überhaupt nicht. Rien. Denn der französische Knoten im EM-Spiel platzte einfach nicht. Was die Equipe anbot, war biedere Kost und in weiten Teilen einfallslos. Weit weg von einer Fußball-Finesse. Eher Laissez-faire. Daran änderten auch die Einwechslungen von Eduardo Camavinga, Griezmann und Olivier Giroud nicht viel.

Mehr im Sitzen denn Stehen und Dirigieren beobachte Deschamps die Partie. Die Kritik an seiner Spielweise wird nicht leiser werden nach diesem Auftritt. Frustriert sei er nicht, sagte er nach dem Spiel. "Natürlich wollten wir Erster werden, aber dazu mussten wir gewinnen." Die Chancen, die man erarbeitet habe, seien eben von Skorupski vereitelt worden. So einfach ist das manchmal.

Mbappé schimpft, weil Lewandowski das Spiel fast dreht

Nicht ganz so einfach war der Abend für Lewandowski. Der Ex-Dortmunder erlebte in der Schlussphase kuriose Minuten und erzielte per Umweg den Ausgleich. Karol Swiderski war schon einige Minuten zuvor in einem Zweikampf mit Dayot Upamecano im Strafraum zu Boden gegangen, Schiedsrichter Marco Guida hatte aber weiterlaufen lassen, Mbappé verbuchte sogar einen weiteren Torabschluss auf der anderen Seite des Spielfelds. Doch dann folgte der VAR-Check - und Guida zeigte verspätet auf den Punkt (76.). Robert Lewandowski hoppelte wie aus der Bundesliga noch in bester Erinnerung mit Verzögerung in den Elfer-Anlauf, Torwart Maik Maignan wehrte locker ab. Doch der VAR sprang nochmal bei. Ergebnis des Checks: Der Torhüter hatte sich zu früh von der Linie nach vorne bewegt. Im nächsten Anlauf machte der Barça-Stürmer es besser, weil präziser und egalisierte den Mbappé-Treffer.

Plötzlich drückte das Stadion, die polnischen Fans machten mächtig Lärm und Alarm. Beinahe schoss Lewandowski die Franzosen vollends k.o. - was aber auch zu viel des Guten gewesen wäre. Und so schimpfte Mbappé in den letzten Minuten viel vor sich hin, wohl selbst enttäuscht von der Leistung des Teams. Die Laune wurde selbstredend nicht besser, als ihn Lewandowski auch noch unabsichtlich an der Maske traf.

"Jetzt geht der Wettkampf neu los"

Weil Österreich im Parallelspiel gegen die Niederlande mit 3:2 gewann, belegt Frankreich Rang zwei der Gruppe D. Das erklärte erste Ziel Gruppensieg ist also verfehlt. Das Team wirkte auch mit dem zurückgekehrten Mbappé wie ein gedrosselter Highend-Ferrari, der nicht ausgefahren wird. Ein unterwältigender Auftritt von einem der Titelfavoriten vor dieser EM. Dieses Label sind sie nun wohl los. Nur die ebenfalls lustlosen Engländer enttäuschen auf ähnliche Weise wie Frankreich.

Und es bleibt dabei: Frankreich kann das dritte Gruppenspiel bei einem Turnier nicht gewinnen. Seit 2008 gab es für "Les Bleus" keinen Sieg mehr im finalen Vorrunden-Auftritt. Bei der letzten EM im Jahr 2021 folgte danach das peinliche Aus gegen die Schweiz. Nun ruckelt der Frankreich-Ferrari ins Achtelfinale gegen den zweiten der Gruppe E (Rumänien, Belgien, Slowakei und Ukraine haben jeweils drei Punkte) und steht in der vermeintlich stärken Hälfte des Turnierbaums mit Spanien, Portugal und Deutschland. "Wir müssen den zweiten Platz akzeptieren", betonte Deschamps und machte damit einen Haken ans Abschneiden in der Gruppe. "Jetzt geht der Wettkampf neu los."

Die Laune beim Comebacker war indes getrübt. Glücklich sah Mbappé beim Verlassen des Feldes nicht aus. Nach kurzem Durchschnaufen lief er noch mit der Maske im Gesicht schnurstracks auf die polnischen Gegenspieler zu, zollte Keeper Skorupski mit Shakehands Respekt. Das Privatduell endete ohne Sieger. Die beiden Akteure des Spiels verabredeten sich aber noch zum Trikottausch.

Quelle: ntv.de

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