Frischer Espresso statt kalter Kaffee Löw heroisiert, therapiert - triumphiert?

So sieht er aus, der deutsche Fußball-Angstgegner Nr. 1.

So sieht er aus, der deutsche Fußball-Angstgegner Nr. 1.

(Foto: imago sportfotodienst)

Nun also wieder Italien. Im Viertelfinale der Fußball-EM trifft die deutsche Nationalelf auf die "Squadra Azzurra". Der deutsche Angstgegner ist der Wunschgegner von Bundestrainer Joachim Löw. Denn nur mit einem Sieg über Italien kann er eine persönliche Wunde therapieren.

Deutschland und Italien. Das ist ein bisschen wie Tom und Jerry. Sie nerven sich, sie jagen sich. Und am Ende gewinnt immer Jerry. Langweilig? Nein! Millionen Menschen auf der Welt schauen sich Folge für Folge des rasanten Katz-und-Maus-Spiels an, obwohl sie schon beim Vorspann wissen, wie es ausgeht. Aber abschalten, oder gar nicht erst einschalten? Niemals! Zu unterhaltsam ist die ewige Hetzerei mit dem immer gleichen Gewinner. Und vielleicht, so die leise Hoffnung, passiert ja doch mal etwas anderes. Vielleicht schnappt sich der bemitleidenswerte Tom doch endlich mal den Jerry.

Am Samstagabend werden wieder viele Millionen Menschen den Fernseher einschalten und sich die moderne Spielart von Tom und Jerry anschauen. Die aktuelle Folge heißt etwas sperrig: "Fußball-EM-Viertelfinale Deutschland gegen Italien". Und sie verspricht aufregend zu werden. So jedenfalls spricht Kater Tom, mittlerweile verkörpert von Joachim Löw, fünf Tage vor dem Live-Showdown in Bordeaux. "Ich freue mich wahnsinnig auf dieses Spiel und ich habe ein gutes Gefühl." Der Bundestrainer setzt darauf, dass seine Elf mit dem ersten K.-o.-Runden-Erfolg gegen Italien Geschichte schreiben, er sich selbst rehabilitieren und endlich vollenden kann.

Kein Gegner verfolgt Löw so sehr wie Italien. Nicht einmal Spanien, trotz EM-Finalpleite 2008 und WM-Halbfinal-Aus 2010. Beide Partien verlor die DFB-Elf mit 0:1. Aber damals waren die Spanier unbestritten das beste Team der Welt. Diese Niederlagen waren für das mitten in der Fußball-Revolution befindliche Deutschland schmerzhaft, aber verkraftbar. Ganz anders als bei der EM 2012. Die DFB-Elf hatte die goldene U21-EM-Generation von 2009 um Manuel Neuer, Mats Hummels, Jérôme Boateng, Mesut Özil und Co. erfolgreich in den A-Kader transformiert. Und diese junge Mannschaft spielte, begeisterte – und verlor im Halbfinale gegen abgezockte Italiener um ihren Chef-Egozentriker Mario Balotelli, der beim 2:1 beide Treffer erzielte. Deutschland scheiterte, weil der Trainer sich verzockt hatte. So hieß es damals. Plötzlich habe Löw den Glauben an die eigene Stärke verloren und seine Taktik nur noch am Gegner ausgerichtet.

"Haben kein Italien-Trauma"

Auf den Tag genau vier Jahre ist es nun her, dass Balotelli seinen wuchtigen Oberkörper freilegte und feierte. Zum vierten Mal traf Deutschland bei einem Großturnier in der K.-o.-Runde auf Italien, zum vierten Mal endete es in einer DFB-Tragödie. Insgesamt scheiterte Deutschland bei EM und WM schon achtmal beim Versuch, die Italiener zu schlagen.

Dass das bis heute nachwirkt, dem widerspricht Löw vehement: "Wir haben kein Italien-Trauma." Wohl aber eine Wunde. Die lässt sich selbst ohne medizinische Grundkenntnisse nicht wegdiskutieren. Und so muss auch der Bundestrainer diese immer noch nicht vollends verheilte Schramme jetzt noch einmal aufkratzen, obwohl er betont, dass das doch "alles kalter Kaffee sei und ihm ein frischer Espresso" deutlich lieber. Wie um dem Gesagten gewaltigen Nachdruck zu verleihen, hebt er seinen kleinen Becher und gönnt sich ein Schlückchen seiner liebsten Koffeinmischung.

Dann, quasi zum Zwecke der Selbsttherapie, seziert Löw seine damaligen Gedankenspiele. Er habe versucht, so referiert er im DFB-Basecamp in Évian, den italienischen Superstrategen Andrea Pirlo aus dem Spiel zu nehmen. "Dieser Plan ist nicht aufgegangen." Dafür habe er die Verantwortung übernehmen müssen. "Na, klar". Aber allein daran wollte er die Niederlage auch nicht festmachen. Auf dem Feld seien zu viele individuelle Fehler passiert, beispielsweise vor dem 0:2, das unmittelbar nach einer deutschen Ecke fiel. Doch so schmerzlich die Niederlage gewesen sei, so sehr sei sie ihm eine wichtige Lehre gewesen, sagte Löw.

"Wir sind nicht mehr nur Catenaccio"

Gelernt hat er offenbar Folgendes: Den Glauben an die eigene Stärke und das persönliche Gefühl nicht zu verlieren. Mit der Gelassenheit und dem Wissen Deutschland zum Weltmeister gemacht zu haben, hat der 56-Jährige die harte Kritik an den ersten EM-Auftritten gegen die Ukraine und Polen ertragen. Er hat die Mannschaft ganz genau beobachtet – und entsprechend seriös nachjustiert. Mehr Druck über die Außenbahnen brauchte es gegen die defensiven Gegner, also Joshua Kimmich gegen Nordirland rein, Benedikt Höwedes raus. Mehr Durchschlagskraft im Zentrum war nötig, folglich setzte er ab Spiel drei gegen seine innere Überzeugung auf Abschlussspieler Mario Gomez. Und gegen die Slowaken nahm er Mario Götze raus und brachte Julian Draxler. Das alles hat sich voll ausgezahlt. Bis jetzt.

Doch nun kommt Italien. Besser, stärker und überraschender als von 60 Millionen Landsleuten erwartet, spielt sich die Mannschaft von Antonio Conte durch das Turnier – nachdrücklich untermauert durch den beeindruckenden Coup gegen Spanien. Wie das gelang? Nun, unter die Torverhinderungstitanen um die ewigen Gigi Buffon, Andrea Barzagli, Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini hat sich ein kleines Ensemble von kreativen Offensivspielern gemischt, die ungeahnten Spaß am Kombinieren und Toreschießen haben.

"Wir sind nicht mehr nur Catenaccio und Konter. Wir können Fußball spielen - und das haben wir heute gezeigt", sagte Chiellini nach dem Achtelfinalsieg gegen Andres Iniesta und Co. und gab damit die Vorlage für eine heroisierende Lobeshymne des Bundestrainers. "Niemand hat an die Italiener geglaubt, sie waren abgeschrieben. Sie seien zu alt, zu defensiv." Die Wahrheit aber sei eine ganz andere: Italien könne plötzlich auch die Offensive. "Ich halte sie für besser als 2008, 2010 und 2012".

Folglich also für so gut, wie seit 2006 nicht mehr. Damals wurden die Azzurri in Deutschland Weltmeister, schlugen das DFB-Team im Halbfinale mit 2:0 nach Verlängerung. Löw war damals noch Assistent von Jürgen Klinsmann. Die Niederlage war schmerzhaft, keine Frage, aber für den aktuellen Bundestrainer bei Weitem nicht so nagend wie die von 2012. Ein neuer gescheiterter Anlauf gegen Italien, er würde sich nun wohl tatsächlich zu einem Trauma auswachsen. Löw baut dem vor, heroisiert die wiedererstarkten Südeuropäer, senkt offenbar bewusst die Fallhöhe eines erneuten Scheiterns. Bleibt Tom eben doch Tom? Nein, so weit ist es noch nicht. Aber Jerry hat das Törtchen schon wieder in der Hand.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen